Süddeutsche Zeitung

Andreas Gabalier in München:Berauscht von der eigenen Großartigkeit

90 000 Fans feiern den "Volks-Rock'n'Roller" Andreas Gabalier bei dessen Konzert. Das erste von drei Mega-Konzerten in Riem wird ein voller Erfolg, der Wirtschaftsreferent gibt sich ekstatisch: "Geil, geiler, Konzerte in der Messe!"

Von Michael Zirnstein

Natürlich war es "nicht nur ein Konzert der Superlative", wie die Hauptperson des Abends, Andreas Gabalier, feststellte. Seine Mission sah der Steirer Musiker am Samstagabend darin, "ein unvergessliches Lebenszeichen von München in die Welt hinaus" zu senden, wie er mehrmals in die Menge rief. Nun hörte vielleicht nicht die ganze Welt zu, aber immerhin 90 000 Fans im "Epizentrum des Volks-Rock'Roll". Selbst für den König des Alpen-Disco-Schlagers "eine Größendimension, die man noch nicht gesehen hat".

Was zumindest für München gilt, und vor allem für das 150-Meter-breite Bühnenwunderwerk. Genau darum ging es in diesem "Pilotprojekt": Taugt das Münchner Messe-Freigelände für solch eine Megashow, denn bald werden Helene Fischer und Robbie Williams folgen? Auch Marek Lieberberg, Europas größter Event-Macher, war gekommen, um zu sehen, wie sein Grazer Kollege Klaus Leutgeb die Herausforderung - und die in seinen Augen übereifrige Münchner Ordnungswut - meistert.

Die Übung gelang, dank "5000 fleißiger Heinzelmännchen" (Gabalier), und dank Ortskräften wie 150 Polizeibeamten und 100 Ärztinnen und Sanitätern, die von den sich artig anstellenden und einordnenden Massen nicht über die Maßen strapaziert wurden. U-Bahn-Takt-Verstärkung und PKW-Leitsystem verhinderten das große Chaos. . Das Konzept habe Zukunft, resümierte Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner: "Geil, geiler, Konzerte in der Messe!"

"Geil" fällt oft. Am Ende aber liegt "Lebensfreude pur!" eine Gamsgeweihlänge vor "ganz München". Zwar hat Andreas Gabalier beide Begriffspaare gleich gehirnwaschend häufig in die Menge hineingepaukt, also zu fast jeder Nummer. Aber "Lebensfreude pur" kommt der Realität der jauchzenden Mehrheit bei diesem allerersten Open-Air-Orgasmus auf der Messe eben viel näher; zu "ganz München" fehlten ja doch rechnerisch 1,4 Millionen Menschen.

Aber klar, Bescheidenheit füllt keine Stadien. Berauscht von der eigenen Großartigkeit nimmt es der sich gern demütig zeigende Steirer Selfmade-Pop-Millionär manchmal nicht ganz so genau. Oder steckt gar nicht der Rausch hinter der Übertreibung, das "Geflasht"-Sein, ganz "gerührt" ob dieses Abends, der "in die Geschichte eingehen" wird? Sondern steckt gar Absicht in der Repetition der Selbstlob-Superlative? Wie beispielsweise: "Das nächste Lied ist das erfolgreichste, das es jemals gegeben hat, es wurde auf Abermillionen Partys rauf- und runtergespielt, und jetzt wird es mehr als 100 000 Besucher in Ekstase versetzen..." (zu "Hulapalu", das in der Tat ein Meisterwerk der bescheuert jodelnden Gaudimache ist).

Gabalier weiß, wie man sich bestmöglich vermarktet

Nein, bis auf einen kleinen Ansage-Versprecher (da sagte er ergriffen von der eigenen Fürsorge für die Fan-Kinder, denen man ein eigenes Podest errichtet habe, es rühre ihn zu "kleinen Krokodilstränen") läuft das alles nach Plan. Der Mann ist schließlich aus der Werbung. Bevor er 2009 gleich vor 14 000 Gästen des Bauernbundballs debütierte, hatte er an der Grazer Handelsakademie über Produktnutzen, Slogans und Marketing studiert.

Er erfand also nicht nur die Marke "Volks-Rock'n'Roll" und ließ sie patentieren, er überlegte auch ganz genau, wie man selbst in Berlin die "Madln und die Buam" zu trachtenartiger Kostümierung verleitet. So wie in München, wo man mit dem Stoff der Karohemden die Tische sämtlicher Pizzerien von Hamburg bis Neapel decken könnte und für all die Hirschlederhosen in Indien eine ganze Ziegengeneration sterben musste.

Gabalier ist schon eine ehrliche Haut. Das findet sein Kumpel aus Berlin, der mit Anekdoten etwa über gebärende Frauen in der Pandemie die Wartenden auf diesen "saugeilen Typ" einstimmt. Der Charmanteste und Hilfsbereiteste überhaupt sei der Andi. Sagte der Mario. Barth. Als BER-Opfer ganz überwältigt von der Riesenarena, die München da binnen fünf Wochen hochgezogen habe. Da staunt der Stadien-Comedian zurecht. Die 150 Meter weit ausladende, vollflächig mit LEDs vertäfelte Bühnenwand des Münchner Stagedesign-Stars in L.A. Florian Wieder, der Licht- und Flammenkosmos von Roland Greil (Rammstein) und der für ein Open-Air brillante Sound überstrahlen alle Erwartungen (nur die Videobilder kommen etwas zeitversetzt an).

Das ist Konzert-Science-Fiction, ein Quantensprung wie James Webb nach Hubble, neue Schärfe, Wohnzimmer-Nähe, unendliche Weiten. "Wie geil ist das denn?", findet Barth. Aus Freundschaft hat der Komiker den Warm-up übernommen. Überraschung gelungen. Viel mehr Unerwartetes gibt es nicht. Höchstens den flotten Rap-Teil in "Hulapalu" (irgendwas reimt sich auf "Bluse"). Ansonsten: Überwältigungs-Routine.

Gabalier ist gleich Beständigkeit. Betont er. Das Lied "Bergbauernbuam" stehe für "unser" aller Lebensgefühl, nämlich Tradition. Eine, "unsere", heile Welt, die er gegen alle (Medien-)Miesmacher verteidigt. Wie der andere Andreas, der Hofer, der Freiheitskämpfer und Volksheld (auch vieler Rechter), dem er in Heimatreklamelied "Südtirol" huldigt.

Wenn sich also Münchner Rechtsanwälte und Zahnärzte mit den Lederhosen wappnen (wie Barth es überspitzte), dann wollen die keine Revolution, sondern einen Abend lang eherne Werte ausleben wie Elvis und der Geißenpeter, deren Schnittmenge Gabalier eben ist. Allzu oft hatten ihm Kritiker sein konservatives Geschlechterrollenverständnis vorgehalten. Im Song "Liebesleben" auf dem neuen Album "Ein neuer Anfang" stellt er aber ein für alle Mal klar, dass für ihn auch Homosexuelle sich lieben dürfen. In München singt er das nicht. Dagegen ist "Bügel dein Dirndl gscheit auf" vom selben Album der Hit, der bei Frauen nicht nur Fesch-Sein, "Supersmile" und "Straight flush Lebensfreud" honoriert, sondern auch Hausfraulichkeit.

Nicht zu ernst nehmen, bitte, alles Schmäh. Er gibt breitbeinig den Lausbub, den Gewichtestemmer, den Stenz, den lucky Lackl, der im vollen Wiesnzelt einen letzten Platz am Tisch eines vorgeglühten Junggeselinnenabschieds direkt neben der Kapelle ergattert und mit ausgebreiteten Armen die Nacht seines Lebens erwartet. Das sind seine Signature-Moves, wie das Hand-am-Ohrwaschelwatscheln entlang der Jubelschreier, das Kreisen des lederumspannten "Oarschs" oder das Überwältigt-Umfallen.

"Wahnsinnsmoment." "Schunkelstimmung." Er sagt ständig, was man fühlen darf und machen soll: Hände hoch! Handylicht an! Nachbarin umarmen! Die Madln auf die Schultern hieven! Wie kein Anderer arbeitet er mit der Masse. Getragen von einer (namentlich nie vorgestellten) Tiptop-Band spielt er auf der Publikumsorgel, schweißt "ganz München" mal zum "unvergesslichen Willkommens-Chor", mal zum "Zurück-ins-Leben-Chor", mal zum "größten Lichtermeer" zusammen.

"Lebensfreud pur." Das wirkt schon. Wie bei dem "Bergsteigermüsli" aus der irrwitzigen Werbung, das die einen dann eben kennen und kaufen und echt "lecker, lecker, lecker" finden; die anderen verschmähen es genervt gerade deshalb. Alles einkalkuliert.

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