Zwei Kerzen werden zu Beginn des Gottesdienstes für Betroffene des Anschlags in der Seidlstraße am Montagabend vor dem Altar der Frauenkirche entzündet von Reinhard Kardinal Marx, dem Erzbischof von München und Freising, und Christian Kopp, dem Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Zwei Kerzen. Für Amel, 37, und ihre Tochter Hafsa, 2.
Die beiden wurden tödlich verletzt, als der 24 Jahre alte Afghane Farhad N. – ein abgelehnter Asylbewerber mit Duldungstitel – am Donnerstag seinen Mini Cooper in den Demonstrationszug der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi steuerte, in dem Amel und Hafsa mit einigen Hundert anderen für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen waren. 38 weitere Menschen wurden dabei verletzt nach neuesten Zählungen, 15 von ihnen schwer.

„Warum?“, fragt Reinhard Kardinal Marx zu Beginn der Zeremonie: „Wo sind Antworten auf die Fragen, die sich besonders die Betroffenen stellen, aber auch die, die gesehen haben, wie Menschen auf der Straße liegen, verletzt sind.“ Der Dom sei seit mehr als 500 Jahren ein christliches Gotteshaus. „Aber dieses Haus“, sagt Marx, „ist auch ein Haus für alle Münchner. Besonders die verängstigten, bedrohten, verletzten, zweifelnden, suchenden – Trost suchenden Menschen. Niemand ist ausgeschlossen, hier einen Ort zu finden, wo er seine Angst und seine Fragen lassen kann. Und auch die Wut.“
Wut, Angst, Fragen, Trost: Das sind die Eckpunkte, zwischen denen sich die 90-minütige Zeremonie mit vielen interkulturellen Bezügen bewegen wird. Und es ist ein Symbol, dass als Zweiter in diesem Gottesdienst ein Imam spricht: Benjamin Idriz, Vorsitzender des Münchner Forum für Islam.
Hafsa – der Name bedeute, „die Liebende, die Hilfsbereite“, lässt er die Hunderte wissen, die sich eingefunden haben: „Sie sollte das Leben noch entdecken, die Welt mit ihrem Lächeln erhellen. Doch der blinde Hass hat ihr nicht einmal die Chance gegeben, ihr Licht strahlen zu lassen.“ Über die Mutter sagt Idriz: „Amel – ihr Name bedeutet Hoffnung. Sie war eine Frau voller Mitgefühl, die für das Gute einstand, die Hoffnung verbreitete. Doch ihre Hoffnung wurde grausam zerstört. München trauert, Deutschland trauert, die Welt trauert.“
Die Opfer sollen im Mittelpunkt stehen an diesem Abend, aber Idriz transportiert auch eine Botschaft, die auf den Täter zielt. Der Anschlag wird von den Ermittlern als islamistisch motiviert eingestuft. „In Absprache mit muslimischen und afghanischen Gemeinden bekunden wir unsere Bestürzung, unser Mitgefühl und unsere Solidarität. Gemeinsam lehnen wir jede Form von Gewalt ab“, erklärt Idriz, und weiter: „Oh Gott, wir erheben unsere Hände zu dir mit flehenden Stimmen und mit tränenden Augen: Mache uns zum Werkzeug der Liebe, der Hoffnung und des Friedens.“
Es sind die politischsten Botschaften im ersten Teil des Abends, dem Gottesdienst. „Lass auch nicht zu, dass diese schreckliche Tat von jenen missbraucht wird, die Angst schüren und spalten und Hass mit neuem Hass beantworten wollen“, fährt Idriz fort, „lass nicht zu, dass das Gift der Feindseligkeit unsere Herzen vergiftet“.
Der Appell ans Miteinander ist der Faden, der an diesem Abend alles miteinander verbindet. Die Schilderung von Claudia Weber, der Geschäftsführerin von Verdi München, der Gewerkschaft, die den Zug organisierte, der zum Anschlagsziel wurde. Die Worte von Feuerwehrmann Tobias Scheller: „Wir mussten Momente der Hilflosigkeit erleben. Das macht uns unendlich traurig und wird uns noch lange beschäftigen.“ Den Wunsch von Bernd Fuchs, Werksleiter der Stadtentwässerung: „Menschen aus so vielen Nationen arbeiten hier jeden Tag zusammen. Ich bitte darum, dass wir weiter eine gute Gemeinschaft in der Stadt sind.“ Die Gebete von Shmuel Aharon Brodman, dem Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und von Archimandrit Georgios Siomos von der griechisch-orthodoxen Kirche.

Was in solchen Momenten Hoffnung spenden kann?
Christian Kopp, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, versuchte es mit einer Schilderung vom Anschlagsort: Zwei Schwestern in einem nahen Hospiz ließen, als sie die Tat realisierten, sofort alles stehen und liegen und liefen mit ihren Notfallkoffern auf die Straße, wo sie sich um die kümmerten, die Hilfe am dringendsten nötig hatten: Hafsa und Amel. Die Schwestern taten, was sie konnten. Als sie realisierten, dass dies womöglich nicht genug würde sein können, sprachen sie Segen und Gebete. „Wir müssen es aushalten, dass wir diesen Donnerstag nie vergessen werden“, sagte Kopp: „So eine irre Tat, gegen unschuldige, unvorbereitete Menschen.“
Die Politik trat an diesem Abend in den Hintergrund. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprachen erst nach dem Schlussgebet, also außerhalb des Gottesdienstes. Aber was sie sagten, hätte auch in der liturgischen Zeremonie Platz finden können.

Am Tatort sei ihm als erstes der Kinderwagen aufgefallen, berichtete Söder: „Feige, schändlich, verabscheuungswürdig“, nannte er die Tat. Aber er mahnte auch: „Kein Generalverdacht darf möglich sein. (..) Wir haben so viele großartige Menschen mit Migrationshintergrund in unserem Land, sie alle gehören zu Bayern, sie alle bekennen sich zu unserem Land, sie alle leisten großartige Arbeit, und sie gehören zu unserem Land, und die Kinder sind alles unsere Kinder.“ Und weiter: „Das Böse, das wir bekämpfen, hat nichts mit Herkunft, Nationalität oder Religion zu tun. Das Böse ist davon unabhängig.“ Er werde aber nicht zulassen, dass der Kampf dagegen, die Gesellschaft spalte: „Wir sind ein Land und eine Gemeinschaft heute in Trauer vereint.“
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter sprach von einer „barbarischen Mordtat“, die die Stadt „mitten ins Herz“ getroffen habe, und zitierte aus dem Statement der Familie, die unmittelbar nach dem Tod von Hafsa und Amel gebeten hatte, das Geschehene nicht politisch zu instrumentalisieren. „Wenn die Angehörigen von Amel und Hafsa in der Lage sind, die Kraft zu finden, sich so deutlich gegen die Instrumentalisierung der Tat auszusprechen und uns damit zu stärken, wie schwach und erbärmlich wären wir, wenn wir Politiker jetzt nicht in der Lage wären, die Migrationsdebatte sachlich, konstruktiv und vor allem menschlich zu führen“, mahnte Reiter. Seine Schlussformel, mit der er die Menschen verabschiedete: „München trauert. Aber München steht zusammen. Gerade jetzt.“