Süddeutsche Zeitung

Online-Spieleplattform "Steam":Wo sich Hetzer und Rassisten treffen

  • Attentäter wie David S., der vor drei Jahren den Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) begangen hat, werden auf Portalen wie "Steam" bis heute verehrt.
  • "Bruder, ich werde dich nicht vergessen", schrieb etwa ein User wenige Tage nach dem Attentat.
  • Gegen einige der durch Pseudonyme getarnten Nutzer ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.

Von Martin Bernstein

Der junge Mann gilt als Einzelgänger. Ist er aber nicht. Freunde und Gleichgesinnte findet er im Netz, auf Plattformen, die vor allem von Gamern genutzt werden. Ihnen will er mit einem möglichst hohen "Score" imponieren - im realen Leben heißt das: mit besonders vielen Morden. Andere haben das vorgemacht und ihre Taten im Netz dokumentiert. Die Ziele der tödlichen Schüsse sind klar: Der junge Mann hasst Migranten, Frauen - und Juden.

Die Rede könnte vom Attentäter von Halle sein, einem Rechtsextremisten, gegen den der Generalbundesanwalt ermittelt. Doch was auf Stephan B., 27, zutrifft, trifft auch auf David S., damals 18, zu. Der junge Münchner, der den zunächst als "Amoklauf" eingestuften Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) am 22. Juli 2016 verübt hat. Drei Jahre nach der Tat kommt das bayerische Innenministerium, basierend auf den Ermittlungen des Landeskriminalamtes, zu dem Ergebnis: Die Motive des Täters, obgleich vielschichtig, waren auch politischer Natur. Deshalb wird die Tat nun offiziell als "Politisch motivierte Gewaltkriminalität - rechts" geführt und im Kriminalpolizeilichen Meldedienst als solche ausgewiesen.

"He did it. Neo Ger fucking did it", jubelt ein User, der sich "Ivan Der Judenjäger" nennt. Er hat es tatsächlich getan: David S. aus München, 18 Jahre alt, hat zwei Tage vor dem Fan-Posting auf der Spieleplattform "Steam" neun Menschen aus nächster Nähe erschossen. Neun zumeist junge Leute, manche noch Kinder, die David S. für Migranten hielt. Für "mudslimes", wie jemand auf Neo Gers Profilseite schrieb. David S. war Neo Ger. Einer, der ankam in seiner virtuellen Community. Stark solle er bleiben, entschlossen, riet ein Mitspieler dem jungen Deutschen. Ein anderer forderte ihn auf, seinen Hass zu befreien. Nicht sich vom Hass, nein. Den Hass sollte David S. freilassen. Das tat er am 22. Juli vor drei Jahren um 18 Uhr.

Rund 40 Stunden später schrieb ein Mitspieler: "Bruder, ich werde dich nicht vergessen". Warum auch? "Neo Ger did nothing wrong", hieß es. Zur selben Zeit setzte sich im fernen New Mexico ein 20-jähriger US-Amerikaner an seinen Computer und gestaltete eine Fanseite für David S. alias Neo Ger. Wenn erst einmal die AfD in Deutschland an der Macht sei, werde man S. ein Denkmal errichten, schrieb William A. Die Mitspieler auf Steam warteten nicht so lange. In fast allen Gruppen, denen David S. angehörte, wurde er in den Tagen nach den neun Morden zum "Gruppenspieler der Woche" gekürt. Und S. war in vielen Gruppen, unter vielen Pseudonymen. Eine verwirrende, eine wirre Welt.

Um Spiele ging es in ihr nur noch am Rand. Rassismus, Judenhass, Vernichtungsfantasien gegen Migranten beherrschten die Kommentarspalten. "Lustig" sei es, Ausländer als Zielscheiben zu benutzen, schrieb ein Mitspieler. In einer der Gruppen wurden virtuelle Neuankömmlinge mit Swastika und Hitlerbild begrüßt, Fleißarbeiten aus dem Pixellabor. Eine andere Gruppe hieß "AmokZ". Ihr Gründer war Neo Ger David S., der auf Steam nach Recherchen eines Insiders auch als "Propheter Deutscher Stolz (AFD)", "Gottgleicher Deutscher" und - neun Tage vor der Münchner Tat - als "Amoklauf" unterwegs war.

Um dieses virtuelle Netzwerk aus Hass und Gewalt haben sich Ermittler des bayerischen Landeskriminalamts und des FBI gekümmert, nachdem vor mehr als einem Jahr der Politikwissenschaftler und Extremismus-Forscher Florian Hartleb als erster auf Kontakte des Münchner Attentäters in die Szene hingewiesen hatte. Gegen "Ivan", der möglicherweise in Katalonien sitzt, ermittelte die Staatsanwaltschaft München. Und auch die Steam-Gruppe "Hitmen for Hire" ("Killer zu vermieten"), auf der die Münchner Tat bejubelt wurde, ist laut einer Antwort des bayerischen Innenministeriums vom Juni auf eine Anfrage der Landtags-Grünen im Visier der Strafverfolger. In der Gruppe "Amoklauf" fanden sich Bewunderer von David S. zusammen. Etliche von ihnen wiesen nach Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz Bezüge zum Rechtsextremismus auf. Einer der Mitspieler nennt sich "judenvergasen". Extremistische Äußerungen und Inhalte auf Steam - laut Innenministerium ist das für den Verfassungsschutz keine Überraschung.

Gaming-Plattformen seien für Rechtsextremisten besonders interessant, schreibt das Innenministerium, weil es dort üblich sei, unter Pseudonym aufzutreten, und weil man sich in verdeckten Gruppen zusammenschließen könne. Was in der Antwort nicht genannt wird, aber wohl ebenfalls eine wichtige Rolle spielen dürfte: der in der Gamer-Szene allgegenwärtige und oft als Ironie verstandene schwarze "Humor". Fazit des Innenministeriums: "Somit ist es für Dritte leichter möglich, mit rechtsextremistischem Gedankengut in Kontakt zu kommen." Auch "die Gefahr einer weiteren Radikalisierung von Extremisten" durch derartige "Filterblasen" bejahte das Innenministerium in seiner Antwort an die Grünen.

Bis heute werden die Mörder im Netz verehrt

Vor allem eine Gruppe geriet durch Medienberichte in den Blick der Ermittler. Kreuzritter zieren das Profil. "Anti-refugee club" nannte der Gründer die Gruppe, die sich für "the only moral people in this situation" hielt. Die Situation? Das Chaos, in dem Europa seit der Ankunft der "Refugees" (die Anführungszeichen standen dabei) versinke. 770 angeblich "moralische Menschen" waren es am Ende, als Steam-Betreiber Valve die Gruppe im September 2017 abschaltete. Mitglieder waren David S., der Münchner Mörder, William A., sein amerikanischer Bewunderer, und David F., ein 15-Jähriger aus dem baden-württembergischen Kreis Ludwigsburg - derjenige, der S. aufforderte, seinen Hass freizulassen. Am Sonntag nach dem Münchner Massaker bilanzierte F. die Zahl der Opfer, als handle es sich um die Trefferquote in einem Ballerspiel.

Zwei Tage später nahm die Polizei den 15-Jährigen fest. Ein Spieleexperte hatte auf eigene Faust im Netz recherchiert und den Behörden den entscheidenden Tipp gegeben. Im Kinderzimmer des Jugendlichen fanden die Beamten "eine größere Anzahl Kleinkaliberpatronen, mehrere Messer und Dolche", außerdem Chemikalien und Anleitungen zur Herstellung von Sprengmitteln. Und dann plauderte der Jugendliche. Der Kontakt zu S. soll über die Spieleplattform Steam entstanden sein, vermittelt von einem jungen Amerikaner: William A. Auch dieser hatte 2016 schon Besuch von Polizisten bekommen. Harmloser Troll, befanden die FBI-Beamten danach. Das war ein fataler Irrtum. Am 7. Dezember 2017 griff A. selbst zur Waffe und erschoss in Aztec, New Mexico, an einer Highschool zwei junge Leute. Zwei Tage später informierten die US-Behörden dann das Bundeskriminalamt. A. habe Kontakte zum Münchner Attentäter S. gehabt, das gehe aus dessen eigenen Angaben hervor. Hinweise auf einen Austausch von Tatplanungen zwischen David S. und William A. haben die Ermittler laut Innenministerium jedoch nicht gefunden, auch keine "direkte Beeinflussung, Anstiftung oder direkte Radikalisierung".

Beide, William A. und David S., sind tot. Die Mörder erschossen sich nach ihren Taten. Im Netz werden sie bis heute verehrt. Namen und Pseudonyme der beiden Täter werden wieder benutzt. Ein Bewunderer des Aztec-Mörders zitiert auf Steam sein Vorbild und kündigt an, Galgen für Juden auf dem Münchner Marienplatz aufzustellen. Diese Gruppe sei wegen Verletzung der Regeln der Steam Community entfernt worden, heißt es inzwischen. "Cool", freut sich ein anderer User, David sei ja gar nicht tot. "David" behauptet von sich, er werde vom Landeskriminalamt gesucht. Ein anderer Bewunderer des Massenmörders hat zwischenzeitlich gleich mehrere Pseudonyme seines Vorbilds gekapert. Er werde für seine Taten sterben, schreibt er dazu, doch er werde nie vergessen werden. Neun Tote am OEZ, zwei in New Mexico, jetzt zwei in Halle - und alles nur ein Spiel?

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SZ vom 26.10.2019/lfr
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