Süddeutsche Zeitung

Stadtrat:München will Aktionsplan gegen Antisemitismus

Lesezeit: 2 min

Denn der Hass, der Jüdinnen und Juden entgegen schlägt, nimmt zu. Dagegen hat die Stadt nun einen systematischen Plan erstellt - als erste Kommune in Deutschland.

Von Jakob Wetzel

Es fühle sich an, als stehe man mitten in einem Sturm, sagt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. Als rufe man um Hilfe und doch käme oft keine. Der Hass, der Jüdinnen und Juden entgegen schlägt, nimmt zu, auch in München - ob auf Demonstrationen gegen Israel oder gegen die Corona-Maßnahmen, ob im Bus oder im Internet. Die Zahl antisemitischer Straftaten in Bayern ist im ersten Halbjahr 2021 auf 262 Taten gestiegen, das ist ein Zuwachs um fast zwei Drittel verglichen mit dem Halbjahr zuvor. Doch die Betroffenen bräuchten solche Zahlen gar nicht, sagt Knobloch. Man höre ja mit eigenen Ohren, sehe mit eigenen Augen, "inzwischen fast täglich".

Charlotte Knobloch hat am Donnerstag Münchner Stadträtinnen und Stadträten berichtet, wie sich diese Statistik für jüdische Münchnerinnen und Münchner anfühlt. Und die Stadt möchte gegensteuern. Nach Berliner Vorbild, aber als erste Kommune in Deutschland hat München einen systematischen Aktionsplan gegen Antisemitismus erstellt. Die städtische Fachstelle arbeitete hierzu mit jüdischen Gemeinden und Einrichtungen sowie mit Experten zusammen. Im Dezember soll der Stadtrat darüber beraten. Am Donnerstagvormittag hat die Fachstelle den Plan bei einem Stadtratshearing erstmals vorgestellt. Wird der Plan so beschlossen, möchte die Stadt jüdisches Leben stärker sichtbar machen, etwa durch eine öffentliche Kampagne oder auch durch Aktionen an jüdischen Feiertagen.

Antisemitische Muster zeigen sich bei Demonstrationen von Rechtsextremisten und Corona-Leugnern

Die Stadt will auch das Problembewusstsein schärfen; speziell die Sensibilität für modernere Formen von Antisemitismus sei auch bei Lehrkräften noch zu wenig ausgeprägt, sagte die Leiterin der Fachstelle, Miriam Heigl. Generell soll es künftig mehr Fortbildungen geben, auch für Beschäftigte in der Stadtverwaltung, in Justiz und Polizei oder auch im Bereich der Erinnerungskultur. Alle sollen sich im Kampf gegen Antisemitismus stärker als bisher vernetzen. Den Erfahrungen und dem Alltag jüdischer Münchnerinnen und Münchner soll sich eine Studie widmen. Und schließlich soll es einen Fonds geben, um Workshops und Projekte gegen Antisemitismus zu fördern.

Wie groß die Herausforderung ist, schilderte der Journalist Robert Andreasch dem Stadtrat. Antisemitische Muster zögen sich durch Demonstrationen von Rechtsextremisten, Rassisten und Corona-Leugnern, zeigte er. Es seien immer wieder viele junge Menschen auf Demonstrationen mit antisemitischen Plakaten zu sehen, sagte Annette Seidel-Arpacı von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern. Und gerade Antisemitismus mit Bezug auf Israel werde oft nicht als solcher wahrgenommen.

"Man kann schon etwas machen", sagt Ludwig Spaenle (CSU), Beauftragter der Staatsregierung gegen Antisemitismus. Er diskutierte am Donnerstagabend im Alten Rathaussaal unter anderem mit Münchens Zweiter Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) über Wege, gegen Antisemitismus im Internet vorzugehen. Eingeladen hatte das "European Leadership Network" (Elnet) Deutschland, ein Verein, der die deutsch-israelischen Beziehungen verbessern möchte. Die Vorschläge auch hier: mehr Bildung, mehr Begegnung - und ein entschlosseneres Handeln gegen Hass, so Carsten Ovens von Elnet. Spaenle hatte unlängst bereits bei der Staatsregierung angeregt, ein Gesamtkonzept gegen Antisemitismus zu entwickeln.

Einen konkreten, weitreichenden Schritt hat die Stadt München bereits vor vier Jahren getan: Im Dezember 2017 beschloss der Stadtrat, Veranstaltungen der gegen Israel gerichteten Kampagne "Boycott, Divestment, Sanctions" (BDS) aus städtischen Räumen zu verbannen. Doch wie lange dies noch Bestand hat, ist unklar. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof urteilte 2020, die Stadt schränke damit unzulässig die Meinungsfreiheit ein. Im Dezember verhandelt jetzt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Man wolle dort die Menschenwürde gegen die Meinungsfreiheit in Stellung bringen, hieß es am Donnerstag aus der Rechtsabteilung der Stadt. Man hoffe, dass die Bundesrichter dieser Argumentation folgen werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5467727
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.