Süddeutsche Zeitung

Stadtgestaltung:Wer bestimmt über das Aussehen der Stadt?

  • Die Stadtgestaltungskommission trifft sich zu einem "Selbstverständnistag". Möglicherweise wird das Gremium reformiert.
  • Die Grünen fordern, die Mitgliederzahl der Kommission deutlich zu reduzieren.
  • "Wir müssen die Stadt von den Architekten zurückholen", sagt CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl. Unter ihnen gebe es eine "Cliquenwirtschaft" und die Gebäude träfen nicht das Lebensgefühl der Menschen.

Von Sebastian Krass

Ein Hingucker wäre es geworden, so viel ist sicher: ein 44 Meter hohes Büro- und Geschäftsgebäude an der Ecke Ridlerstraße/Mittlerer Ring. Der Clou: Die Architektur sollte aussehen, als wären Kisten aufeinander gestapelt und zueinander verdreht. So stellte es der Planer Fabian Ochs im Februar in der Stadtgestaltungskommission vor, die den Stadtrat bei besonderen Bauprojekten berät. Aber wäre das nun ein gelungener Hingucker? Oder ein misslungenes Experiment?

Es gab zwei Lager in der Kommission. Die Architekten lehnten Ochs' Arbeit ab. Unverständliche Idee, überambitioniert, zu unruhig - so lässt sich das Votum zusammenfassen. Die Vertreter aus der Politik hingegen waren begeistert: hervorragender Entwurf, endlich mal was Schönes für den Heimeranplatz. Doch sie setzten sich nicht durch. Letztlich gab die Kommission den Entwurf zur Überarbeitung zurück.

Diese Diskussion wurde zum Ausgangspunkt einer zugespitzten Debatte. Wer bestimmt über das Aussehen der Stadt? Und was ist eigentlich wichtiger: das Urteil von Architekten oder das Empfinden der Münchner Bürger, repräsentiert durch ihre gewählten Vertreter im Stadtrat? CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl stieß die Debatte im Februar mit ein paar kräftigen Hieben an: "Wir müssen die Stadt von den Architekten zurückholen." Unter ihnen gebe es eine Cliquenwirtschaft. Und was sie an Gebäuden in München schaffen, sei "belanglos und uniform", es treffe "das Lebensgefühl der Menschen nicht".

An diesem Dienstag nun trifft sich die Stadtgestaltungskommission. Ein turnusgemäßer Termin wurde umgewidmet zu einem "Selbstverständnistag", wie es offiziell heißt; die Sitzung ist - anders als sonst - nicht öffentlich. Ihre Bedeutung zeigt sich daran, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter sie leitet. Sonst lässt er sich dort eher sporadisch blicken - was vielen Mitgliedern ein Ärgernis ist. Gut möglich, dass diese Sitzung einen Einschnitt bringt.

"Ich habe einen sehr großen Reformehrgeiz. Wir prägen jetzt das Gesicht der Stadt für die nächsten 40 bis 50 Jahre", sagt Pretzl nun, neun Monate nach seinem Rundumschlag. "Deshalb erwarte ich den Willen zur Veränderung bei Architekten und Verwaltung." Pretzl wird an der Sitzung teilnehmen, obwohl er kein Kommissionsmitglied ist. Aber er hat das Ganze ja losgetreten. Und weil der Stadtrat die Satzung der Kommission beschließt, ist das Wort eines CSU-Fraktionschefs von Gewicht.

Es liegen einige Reformideen vor. Die Grünen etwa regen eine "deutliche Reduktion der Mitglieder" an, derzeit sind es 27. Und sie plädieren dafür, die Stimmrechte der Vertreter von Politik und Verwaltung zu beschneiden. "Ich habe mir viele ähnliche Kommissionen in anderen Städten angeschaut, unsere ist die allergrößte", sagt Stadträtin Anna Hanusch. Die Grünen haben den Eindruck, dass auch wegen der Größe viele Entscheidungen der Kommission eher aus einer zufälligen Dynamik entstehen denn aus einer tiefen Auseinandersetzung aller Mitglieder mit den vorgestellten Projekten. Außerdem finden sie es widersinnig, dass Stadträte mitabstimmen, wenn das Gremium doch die Funktion hat, den Stadtrat zu beraten.

CSU-Mann Pretzl ist offen für die Idee, der Politik das Stimmrecht zu nehmen. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die Voten des Gremiums dann keine De-facto-Bindungswirkung mehr haben wie derzeit, sondern dass sie fortan Empfehlungen für den Stadtrat würden, der letztlich entscheide. Pretzl bringt auch eine Bezahlung für die Architekten in der Kommission ins Spiel, bisher ist es ein Ehrenamt, das freilich gut ist fürs Renommee. Die Einführung eines Honorars fände auch Stadtbaurätin Elisabeth Merk "fair und angemessen". Pretzls Vorwurf aber, eine Clique von Architekten kungele in der Kommission und in Wettbewerben und herrsche letztlich über das Bauen in München, weist sie vehement zurück: "Das stimmt nachweislich nicht, das ist üble Nachrede. Ich lade jeden, der das behauptet, gern zu mir ein."

Und was sagt OB Reiter? Von ihm kommt zu der ganzen Debatte nur ein eher allgemein gehaltenes Statement: "Der wesentliche Mehrwert der Münchner Kommission ist, dass herausgehobene Projekte, die nicht allein in der Verwaltung entschieden werden sollen, sich auf diese Weise der öffentlichen Diskussion stellen." Trotzdem wolle man nun "Selbstverständnis, Rollen und Abläufe hinterfragen" und danach "mit dem Stadtrat diskutieren, ob Änderungen am Statut erforderlich sind". Auf den Vorwurf mangelnder Präsenz geht er nicht ein.

Aber sind die Kommission und die Münchner Architektur insgesamt wirklich solche Sanierungsfälle, wie es in der Debatte manchmal anklingt? Fragt man Fabian Ochs, den Architekten jenes verschachtelten Hauses an der Ridlerstraße, dann antwortet er: "Die Kritik war schon berechtigt. Der Entwurf war zu wild, zu unausgegoren."

Im April stellte Ochs eine überarbeitete Version des Hauses vor, die auf Anraten der Kommission sogar zwei Stockwerke und damit sechs Meter höher ist. Dem stimmte die Runde dann zu. Ein Hingucker wird es also dennoch, nur eben dezenter. "Ich finde das jetzt auch deutlich besser", sagt Ochs. "Mit der Idee, höher zu bauen, sind wir bei der Stadt zunächst nicht weit gekommen, der Hinweis der Kommission hat uns geholfen." Aber Ochs merkt auch an, dass die Kommission "ganz oft mutiger sein könnte".

Erst fehlt der Mut beim Entwerfen, Genehmigen und Bauen, am Ende sieht alles gleich aus: Stadtbaurätin Merk kennt diese Kritik seit vielen Jahren. Und in Teilen kann sie sie auch nachvollziehen. "Wenn über 1000 Wohnungen hingebaut werden, empfindet man das natürlich als Fremdkörper. Und wenn das alles im gleichen Stil ist, dann ist eine gewisse Kritik berechtigt", sagt sie. Beispiele will sie nicht nennen, aber muss sie auch nicht: Die Schlagworte Hirschgarten, Arnulfpark und Messestadt Riem fallen in dem Kontext immer wieder.

Ein generelles Problem sieht Merk in der Umsetzung von Plänen. Oft entwirft ein Architekt ein Gebäude, gewinnt damit einen Wettbewerb oder findet Zustimmung in der Stadtgestaltungskommission. Und in der letzten Bauphase wechselt der Bauherr das Architekturbüro und beginnt, an der Fassade zu sparen. Am Ende bleibt zumindest im äußeren Erscheinungsbild vom gelobten Entwurf und dem damit verbundenen Versprechen nicht viel übrig. Das schadet dem Ruf der Architektur und der Gremien, die sich damit beschäftigen. "Wir kriegen dann immer zu hören: Ihr wart doch im Preisgericht", sagt Pretzl. Leider habe man in derlei Fällen keine Sanktionsmöglichkeiten gegenüber dem Bauherrn, sagt Merk.

"Aber", und das ist ihr wichtig zu betonen, "wir wissen, das viele moderne Architektur den Menschen gefällt". Das zeige sich etwa bei öffentlichen Führungen, die ihr Planungsreferat veranstaltet. Auch die Bayerische Architektenkammer warnt vor "Pauschalierungen, die nicht weiterhelfen", und verweist auf die 23 000 Teilnehmer bei ihren alljährlichen Architektouren.

Merk fällt da eine Alltagsbeobachtung ein, die sie immer wieder mache: "Wenn ich über den Marienplatz gehe, dann sehe ich ganz normale Münchner, die vor dem neuen Hugendubel-Haus stehen und sagen: ,Schaut schon ganz schön aus'." Der Entwurf für die neue Fassade war übrigens vor fünf Jahren Thema in der Stadtgestaltungskommission - und fand auf Anhieb einhellige Zustimmung.

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Quelle:
SZ vom 17.11.2018/baso
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