Armutskonferenz:Junge Münchner sorgen sich um ihre Zukunft

München ist ein teures Pflaster. Ein Großteil der jungen Einwohnerinnen und Einwohner hat Sorge, sich das Leben hier nicht leisten zu können.

München ist ein teures Pflaster. Ein Großteil der jungen Einwohnerinnen und Einwohner hat Sorge, sich das Leben hier nicht leisten zu können.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Laut einer Umfrage befürchten mehr als 90 Prozent der Befragten, dass sie sich ein Leben in der Stadt nicht leisten können. Viele haben bereits Geldprobleme, weil ihnen in der Pandemie Jobs gekündigt wurden.

Von Sven Loerzer

Die Angst, sich München nicht mehr leisten zu können, hat auch Münchens Jugendliche voll erfasst. Mehr als 90 Prozent der Jugendlichen sorgen sich darum, dass das Leben in München zu teuer ist oder bald zu teuer sein wird. Die Online-Jugendbefragung 2020 zeige, sagte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD), dass die jungen Leute Fragen beschäftigen, wie etwa: "Kann ich mir überhaupt eine eigene Wohnung leisten?"

Es gehe um die hohen Mieten, die Lebenshaltungskosten, aber auch um Eintrittspreise für Clubs, Konzerte und Kino. Bei der zweiten Münchner Armutskonferenz will das Sozialreferat deshalb an diesem Mittwoch der Frage nachgehen, was junge Menschen in einer teuren Stadt brauchen. Denn gerade durch die Corona-Pandemie hätten sich die Probleme und Schwierigkeiten der Kinder und Jugendlichen, die in armen Haushalten leben noch verschärft. Mit dem Austausch zwischen Fachleuten und jungen Menschen will die Stadt aber auch die sozialpolitische Diskussion zur sozialen Sicherung vorantreiben.

In einem guten Drittel der etwa 40 000 Hartz-IV-Haushalte leben Kinder. In einer teuren Großstadt wie München sei es schwieriger mit dem bundesweit einheitlichen Hartz-IV-Regelsatz auszukommen. München fordert deshalb schon lange vom Bund, die Regelsätze an die jeweiligen Lebenshaltungskosten in Ballungsräumen anzupassen. "Wenn Familien in finanzielle Schwierigkeiten kommen, leiden auch die Kinder darunter", betont Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD). "Die Sorgen der Eltern übertragen sich." So hätten sich etwa die Anfragen bei den Schuldnerberatungsstellen fast verdreifacht. Die Jugendschuldnerberatung wiederum registriere neue Probleme bei ihren Klienten: Viele könnten ihre Rückzahlungspläne nicht mehr erfüllen, weil während der Pandemie Gelegenheits- und Nebenjobs gestrichen wurden.

Stadtjugendamtschefin Esther Maffei hob vor dem Hintergrund der langen Kontaktbeschränkungen während der Pandemie hervor, dass die Gleichaltrigengruppe für die Entwicklung Jugendlicher essenziell sei. Dort würden Freundschaften geknüpft, finde die Ablösung vom Elternhaus statt, entwickelten sich Vorstellungen vom eigenen Platz in der Zukunft. Kinder und Jugendliche aus armen Haushalten aber könnten an Aktivitäten der Gleichaltrigen kaum teilnehmen. Sie sind seltener Mitglied von Vereinen, könnten keine Freundinnen und Freunde zum Essen nach Hause einladen oder mit ihnen ins Kino gehen.

Vor allem aber habe Corona auch die Bildungsungerechtigkeit größer werden lassen, meinte Maffei. Die betroffenen Kinder müssten in der Jugendhilfe aufgefangen werden, denn ihr Lebensalltag sei von den Sorgen der Eltern geprägt. Ausgleich erhofft sich Verena Dietl durch das geplante Förderpaket des Bundes zum Abbau von Bildungsrückständen. Auch der Freistaat müsse mit Blick auf die langfristigen Schulschließungen im Zuge der Pandemiebekämpfung ein umfassendes Bildungspaket auflegen, damit Kinder, die schon bisher benachteiligt waren, nicht komplett abgehängt werden.

Die Sozialreferentin spricht von "Bürokratiewahn" bei der Förderung durch den Bund

"Die Stadt wird dann schauen, was wir für zusätzliche Angebote machen können, um die Defizite zu decken", versicherte die Bürgermeisterin. Obwohl nun auch die Stadt als Folge der Pandemie sparen muss, "werden wir den Haushalt sicher nicht so gestalten, dass wir an denen sparen, die von der Pandemie am meisten betroffen sind". Schiwy forderte, den "Bürokratiewahn" bei der Förderung von Bildung und Teilhabe durch den Bund abzubauen.

Jungen Menschen mehr Raum auf öffentlichen Plätzen zu geben, um ohne Konsumzwang den Austausch mit Gleichaltrigen zu ermöglichen, das soll noch in diesem Sommer erste Erfolge zeitigen, bekräftigte die Bürgermeisterin. Die Überprüfung von Plätzen laufe, erste Ergebnisse sollen bis zu den Ferien vorliegen. Die immer noch geltenden Infektionsschutzregelungen schränkten aber das Bespielen öffentlicher Plätze ein, erklärte Schiwy. Sie zeigte sich dennoch "guter Hoffnung", dass es gelinge, für Kinder und Jugendliche einiges auf die Beine zu stellen. Allerdings warnte sie vor falschen Erwartungen: "Wir werden damit nicht das feiernde Volk aus der Türkenstraße herausholen."

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Erika Schilz ist seit 1988 bei der städtischen Schuldner- und Insolvenzberatung, die sie seit zehn Jahren leitet.

SZ PlusReden wir über München mit Erika Schilz
:"Werde ich mir München noch leisten können?"

Seit mehr als 30 Jahren berät Erika Schilz Menschen, die ihr Leben nicht mehr finanzieren können. Ein Gespräch über zu teure Städte, lebensferne Politik und ab wann man sich Hilfe holen sollte.

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