Armut in München:Genug zum Existieren, zu wenig zum Leben

  • OB Dieter Reiter (SPD) und die SPD-Stadtratsfraktion hatten sich vor einem Jahr dafür stark gemacht, die bundeseinheitlich festgesetzten Regelsätze für bedürftige Bürger in München deutlich zu erhöhen.
  • Die Juristen des städtischen Amtes für Soziale Sicherung haben den Vorstoß ein Jahr lang geprüft - und kamen zu einem negativen Ergebnis.
  • Nun will sich der OB an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und die Parteivorsitzenden von SPD und CDU wenden.

Von Sven Loerzer

Mehr als 15 000 Münchnerinnen und Münchner müssen in der Stadt der höchsten Mieten und Lebenshaltungskosten mit Grundsicherung im Alter auskommen, bei mehr als 20 000 Kindern setzt Hartz IV ihren Entwicklungschancen enge Grenzen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und die SPD-Stadtratsfraktion hatten sich deshalb vor einem Jahr dafür stark gemacht, die bundeseinheitlich festgesetzten Regelsätze in München deutlich zu erhöhen. Ein Jahr lang haben die Juristen des städtischen Sozialamtes den Vorstoß geprüft, aber nur Gründe zusammengetragen, warum es nicht geht. Die Amtsjuristen bezweifeln sogar, dass das Leben hier teurer ist als anderswo, wenn man die Miete, die zusätzlich bezahlt wird, außer Betracht lässt.

"Es kann nicht sein, dass Menschen in einer teuren Stadt wie München mit dem gleichen Betrag auskommen müssen, wie Menschen in Kommunen, in denen die Lebenshaltungskosten deutlich niedriger sind", bekräftigt OB Reiter. Es sei ihm deshalb ein persönliches Anliegen gewesen, prüfen zu lassen, ob die Stadt diese Differenz ausgleichen kann. "Da das nicht möglich ist, muss jetzt endlich die Bundesregierung die nötigen Reformen anstoßen." Um dem Nachdruck zu verleihen, will er sich an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und die Parteivorsitzenden von SPD und CDU wenden.

Trotz des negativen Prüfungsergebnisses für einen städtischen Zuschlag, das Sozialreferentin Dorothee Schiwy am Donnerstag dem Sozialausschuss vorlegen wird, wird sie nicht müde, zu betonen, dass die Stadt seit dem Start von Hartz IV im Jahr 2005 beanstandet habe, dass die Regelsätze zu niedrig bemessen und nicht ausreichend sind, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Nach Berechnungen der Wohlfahrtsverbände müsste der monatliche Regelsatz für Alleinstehende 150 Euro höher sein, als der derzeit zugestandene Betrag in Höhe von 432 Euro monatlich.

"Aus Sicht des Sozialreferats besteht ein Bedarf dahingehend, die Regelsätze deutlich anzuheben", erklärt Schiwy. Nach der derzeitigen Rechtslage sei dies aber nur in einem sehr geringen Umfang möglich, und zwar nur bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Dazu ist die Einholung eines Gutachtens vorgeschrieben. Auf dessen Basis bezahlt die Stadt 21 Euro Zuschlag monatlich, das jedoch reiche "bei weitem nicht aus". Alle Bemühungen, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu ändern, blieben jedoch bisher ohne Erfolg.

Eine Unterstützung für arme Rentner? Das sei rechtlich "nicht zulässig"

Dem Antrag der SPD-Rathausfraktion darzulegen, wie es ermöglicht werden kann, armen Rentnern einen Zuschlag zur Grundsicherung in Höhe von 100 Euro zu zahlen, habe man "wohlwollend, ergebnisorientiert und unter weiter Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften geprüft", versichert Schiwy, die selbst Juristin ist. Doch dies sei nicht zulässig, wie auch die um eine Einschätzung gebetene Rechtsaufsichtsbehörde, die Regierung von Oberbayern, festgestellt habe. Die im Regelsatz abgebildeten Hauptkosten der Lebenshaltung seien in München ähnlich hoch wie im gesamten Bundesgebiet, meint das Sozialamt. Zudem wäre eine über den per Gutachten ermittelten Betrag hinausgehende freiwillige Leistung als Einkommen auf den Regelsatz anzurechnen, weil sie dem gleichen Zweck wie der Regelsatz diene. Das bringe den Betroffenen dann aber nichts und entlaste nur den Bund finanziell.

SPD-Vizefraktionschefin Anne Hübner zeigte sich enttäuscht von dem Ergebnis der Prüfung. "Ich kann nicht verstehen, dass die Juristen des Amtes nicht nach einer Lösung suchen." Ähnlich wie es beim Landespflegegeld und beim Familiengeld gelungen sei, diese Leistungen anrechnungsfrei zu lassen, indem man einen zusätzlichen Zweck begründet hat, hält sie es für vorstellbar, einen freiwilligen Zuschlag damit zu begründen, um angemessene gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. "Für die eigentlich wichtigen Dinge im Alter ist nichts vorgesehen im Regelsatz." Zumal gerade alte Menschen, die Grundsicherung beziehen, anders als Hartz-IV-Bezieher, keinerlei Perspektive haben, jemals wieder von staatlicher Unterstützung unabhängig zu werden. "Es ist frustrierend", sagt Hübner. "Beim Bund passiert seit 15 Jahren nichts, auch das Sozialamt hat keinerlei Interesse daran, eine Lösung zu suchen."

Auch eine Aufstockung der Regelsätze für Kinder in Hartz-IV-Haushalten haben die Sozialamts-Juristen auf Antrag der SPD geprüft und verworfen: "Es ist keine rechtliche Konstruktion denkbar", heißt es. Zu dem Vorstoß der Grünen, dass sich der OB bei der Bundesregierung für eine Erhöhung des Regelsatzes auf 571 Euro monatlich und eine regionale Anpassung einsetzen soll, schreibt Schiwy: Die Problematik, dass mit den Regelsätzen für Grundsicherungs- und Hartz-IV-Bezieher "sowohl in München als auch im Rest Deutschlands ein Auskommen nur unter größten Einschränkungen möglich ist, kann nicht auf kommunaler Ebene gelöst werden".

Der Kern des Problems liege in der bewusst bundeseinheitlich geregelten Bestimmung des Existenzminimums, das auf umstrittenen Berechnungsmodalitäten beruhe. Schiwy setzt sich für eine Neuberechnung mit regional und nach altersspezifischen Bedarfen erhobene Daten ein. Alternativ dazu sollte Kommunen ermöglicht werden, anrechnungsfrei Zuschläge zu zahlen. Der Sozialausschuss soll OB Reiter beauftragen, in diesem Sinn in Berlin vorstellig zu werden.

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