Fasching-Absage nach Anschlag mit zwei Toten:„Es ist furchtbar, dass ein Attentäter so viel Macht hat“

Lesezeit: 5 Min.

Christian IV. und Michaela II., das Faschingsprinzenpaar der Narrhalla, treten am Mittwoch im Hotel Bayerischer Hof reich geschmückt auf. (Foto: Robert Haas)

Nach der Absage öffentlicher Veranstaltungen durch die Stadt und die Faschingsgesellschaften ist die Enttäuschung bei Marktweibern und Standlbetreibern groß. Einig ist man sich aber, dass die Entscheidung nicht leicht gewesen sei – es gebe da kein Richtig oder Falsch.

Von Stephan Handel, Poul Heintzenberg, Joachim Mölter, Andreas Schubert

Kein Faschingsumzug, keine öffentliche Prosecco-Seligkeit, kein Tanz der Marktweiber: Trauer und Fassungslosigkeit über den Anschlag vom vergangenen Donnerstag bestimmen noch immer die Gemütslage der Stadt. Zwei Menschen sind gestorben, eine junge Frau und ihre zweijährige Tochter. Viele wurden zum Teil schwer verletzt. Die Stadt und die Faschingsgesellschaften halten deshalb ein öffentliches Faschingstreiben für unangebracht und haben es abgesagt. Weil vielerorts trotzdem gefeiert wird, haben nicht alle Verständnis für die Absage der öffentlichen Veranstaltungen.

„Das ist das Schlimmste, was hat passieren können“, sagt Christl Lang. Sie ist die Chefin der tanzenden Marktweiber und seit 37 Jahren mit auf der Bühne. „Wir waren immer mit Herzblut dabei, bei Wind und Wetter.“ Heuer hätte es ihr letzter Auftritt werden sollen: Sie, vier weitere Marktfrauen und Tanzlehrer Christian Langer wollten sich vom Publikum mit einer besonderen Show verabschieden. Ginge es nach ihr und anderen Marktfrauen, hätte man auch anders mit der Trauer umgehen können. Mit einer Schweigeminute etwa und einer Rede. „Es ist furchtbar, was passiert ist“, sagt Lang, die selbst ein Kind verloren hat und weiß, was Trauer bedeutet. „Aber das Leben muss weitergehen“, sagt sie. „Wir haben uns gedacht, es wäre erst recht eine Freude für die Leute, auch wenn es innerlich anders aussieht.“

Fasching auf dem Viktualienmarkt: So sah der Tanz der Marktweiber im vergangenen Jahr aus. (Foto: Catherina Hess)

Lang hört aus gesundheitlichen Gründen mit dem Tanzen auf, vielleicht wird sie aber ihren Abschied nächstes Jahr nachholen. Susanne Müller vom Stand „Kraut und Müller“ ist Langs Nachfolgerin als Sprecherin der tanzenden Marktweiber. Nach der Wiesn hatten die Proben für den Tanz auf dem Viktualienmarkt begonnen, am Unsinnigen Donnerstag und am Faschingsdienstag wäre der große Auftritt gewesen. „Wir sind total traurig“, sagt sie. „Wir waren in der Endphase des Trainings, sind gut vorbereitet und haben uns natürlich auf den Fasching gefreut, vor allem, weil es heuer eine besondere Performance gewesen wäre.“

Sie respektiere natürlich die Entscheidung, sagt Müller. „Wir wollten aber dem Terror keinen Raum geben und den Leuten ein bisschen Freude bereiten.“ Ob eine Schweigeminute besser gewesen wäre statt einer kompletten Absage? „Bei so einer Entscheidung gibt es kein Richtig oder Falsch“, sagt Müller, „die ist sehr wohl abgewogen worden.“

Nicht nur die Tänzerinnen trifft die Absage des Faschingstreibens, sondern auch viele Standlbetreiber, die am Faschingsdienstag Getränke ausschenken wollten und schon entsprechend einkauft haben. „Es geht uns aber nicht ums Geld“, betont Marco Stohr, der Sprecher der Marktkaufleute. Vielmehr gehe es um die Ungleichbehandlung, weil der Fasching anderswo durchaus stattfinde. „Sogar im Ratskeller, also im Rathaus“, so Stohr.

Wenn am Faschingsdienstag schönes Wetter sei, kämen die Menschen mit ihren irgendwo gekauften Bierflaschen und stellten sich am Viktualienmarkt in die Sonne. „Und wir müssen zuschauen.“ Der Ausschank von Alkohol ist nur den Betrieben am Markt erlaubt, die auch das ganze Jahr über ausschenken, etwa dem Biergarten. Kaufleute wie der Obsthändler Stohr dürfen dies nur mit Ausnahmegenehmigung, etwa am Faschingsdienstag.

Stohr sagt, er verstehe die Argumente für eine Absage, teile sie aber nicht. „Es ist furchtbar, dass ein Attentäter so viel Macht hat.“

Die Solidarität mit den Opfern habe den Verein zur Absage bewogen

Beim Verein der Damischen Ritter kann man die Absage nachvollziehen. „Wir maßen uns nicht an zu beurteilen, was richtig und falsch ist“, sagt Sprecher Alexander Filz.  Es gäbe bei so einer Entscheidung sehr viel zu berücksichtigen. Am Montag hatte der Faschingsverein seinen traditionellen Umzug durch die Münchener Innenstadt abgesagt. Sicherheitsüberlegungen seien dabei nicht der ausschlaggebende Punkt gewesen, so Filz. Es sei vor allem die Solidarität mit den Opfern, die den Verein zur Absage bewogen habe. „Der Umzug würde nicht fröhlich werden.“ Leicht habe man sich die Entscheidung angesichts der vielen Stunden Arbeit, die bereits hineingesteckt wurde, nicht gemacht. Der Kinderball der Damischen Ritter solle jedoch weiterhin stattfinden. „Wir wollen Kinderaugen leuchten sehen“, sagt Filz.

Auch der am Umzug beteiligte Faschingsverein Narrhalla unterstützt die Absage. „Es war die einzige Lösung, um der Situation Rechnung zu tragen“, so Schatzmeister Matthias Stolz. Die Partys „Monaco Nights“, „Schlagerfasching“ und „Narrhalla, die Waldfee!“ sollen aber weiterhin stattfinden. Stolz weist hierbei unter anderem auf die zeitliche Distanz zum Anschlag hin. Zustimmung findet Stolz von dem Münchner Prinzenpaar, Christian IV. und Michaela II. „Klar ist das schade“, sagt Prinzessin Michaela. Aber es sei durchaus verständlich, meint auch ihr Prinzengatte.

Schließlich falle der Fasching ja nicht vollständig aus. Der Prinzenball im Deutschen Theater fand bereits statt und auch die große Kostümparty im Bayerischen Hof, in dem die beiden derzeit wohnen, zähle noch zu den kommenden Höhepunkten. Besonders am Herzen lägen ihnen außerdem die Besuche in gemeinnützigen Einrichtungen wie Altersheimen oder Hospizen. „Es ist uns wichtig, Freude zu den Menschen zu bringen“, so der Faschingsprinz.

Weil vielerorts trotzdem gefeiert wird, haben nicht alle Verständnis für die Absage der öffentlichen Faschingsveranstaltungen. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Auch Elisabeth Proyer, Präsidentin der Faschingsgesellschaft Würmesia, weist auf die Bedeutung der karitativen Arbeit hin. Zwar können sie nachvollziehen, wie schwierig diese Entscheidung gewesen sei, man sende mit der Absage jedoch das falsche Signal. Gerade in so einer Situation dürfe man den Terror nicht gewinnen lassen, so Proyer: „Wir lassen uns unser Lebensgefühl nicht kaputt machen.“

Das Faschingstreiben könne die Menschen ablenken und ihnen Hoffnung spenden. Proyer betont zudem, dass die Absage ein herber Schlag sei für die Menschen, die bereits viel Arbeit in die Vorbereitungen gesteckt hätten.

„Nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“

Unter den Rathaus-Fraktionen herrschte am Mittwoch „großes Verständnis dafür, dass man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann“, sagte CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl. Überrascht habe ihn allerdings die komplette Absage der öffentlichen Veranstaltungen.  „Wenn aufgrund solcher Anschläge Veranstaltungen abgesagt und Traditionen nicht gefeiert werden, haben die Terroristen ihr Ziel erreicht. Sie greifen unsere Lebensweise und unsere Lebensfreude an.“ Daher hielte er es für legitim, nach einer gewissen Trauerzeit auch wieder Feste stattfinden zu lassen, „wenn es sicherheitstechnisch vertretbar ist“.

Ähnlich äußerte sich Tobias Ruff von der ÖDP: „Ich verstehe, dass aktuell vielen nicht der Sinn nach Party und Faschingstreiben steht. Der Verzicht zeugt von Respekt gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen.“ Es sei aber „auch wichtig, dass die Trauer nicht zum Dauerzustand wird“, fügte er hinzu:  Terror, Angst und Verunsicherung dürften nicht gewinnen. FDP-Chef Jörg Hoffmann plädierte für Geschlossenheit: „Der Stadtrat muss nun gemeinsame Lösungen finden, wie ein normales Leben in München nach dieser Tat wieder möglich wird.“

Über mögliche Sicherheitsbedenken sagte Hoffmann nur, er respektiere die Entscheidung der zuständigen Stellen: „Es ist nicht die Aufgabe politischer Akteure, in deren Arbeit einzugreifen.“ Für die Grünen sagte deren Fraktionschef Sebastian Weisenburger: „Wir finden es richtig, dass der Fasching nun aus Pietätsgründen nicht stattfinden kann. Es geht hier unserer Ansicht nach tatsächlich darum, Trauer zuzulassen und nicht um Sicherheitsfragen.“

Dass diese Priorität haben müssten bei der Entscheidung, ob Veranstaltungen mit Menschenmassen stattfinden, findet indes der Stadtrat Richard Progl von der Bayernpartei. Er wendet ein: „Was ich kritisch sehe, ist, dass Bräuche wie das Faschingstreiben abgesagt werden, während die vom Stadtrat beschlossene Beleuchtung städtischer Gebäude zur Feier des Ramadans, der kommende Woche beginnt, stattfindet.“ Progl plädiert dafür, die Bedürfnisse aller Bürger gleichermaßen zu berücksichtigen, „ohne bevorzugte oder benachteiligte Gruppen“.

Die Münchner Polizei sagt, sie sei in die Entscheidungen nicht eingebunden gewesen: „Das war allein eine Entscheidung der Stadt“, so ein Sprecher. „Wir hätten allerdings auch keine Sicherheitsbedenken geäußert.“ Für das Faschingswochenende sprach er von einer „erhöhten abstrakten, aber keiner konkreten Gefahr“. Das sei aber die vergangenen Jahre schon so gewesen, weshalb „spezielle Einsatzkräfte“ bereitstehen würden. Zu privaten, spontanen Feierlichkeiten meinte er, diese würden „im Rahmen der alltäglichen Einsatzlage“ auf Verstöße und Gefahren beobachtet. „Aber der Fasching an sich ist ja nicht verboten.“

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Statement nach Anschlag in München
:Familie bittet darum, Tod der Verstorbenen nicht zu instrumentalisieren

„Amel war ein Mensch, der sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat“: Die Familie der Mutter und ihrer zweijährigen Tochter hat die SZ zu einem Gespräch gebeten und eine emotionale Botschaft veröffentlicht.

Von Bernd Kastner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: