Wenn die Münchner Arbeiterwohlfahrt (Awo) zu einem Empfang in den Comité-Hof der königlichen Residenz einlädt, dann muss der Anlass schon ein besonderer sein. Dabei spielt weniger die Tatsache eine Rolle, dass der Kreisverband München-Stadt vereinsrechtlich betrachtet gerade erst 70 und nicht 75 Jahre alt wird, wie eine Zeit lang angenommen. Und wenn eigens Altoberbürgermeister Christian Ude sein griechisches Inseldomizil verlässt, um zu den rund 200 geladenen Gästen aus Münchens Sozialszene zu sprechen, dann vollzieht sich Epochales: Die "Ära Salzhuber" bei der Awo geht zu Ende.
Der Bankkaufmann und Sozialpädagoge Jürgen Salzhuber zieht sich nach 30 Jahren in der Geschäftsführung und anschließend weiteren zehn Jahren als ehrenamtlicher Vorstand des Kreisverbands nun mit 75 Jahren auch aus dieser Position zurück. Zu seinem Nachfolger als Vereinsvorsitzender hat die Kreiskonferenz den bayerischen SPD-Chef und Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Florian von Brunn, gewählt.
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Als Salzhuber in die Geschäftsführung der Awo eintrat, stand der Kreisverband vor der Pleite, war mit acht Millionen Mark verschuldet und zahlungsunfähig, daran erinnerte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). Salzhuber habe 1983 die Sanierung eingeleitet. Sein "effizientes Wirtschaften" habe ihm den Spitznamen "Dagobert" eingebracht, allerdings greife das zu kurz: "Er wollte immer auch Weltverbesserer, Anschieber sein." In den vier Jahrzehnten seines Wirkens machte er die Awo zu einem der größten Anbieter sozialer Dienstleistungen mit inzwischen mehr als 3000 Beschäftigten.
Ein "absoluter Grande" sei Salzhuber, sagte auch Bezirkstagspräsident Josef Mederer, der vor allem Salzhubers wegweisendes Wirken in der Sozialpsychiatrie würdigte, das schon in den 1970er-Jahren mit dem Aufbau der ambulanten sozialpsychiatrischen Dienste begann. Da habe er die Weichen richtig gestellt und die Umorientierung eingeleitet, hin zum Grundsatz ambulant vor stationär, der heute selbstverständlich ist. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, betonte in einer Videobotschaft, er sei "ein wirklich einzigartiger Mensch", der das "Miteinander befördert hat".
Weil natürlich bei solchen Anlässen immer viel die Rede davon ist, wie schwierig es für Nachfolger ist, die großen Fußstapfen des Vorgängers auszufüllen, räumte Salzhuber in seiner kurzen Ansprache mit diesem abgegriffenen Bild auf und ließ wissen, dass ein Vergleich ergeben habe, dass die Schuhgröße von Florian von Brunn eine Nummer größer ist. Und überhaupt, was die Nachfolge betrifft: "Ich gehe davon aus, dass er es gut macht, sonst hätten wir ihn nicht geholt." An Selbstbewusstsein hat es Salzhuber nie gemangelt, der Sozialdemokrat konnte als "knallharter Arbeitgebervertreter" vor dem Arbeitsgericht auftreten, sei aber andererseits auch schon seit mehr als 50 Jahren Verdi-Mitglied, betont Awo-Geschäftsführer Hans Kopp.
Als Bankkaufmann rechnete er nüchtern, sein Credo war: "Der Glaube, weil ich armen Menschen Gutes tue, wird es schon irgendeine Finanzierung geben, hilft nicht weiter." Gerne hätte er sogar eine Awo-Bank eröffnet, aber da scheiterte er an den Verbandsgremien. Statt auf die Miete von Immobilien für soziale Zwecke setzte Salzhuber, wie er selbst sagt, auf "kaufen, kaufen, kaufen". Der Wert seiner Awo-Erwerbungen habe bereits eine "Viertelmilliarde" überschritten, "es war mein Ziel, das zu erreichen". Der Verband sei sehr stabil, fachlich sei man gut aufgestellt. So nimmt Salzhuber nun Abschied, garniert mit in Volksmusik gekleideter Zeit- und Gesellschaftskritik von Hans Well und den Wellbappn.
"Eine Ära", heißt das Buch, das ihm der Kreisverband widmet zu 70 Jahren Arbeiterwohlfahrt. Tatsächlich besteht es fast ausschließlich aus Würdigungen zu 40 Jahren Salzhuber bei der Awo. Applaus im Stehen auch in der Residenz. Abgang? Nun ja, nicht ganz, der Thomas-Wimmer-Stiftung und einigen Projekten bleibt Salzhuber verbunden. Und der Respekt, den ihm nicht nur sein donnernder Bass verschafft, wird ohnehin lange nachwirken.