Anschlag auf israelisches Generalkonsulat:Zwölf Minuten Terror

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Das israelische Generalkonsulat in München am Morgen nach dem Anschlag (Archivbild). (Foto: Matthias Balk/dpa)

Am 5. September 2024 schießt ein 18-Jähriger auf die Vertretung Israels und das NS-Dokuzentrum in München. Er stirbt nach einem Schusswechsel mit der Polizei, bei dem ihn 14 Kugeln treffen. Welche neuen Details zur Tat und zum Motiv die Ermittler nun nennen.

Von Stephan Handel

Emrah I., der am 5. September 2024 das israelische Generalkonsulat nahe dem Karolinenplatz angriff, starb durch 14 Treffer aus Polizeiwaffen. Er selbst hatte zuvor elf Schüsse aus einem alten Repetiergewehr abgegeben, davon drei auf die Polizeibeamten, die sich ihm entgegenstellten. Das ist eines der Ergebnisse der Ermittlungen, die die Generalstaatsanwaltschaft München, das bayerische Landeskriminalamt (LKA) und das Münchner Polizeipräsidium am Freitag in einer Pressekonferenz vorstellten.

Eine Rekonstruktion der Ermittler (Video: Bayerisches Landeskriminalamt)

Sebastian Herre ist Sachgebietsleiter Staatsschutz beim LKA und leitete zudem die Sonderkommission „Karolinenplatz“, die die Ereignisse von damals aufklären sollte. Laut Herre stieg der 18-jährige Österreicher Emrah I. an jenem Tag in das Auto seiner Mutter und fuhr nach München, wo er gegen neun Uhr eintraf. Er parkte das Auto in der Arcisstraße und begab sich zunächst zum NS-Dokuzentrum, auf das er zwei Schüsse abgab. Die Ermittler vermuten, dass I. das Zentrum mit seinem eigentlichen Ziel, dem Generalkonsulat verwechselt hat: Letzteres darf nicht fotografiert werden, sodass relativ wenige Bilder davon online sind. Gibt man hingegen die Adresse in die Bildersuche ein, erscheint oft das NS-Dokuzentrum.

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Als Emrah I. seinen Irrtum bemerkt, geht er weiter, am Ben-Haim-Forschungszentrum vorbei, dann nach rechts bis zum Leibniz-Rechenzentrum. Dort schießt er auf ein Fenster und steigt in das Gebäude ein. Zuvor öffnete er auf seinem Handy Google Maps, offensichtlich, um sich zu orientieren.

Als er durch das zerbrochene Fenster in das Gebäude einsteigt, verletzt er sich an der Hand, die Blutspuren erleichtern den Ermittlern später die Rekonstruktion der Tat. In dem Gebäude „irrt er im Erdgeschoss umher“, so Herre. Als er sieht, dass ihn das nicht weiterbringt, verlässt er das Haus und versucht, über den Zaun des Generalkonsulats zu klettern, indem er auf ein dort abgestelltes Auto steigt. Dies gelingt ihm jedoch nicht.

I. begibt sich nun zur Hauptzufahrt des Konsulats. Dort sticht er mit dem Bajonett, das an seinem Gewehr befestigt ist, auf ein Symbol des Staates Israel ein, das an einer Art Klingelkasten befestigt ist. Ebenfalls mit dem Bajonett beschädigt er das Fenster zum Wachraum des Konsulats. Was er nicht weiß: Die Polizeibeamten, die dort Dienst haben, haben das Gebäude verlassen, als sie die Schüsse auf das NS-Dokuzentrum hörten, und sind bereits auf der Suche nach dem Schützen, zusammen mit anderen Kollegen, die zufällig in der Nähe waren.

Nun geht I. zum Gebäude von Acatech, der Akademie der Technikwissenschaften. Er betritt dort eine Toilette und eine Art Kantine, die Acatech-Mitarbeiter verschanzen sich in oberen Stockwerken in ihren Büros. Hier gibt er weitere Schüsse ab. Einer davon durchschlägt den Motorblock eines geparkten Polizeiautos, es entsteht Totalschaden. Als er das Haus verlässt und zu einer kleinen Grünanlage gelangt, stellen ihn die Polizisten, es kommt zum Feuergefecht. Es dauert genau zwölf Minuten vom Parken des Wagens in der Arcisstraße bis zu Emrah I.s Tod.

Gabriele Tilmann leitet die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München. Sie sagt in der Pressekonferenz, dass die Ermittler mittlerweile von einer „israelfeindlichen“ Motivation des Täters ausgingen, während „islamistische Beweggründe nur eine untergeordnete Bedeutung“ hätten. Zwar fanden sich Anzeichen, dass er wohl mit der islamistischen Terror-Organisation HTS sympathisierte, es gab aber keine Hinweise auf konkrete Kontakte. Auch Mitwisser, Mittäter oder Anstifter seien nicht gefunden worden.

Tilmann bezeichnete den Täter als unreife Persönlichkeit, in Beruf und Ausbildung gescheitert, der Halt in einem immer rigider praktizierten Glauben suchte. Die österreichischen Behörden hatten gegen ihn ein Waffenbesitzverbot verhängt, weil er sich in einem anderen Ermittlungsverfahren verstörend über Waffen und Sprengstoff geäußert hatte. Dennoch hatte er in der Folgezeit mehrmals versucht, Waffen zu erwerben – erfolglos, denn professionelle Händler in Österreich haben Zugang zu einer Datei, aus der hervorgeht, wenn ein potenzieller Kunde keine Waffe erwerben darf.

Emrah I. fand dennoch eine Waffe – ein Privatmann verkaufte ihm einen Tag vor der Tat ein Repetiergewehr aus Schweizer Armeebeständen, Baujahr 1936, sowie 50 Schuss Munition für 300 Euro und das Bajonett für 50 Euro. Der Verkäufer wusste nicht von dem Waffenbesitzverbot, und anders als in Deutschland musste er den Verkauf auch nicht bei den Behörden anzeigen.

Zur Persönlichkeit des Täters sagte Gabriele Tilmann, er sei ein Außenseiter gewesen, ohne einen einzigen Freund, weder im richtigen Leben noch online. Als Muslim habe er sich ständig benachteiligt gefühlt. Als „Katalysator“ für seine Hinwendung zum Terrorismus habe schließlich der Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel vom Oktober 2023 gewirkt. Er habe sich mit den Tätern solidarisiert und im Internet nach „Israel Botschaft München“ gesucht.

Die Behörden vermuteten zunächst einen Zusammenhang mit dem Olympia-Attentat von 1972, das am Tattag genau 52 Jahre zurücklag. „Wir haben aber nichts gefunden“, sagte Gabriele Tilmann, „das diese Hypothese stützen würde, ob er sich des Jahrestags überhaupt bewusst war.“

Christian Huber, Vizepräsident des Polizeipräsidiums München, lobte unter anderem die Kommunikation der Polizei – durch die Information der Öffentlichkeit seien Gerüchte und Panik in der Bevölkerung wie beim Anschlag auf das OEZ vermieden worden. Außerdem hätten Münchner Polizisten durch ihre „professionelle Reaktion“ dafür gesorgt, dass die Tat schnell gestoppt wurde.

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