Antisemitismus-Debatte:Nach Absetzen von "Vögel": Habenschaden will rasche Aufklärung

Antisemitismus-Debatte: Eine Familien- und Liebesgeschichte, die den Nahost-Konflikt behandelt: "Vögel" von Wajdi Mouawad.

Eine Familien- und Liebesgeschichte, die den Nahost-Konflikt behandelt: "Vögel" von Wajdi Mouawad.

(Foto: Jean-Marc Turmes/Metropoltheater)

Nach Antisemitismus-Vorwürfen setzt das Münchner Metropoltheater das Stück "Vögel" ab. Experten sollen nun über Konsequenzen beraten. Auch in Israel wird die Debatte wahrgenommen.

Von Heiner Effern, Anna Hoben und René Hofmann

Die Aufarbeitung solle rasch geschehen, das hat Katrin Habenschaden (Grüne) angemahnt, "damit es nicht die ganze Zeit hin und her geht". Zumindest diese Vorgabe der Münchner Kulturbürgermeisterin wird erfüllt. Am Freitag hat das Metropoltheater auch die letzte geplante Sondervorstellung des Stücks "Vögel" nach Antisemitismus-Vorwürfen vom Spielplan genommen, an diesem Dienstag gibt es dazu ein Treffen, initiiert von der Grünen-Fraktion im Rathaus. Deren Fraktionschef Dominik Krause erklärt: "Wir haben zu dem Gespräch eingeladen, weil auf neutralem Boden eine Annäherung erreicht werden soll." Um dies nicht zu gefährden, werde das für 18.30 Uhr anberaumte Treffen nicht öffentlich und vertraulich sein. Eingeladen sind neben Kulturreferent Anton Biebl der Theaterleiter und Regisseur Jochen Schölch sowie Vertreter der Studierendenvertretungen, die mit ihrer Kritik die Debatte eröffnet hatten. Beide Parteien dürfen jeweils eine Person zur fachlichen Unterstützung mitbringen.

Für die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) wird Vizepräsidentin Hanna Veiler aus Berlin zugeschaltet, der Verband jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) wird durch seinen Vorsitzenden Michael Movchin vertreten sein. Beide begrüßen die Entscheidung des Theaters, das Stück des libanesisch-kanadischen Autors Wajdi Mouawad nicht mehr aufzuführen, fordern aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Werk, zu der Wissenschaftler auf dem Gebiet der Antisemitismusforschung hinzugezogen werden sollen.

Die beiden Verbände haben sich auf eine Reihe von Personen verständigt, die sie hierfür berufen wollen: den Poli­tik­wis­senschaftler Jakob Baier, der an der Universität Bielefeld unter anderem zum Thema An­ti­semitismus in der Kulturproduktion forscht, die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Stella Leder, den Politikwissenschaftler Lars Rensmann sowie eine Vertreterin oder einen Vertreter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS). Ein solches Gremium, so sind die Studentenvertretungen überzeugt, würde klar herausarbeiten, dass das 2017 uraufgeführte und seitdem auf zahlreichen Bühnen präsentierte Werk in Passagen antisemitisch sei, da es Juden dämonisiere und die beispiellosen Verbrechen NS-Deutschlands relativiere.

Die Kulturförderung soll überprüft werden

In einem zweiten Schritt soll dann eine öffentliche Debatte darüber angestoßen werden, wie judenfeindlichen Tendenzen im Kulturbereich generell entgegengewirkt werden könne. JSUD-Vertreter Movchin fordert in diesem Zusammenhang auch eine Überprüfung der Kulturförderung. Wer sich nicht an die - in München klar formulierten - Antisemitismus-Vorgaben halte, dürfe nicht von öffentlichen Geldern profitieren. Das Metropoltheater ist privatwirtschaftlich, erhielt in den vergangenen Jahren jedoch städtische Zuwendungen in Höhe von rund 422 000 Euro.

Das Stück "Vögel" hatte seine Premiere am 6. Oktober. Am 8. November hatte Movchin erstmals Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Inszenierung erhoben, die JSUD und VJSB am 11. November in einem offenen Brief thematisierten. Beide Studentenvertretungen sehen in dem Treffen am Dienstag die erste Gelegenheit zu einem Austausch auf Augenhöhe. Die Teilnahme an einer vom Theater am vergangenen Sonntag geplanten Sondervorstellung mit anschließender Diskussion hatten sie abgelehnt, weil sie bei dieser zunächst nicht als Teilnehmer vorgesehen gewesen waren und eine neutrale Moderation bemängelten. Zu dem Stück sollten sich Theaterintendant Jochen Schölch, Alt-Oberbürgermeister Christian Ude (der dem Freundeskreis des Theaters vorsteht) und der Publizist C. Bernd Sucher äußern. Schölch und Ude hatten die Antisemitismus-Vorwürfe zuvor schon zurückgewiesen.

Die Sondervorstellung, bei der sich auch Mitglieder des Stadtrats eine Meinung über das Stück hätten bilden sollen, wurde schließlich abgesagt. Für den früheren bayerischen Kunstminister und jetzigen Vizepräsident des Landtags, Wolfgang Heubisch, ist das ein Fehler. "Ich habe keine Chance, mir selbst ein Bild zu machen", bemängelt der FDP-Politiker. Das Stück abzusetzen, bevor eine Diskussion habe stattfinden können, sei "vorauseilender Gehorsam": "Auf Druck ein Stück, das seit fünf Jahren auf dem Spielplan verschiedener Theater steht, gleich abzusetzen, finde ich nicht gut."

Die Debatte wird auch in Israel wahrgenommen

Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrum, und Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museum München, haben bereits am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung auf mögliche Konsequenzen der Absetzung hingewiesen: "Wenn Kultureinrichtungen diese Themen zukünftig meiden, wäre das für eine lebendige Erinnerungskultur, aber auch für die demokratischen Kräfte auf beiden Seiten des Nahost-Konfliktes ein falsches Signal." Beide Institutionen unterstützten "deshalb das Metropoltheater und bieten für alle weiteren Gespräche ihre Expertise an".

Auch in Israel wird die Debatte um das nunmehr abgesetzte Theaterstück wahrgenommen. Die Tageszeitung Haaretz berichtete am Sonntag in ihrer Onlineausgabe unter der Überschrift "Preisgekröntes Theaterstück, einst im Fadenkreuz von BDS, wird in Deutschland wegen angeblichen Antisemitimus' abgesetzt". Der Artikel bezog sich darauf, dass das Stück 2019 in Genf schon einmal Kritik ausgesetzt war - damals allerdings aus einer ganz anderen Richtung, nämlich von BDS-Aktivisten.

BDS, kurz für "Boycott, Divestment and Sanctions", ist eine politische Kampagne, die dem Staat Israel eine Apartheidspolitik vorwirft und das Land wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will. Die Kritik in Genf hob darauf ab, dass die Produktion von "Vögel" offenbar eine finanzielle Förderung vom Staat Israel bekommen hatte; dies war aus Sicht der Aktivisten nicht transparent genug kommuniziert worden, wie sie in einem offenen Brief an den Autor Wajdi Mouawad erläuterten.

Die Zeitung Haaretz rekapitulierte nun, dass Aufführungen des Stücks in Tel Aviv mit der berühmten israelischen Schauspielerin Leora Rivlin positive Rezensionen erhalten hätten. Laut dem dortigen Cameri Theater habe es damals keine solchen Vorwürfe gegeben wie jetzt in München. Auf der Plattform Twitter fasste Haaretz-Autor Jonathan Shamir seinen Artikel so zusammen: "Die seltsame Geschichte eines Theaterstücks, das in Israel allgemeine Bewunderung hervorrief und das von BDS ins Visier genommen wurde wegen finanzieller Förderung aus Israel - nun wird es in Deutschland abgesetzt wegen Antisemitismus-Vorwürfen."

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