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Notfallmedizin in München:Eine App, die Leben retten soll

Bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand werden Ersthelfer in der Nähe alarmiert, diese sollen noch vor dem Krankenwagen da sein - und die Betroffenen wiederbeleben. Oft entscheiden nur ein paar Minuten über Leben und Tod.

Von Ekaterina Kel

Es geht um ein paar Minuten. Eine kurze Zeitspanne, in der sich das Schicksal eines Menschen entscheidet. Schon drei bis fünf Minuten ohne Sauerstoff - und es kann zu irreversiblen Hirnschäden kommen. Im schlimmsten Fall zum Hirntod. So schildert es Stephan Prückner, Direktor des Instituts für Notfallmedizin und Medizinmanagement am LMU Klinikum. Bis der Rettungswagen da ist, dauere es aber etwa acht Minuten. "Zu lang", sagt Prückner. In vielen Fällen könne einem Menschen nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand - in vielen Fällen ist es ein Herzinfarkt - also nicht mehr geholfen werden. Bis zu 70 000 Menschen erleiden jährlich einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb eines Krankenhauses, doch nur zehn Prozent davon überleben. Das soll sich ändern.

Mit dem Projekt "München Rettet Leben" wollen Stadt und Landkreis München die Überlebenschancen der Betroffenen verbessern. An diesem Mittwoch geht das Projekt offiziell an den Start. Konkret bedeutet das, dass freiwillige Helfer, die gerade zufällig in der Nähe sind, mithilfe einer App an den Ort des Notfalls gelotst werden, um sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen - noch bevor die Rettungskräfte da sind. "Entscheidend ist hier der Faktor Zeit", so die Gesundheitsreferentin der Stadt, Beatrix Zurek.

Andere Länder haben bereits bewiesen, dass es funktionieren kann: In Schweden oder in den Niederlanden, wo es solche Helfer-Systeme gibt, liegt die sogenannte Laienreanimationsquote laut dem Deutschen Rat für Wiederbelebung bei bis zu 80 Prozent. Das heißt, in 80 Prozent der Fälle haben Laien mit Wiederbelebungsmaßnahmen angefangen. In Deutschland liegt diese Quote bei 40 Prozent.

Prückner will das ändern. Der Notfallmediziner sitzt im Vorstand des Arbeitskreises Notfallmedizin und Rettungswesen (ANR) an der LMU, einem der beteiligten Vereine. Auch die Integrierte Leitstelle München, der Rettungszweckverband und die Ärztliche Leitung Rettungsdienst sind dabei. An einem Runden Tisch habe man sich bereits vor ein paar Jahren darauf geeinigt, das etwas getan werden müsse. Nach einem langen Prozedere sei man an den Start gegangen - eigentlich. Die Pressemitteilung ging Anfang März 2020 raus. "Und im Anschluss daran sind wir schon in die ersten Corona-Sitzungen gegangen", erinnert sich Prückner. Nachdem die Pandemie halbwegs händelbar geworden ist, soll es jetzt wirklich losgehen.

Als erstes sollen Profis mitmachen, also aktiv im Rettungs- und Notarztdienst Tätige. Das klinge erstmal nicht nach einer großen Neuerung, so Prückner. Aber man müsse sich klar machen: Das sind Profis, die aus ihrer Freizeit heraus agieren. Im Notfall springt dann jemand in ziviler Kleidung zur Hilfe - oder klingelt auch mal an der Tür. Erleidet jemand einen Herz-Kreislauf-Stillstand, wird von Passanten oder Angehörigen der Notruf informiert, wie bisher auch. Die Leitstelle schickt aber nicht nur einen Krankenwagen, sondern automatisch auch einen Alarm los. Der geht dann an zwei geschulte Helfer mit der App "Mobile Retter", die in unmittelbarer Nähe sind. Den Radius könne man je nach Umfeld ändern, sagt Prückner. Wenn die dann den Hilferuf annehmen, bekommen sie genaue Koordinaten des Notfallortes und können sich mit der App ausweisen.

In Phase zwei, in spätestens einem halben Jahr, soll der Kreis der möglichen Helfer ausgeweitet werden. Dann wird allgemeines medizinisches Fachpersonal dafür rekrutiert und speziell geschult. In etwa einem Jahr folgt die Phase drei - bei der medizinische Laien gefragt sind und extra dafür geschult werden. Ab da kann sich jeder und jede, der oder die im Notfall helfen will, an dem Projekt beteiligen. Und weil so eine Situation für Helfer auch immer eine Belastung sein kann, sei auch das Kriseninterventionsteam involviert.

Angst muss niemand haben: "Man kann nichts falsch machen", so Prückner. Wer bei so einem Notfall eine Herzmassage macht, könne "nur gewinnen". Entweder habe der Betroffene noch eine kleine Chance - oder gar keine.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2021
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