München:Arbeit statt Urlaub

Dietlinde Bourgeois aus Pasing hat für die Hilfsorganisation "German Doctors" Menschen in abgelegenen Bergdörfern auf den Philippinen geholfen

Von Jutta Czeguhn

Dietlinde Bourgeois sitzt auf ihrer Terrasse in Pasing und blättert in der Foto-Galerie eines Tablets. Ein Bild zeigt sie mit Trekkingschuhen und Rucksack auf einer schmalen Hängebrücke über einem Fluss balancieren. Auf einem anderen Foto steht sie vor leuchtend grünen Berghängen, in die Reisterrassen wie die Stufen einer Treppe eingesetzt sind. Riesenfarne, Bananenstauden, Wasserfälle, tiefe Schluchten, menschenleere Sandstrände mit Palmenalleen - die Natur auf den Bildern ist spektakulär, doch sind es keine Urlaubsmotive, die Bourgeois hier festgehalten hat. Die 56-Jährige hat ihren Jahresurlaub zusammengekratzt und war knapp sieben Wochen für die Organisation "German Doctors" im Auslandseinsatz auf der philippinischen Insel Luzon. Die Ärztin hat dort in entlegenen, schwer zugänglichen Bergdörfern die indigene Bevölkerung versorgt.

"Keine Dusche, sich im Fluss waschen, im Hüttenschlafsack unterm Moskitonetz auf dem Boden schlafen, ach, daran gewöhnt man sich erstaunlich schnell", erzählt Bourgeois. Die Mutter von drei Kindern gehört nicht zu jenen, die viel Aufhebens um die eigene Person machen oder eine Halbgötter-in-Weiß-Attitüde vor sich hertragen. Für die gebürtige Stuttgarterin, die auch nach Jahrzehnten in München ihr Schwäbisch nicht hinunterschluckt, war immer klar, dass sie Allgemeinärztin werden wollte. Nah dran sein an den Menschen. Schon während des Medizinstudiums in Ulm hat es sie dorthin gezogen, wo die Not am größten ist. "Ich habe kurz nach dem Ende der Apartheid in einem südafrikanischen Township gearbeitet, an den Wochenenden war das wie ein Kriegslazarett", erzählt sie. Dort habe sie so ziemlich alles an Wunden und Krankheiten gesehen, was junge Ärzte in der Ausbildung in Deutschland nie zu Gesicht bekämen. "Ich habe auch geholfen, Kinder auf die Welt zu bringen."

Pasinger Ärztin Dietlinde Bourgeois auf Philippinen für die Organisation „German Doctors“

Viele Patienten warten in den philippinischen Bergdörfern.

(Foto: Privat)

Seit ihrer Approbation 1992 arbeitet Dietlinde Bourgeois als praktische Ärztin, ihr Mann ist ebenfalls Mediziner. Sie hat eine Zusatzausbildung in traditioneller chinesischer Medizin und Akupunktur, die sie immer wieder zu Studienaufenthalten nach China führte. Der "Lebenstraum", wieder einmal länger im Ausland zu arbeiten, erzählt Bourgeois, sei immer da gewesen. Doch habe er sich erst jetzt verwirklichen lassen, da die Kinder, zwei Töchter, ein Sohn, studieren respektive das Abi hinter sich haben. "Meine Familie stand hinter meiner Entscheidung", sagt sie. Von der Arbeit der German Doctors hat sie zufällig über einen Freund erfahren, der bereits sieben Mal für die Organisation, die auf der ganzen Welt arbeitet, im Einsatz war. Bourgeois hat sich für die Rolling Clinic in den Bergdörfern auf Luzon entschieden, ein Projekt, das dort seit 2018 läuft.

Auf den Fotos trägt Dietlinde Bourgeois stets das weiße Shirt der German Doctors mit dem grünen Logo über dem Herzen. Nach einem 15-Stunden-Flug war sie Mitte Juli in Manila gelandet. Von dort ging es ins Basislager der Doctors, ein Ärztehaus in der Ortschaft Connor, wo sie Einheimische zu sogenannten Gesundheitsarbeitern ("health worker") ausbilden. Von Connor aus starten die Ärzte dann auch zu ihren Touren in die Bergdörfer der Provinzen Apayao und Kalinga.

Pasinger Ärztin Dietlinde Bourgeois auf Philippinen für die Organisation „German Doctors“

Willkommene Hilfe: Oft mussten sich Dietlinde Bourgeois und ihre Kollegen auf lange Fußmärsche begeben.

(Foto: Privat)

Mit einem erfahrenen Fahrer reist Dietlinde Bourgeois also im Pritschenwagen quer durch den Dschungel, auf abenteuerlichen Schlammstraßen durch eine Landschaft, an der sich die deutsche Ärztin "nicht sattsehen kann". Nach vier Stunden Holperpiste - "nichts für schwache Nerven" - kommt das Ärzteteam in einem kleinen Dorf an. Dort packen Bourgeois und ein Kollege ihre Rucksäcke, es geht zu Fuß weiter, durch Flussläufe, auf schmalen Pfaden über die Reisterrassen. Aus der Rolling Clinic wird eine Walking Clinic, bei 38 Grad feuchter Hitze. Am Zielort, einem Dorf aus schlichten Hütten, die im Berg hängen, hat eine Familie den Doctors ein Zimmer in ihrem Zuhause freigeräumt. Wie schon in Manila und in Connor sei der Empfang immer von einer Herzlichkeit gewesen, die sie fast beschämt habe, sagt Bourgeois, die in solchen Momenten an die oft ruppige Art ihrer Landsleute daheim denken musste.

Die Sprechstunden der German Doctors seien für die Menschen dieser sehr armen, abgeschiedenen Regionen oft die einzige Möglichkeit, an medizinische Hilfe zu kommen, erzählt sie. In der improvisierten Praxis, für die eine Dorffamilie ein Zimmer zur Verfügung stellt, verständigte sich die Ärztin auf Englisch, oder es fand sich jemand, der übersetzte. Oft ging es einfach auch nonverbal. Zu Beginn jeder Sprechstunde unterweist sie lokale health worker und Patienten noch in einer kleinen Gymnastikübung, denn Bourgeois hat erfahren, dass viele der Menschen Schmerzen in der Hals- und Lendenwirbelsäule haben, als Folge der schweren Arbeit auf den Reisfeldern. Ansonsten, so erzählt sie, "waren die Sprechstunden nicht viel anders als bei uns in einer Hausarztpraxis". Die üblichen Krankheiten. Auffällig gewesen sei jedoch, dass viele Menschen unter Atemwegserkrankungen litten. "Um ihre Hütten zu heizen, nehmen sie als Brennmaterial alles mögliche her", hat die Ärztin erfahren. Gar nicht gerechnet hatte sie mit der Zahl an psychischen Erkrankungen. Von einem Langzeitarzt der German Doctors erfuhr sie von schizophrenen Patienten, die in einem Dorf über Jahre in Käfigen eingesperrt waren. "Dank der Medikamente können sie heute wieder am Dorfleben teilnehmen", sagt Bourgeoîs.

Pasinger Ärztin Dietlinde Bourgeois auf Philippinen für die Organisation „German Doctors“

Die Sprechstunden fanden in den Hütten statt.

(Foto: Privat)

Die Fotos zeigen sie mit Kindern, jungen Müttern und einer sehr alten Frau, die nach der Sitte ihres Stammes Tätowierungen am Körper trägt. Oft, erzählt die Ärztin, sei sie auch allein zu den Sprechstunden in den Dörfern unterwegs gewesen. Ohne je Angst haben zu müssen. Die Dorfbewohner hätten sie immer auf einen Kaffee, mit enorm viel Zucker drin, eingeladen oder zum Abendessen. "Die Menschen dort sind alle arm", sagt Bourgeois, die weit davon entfernt ist, die Situation in der philippinischen Bergregion zu romantisieren. Und doch hat sie die Lebenseinstellung der Bewohner beeindruckt, ihre entspannte Freundlichkeit. "Man sieht, dass man im Grunde auch mit ganz wenig klar kommt."

Seit mehr als 33 Jahren leisten die German Doctors in Slums und ländlichen Regionen in Entwicklungsländern ehrenamtliche Arzteinsätze. Näheres zu den Projekten unter www.german-doctors.de

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