Evangelische Kirche:"Die größte Armut in München ist die Einsamkeit"

Lesezeit: 2 Min.

"Wenn man an einem Tisch sitzt, ist man auf Augenhöhe", sagt Pfarrer Thomas Römer. (Foto: Robert Haas)

Pfarrer Thomas Römer bietet seit 25 Jahren ein Frühstück für Bedürftige an. Er verrät, warum das auch ihm hilft.

Von Gerhard Fischer, München

25 Jahre, mehr als 540 Treffen, Zehntausende belegte Semmeln: Pfarrer Thomas Römer, 65, bietet seit 1997 ein Frühstück für Bedürftige in der Matthäuskirche an. Jeden zweiten Donnerstag treffen sich Arme, Einsame und Obdachlose im Gemeindesaal der evangelischen Kirche am Sendlinger Tor. Das sogenannte Matthäusfrühstück wird über Spenden finanziert. "Wir leben in einer Stadt, die ein Herz für Arme hat", sagt Römer.

SZ: Herr Römer, Sie machen ein Obdachlosen-Frühstück im Gemeindesaal der Matthäuskirche ...

Thomas Römer: ... wir reden nicht von einem Obdachlosen-Frühstück, denn es sind zwar welche da, aber nicht alle sind ohne Obdach. Ich würde sagen: Es kommen Bedürftige oder Arme, und zu diesen Armen gehören auch Menschen, die einsam sind. Ich erinnere mich an einen ehemaligen Richter, der immer zu unserem Frühstück kam und sagte: "Ich habe keine Gemeinschaft, ich bin immer so alleine." Die größte Armut in München ist die Einsamkeit. Als wir vor 25 Jahren mit dem Frühstück anfingen, war auch die Idee, dass Menschen verschiedener Prägung und sozialer Hintergründe miteinander am Tisch sitzen. Die Tischgemeinschaft ist für mich ein wichtiger Punkt. Wenn man am Tisch sitzt, ist man auf Augenhöhe. Alle sind willkommen.

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Und es sind Ehrenamtliche, die das Frühstück vorbereiten?

Ja, und sie sitzen dann ebenfalls mit am Tisch. Und es tut auch mir gut, dabei zu sein; arm zu sein an einem Ort, wo ich nichts leisten und vorweisen muss, wo ich mit meinen manchmal depressiven Stimmungen aufgehoben bin. Es ist ein Geben und Nehmen bei diesem Frühstück. Als ich vor 25 Jahren begann, sagte mein Vater: "Ach, Thomas, das wird dir gefallen. Die Menschen sind alle gleich - nur bei denen ist der Lack nicht so dick." Hier gibt es eine schnelle, unmittelbare Begegnung.

Wie viele Menschen kommen zu Ihrem Frühstück?

Zur Zeit sind es jeweils zwischen 65 und 85 Leute.

Wie alt sind sie?

In der Mehrzahl 50 aufwärts. Aber es sind auch 25- oder 30-Jährige dabei. Manche kommen seit Jahren, manche unregelmäßig. Einer ist nach Kempten gezogen, reist aber immer an, weil er das Frühstück so liebt.

Wir haben momentan den Ukraine-Krieg und die sogenannte Energiekrise, weshalb auch in Deutschland manche Menschen knapper bei Kasse sind. Spüren Sie das bei Ihren Frühstücken - kommen jetzt mehr Menschen?

Neu hinzu gekommen sind Menschen aus der Ukraine. Als wir vor 25 Jahren anfingen, kamen übrigens viele Menschen aus Bosnien oder Serbien zu unserem Frühstück; Menschen, die wegen des Balkan-Kriegs geflüchtet waren. Manche sind bis heute bei uns. Auch bei der Flüchtlingswelle 2015 stieg die Zahl der Leute, die zu uns kamen.

Und Menschen, die aktuell wegen der steigenden Energiepreise in Not geraten sind?

Die kommen noch nicht. Es ist wohl auch mit Scham behaftet, kostenloses Essen anzunehmen. Man muss das nächste halbe Jahr mal abwarten, ob diese Menschen Hilfsangebote annehmen werden.

Machen Sie über das Frühstück hinaus etwas mit Ihren Gästen oder Freunden, wie Sie sie nennen?

Manche kommen ja nicht wirklich aus der Stadt raus, und deshalb machen wir alle zwei Jahre einen Ausflug, an den Starnberger See, an den Tegernsee oder den Ammersee. Und in den Jahren dazwischen veranstalten wir Sommerfeste. Und wir boten - vor Corona - einmal im Monat freitags ein Matthäus-Café im Gemeindesaal an.

Und an Weihnachten gab es wieder ein Essen, oder? Es fiel ja zuletzt wegen der Pandemie aus.

Das Weihnachtsessen im Gemeindesaal der Matthäuskirche haben wir immer gemacht, aber wegen Corona in verschiedenen Formen. Während der Pandemie haben wir Brotzeittüten ausgegeben. Diesmal fand es wieder in der gewohnten Form statt: Erst war ein Gottesdienst um 11.30 Uhr, den ich machte, und um 12 Uhr gab es für die mehr als 200 Menschen ein Essen an Tischen: Schweinsbraten, Knödel, Blaukraut. Danach roch die ganze Kirche ein paar Stunden nach Blaukraut (lacht).

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