Süddeutsche Zeitung

München:"Am Ende geht immer alles gut aus"

Seit 24 Jahren komponiert Studiendirektor Wilfried Michl die Musik für die Musical-Aufführungen an der städtischen Fachakademie für Sozialpädagogik. "Akahata, der Zauberer" könnte das letzte Stück des früheren Opernsängers sein - vor der Rente

Von Ilona Gerdom

Zweimal links, zweimal rechts, zweimal vorne. 30 Bambusstangen schlagen im gleichen Rhythmus auf den Holzboden. Er scheint zu vibrieren, während 15 kniende Jugendliche im selben Takt auf die Dielen klopfen. Die Theaterbühne ist an diesem Tag ein Dorfplatz. Die jungen Frauen und Männer sind nicht in Obergiesing, sondern im Örtchen "Ekumena". Sie erheben sich, fangen an zu singen: "Wir brauchen mehr Wasser für die Mühlen! Wir brauchen dringend einen größeren See!". Ein Staudamm soll her für mehr Erträge. Früher wäre das nicht passiert. Da waren die Dorfbewohner noch freundlich, genügsam und sehr, sehr glücklich. Jetzt denken sie, dass "mehr" gleich "besser" ist. Stück für Stück werden sie zu habgierigen Egoisten. Es ist eine Schlüsselszene des Musicals "Akahata, der Zauberer", das die Schüler der städtischen Fachakademie für Sozialpädagogik proben. Seit 24 Jahren wird jedes Jahr ein Musiktheater einstudiert. Genauso lange komponiert Wilfried Michl als musikalischer Leiter die Musik dazu. Weil sein Ruhestand naht, wird das 24. Stück vermutlich auch das letzte sein.

Eine Dorfbewohnerin singt von ihren Zweifeln am Staudamm. Die anderen verdrehen die Augen, scharren wütend mit den Füßen. Manche schielen ab und zu auf den Boden zur aufgeschlagenen Partitur. Auch Wilfried Michl hält eine in der Hand, er tippt darauf und sagt: "Das ist schon viel Arbeit. Manchmal schreib ich's kompliziert, weil's mit mir durchgeht." Er lächelt entschuldigend. Mit Musik kennt er sich eben aus. Nicht nur, weil er an der Akademie der Studiendirektor des Fachs ist: Früher war er Opernsänger.

Es fällt schwer, sich den 65-Jährigen in der feinen Umgebung eines Opernhauses vorzustellen. Mit seinem blau-rot-karierten Hemd, das er bis über die Ellenbogen hochgekrempelt hat, sieht er aus wie einer, der gern anpackt. Zum Anpacken gibt es bei so einem Musical allerhand. Immerhin wirken an die 80 Darsteller mit - die 40 Musiker des Orchesters nicht eingerechnet. Die meisten der Sänger sind in der Erzieher-Ausbildung. Zum Lehrplan gehören Übungen, aus denen sie wählen können. Eine davon ist Theaterpädagogik. Doch auch ehemalige Schüler spielen mit. Vielen von ihnen hat es in der Schulzeit so großen Spaß gemacht, dass sie nicht aufhören wollen. Nicht nur das Mitmachen ist gefragt, die Show selbst ist gut besucht. 374 Sitzplätze gibt es im Theatersaal, nur noch wenige davon sind für die zwölf anstehenden Aufführungen zu haben.

Auf die Bühne tritt nun der Zauberer Akahata. Um Reichtum zu erlangen, haben sich die Bewohner auf einen Pakt mit ihm eingelassen. Seitdem holt er jedes Jahr einen von ihnen zu sich, der nie mehr zurückkehrt. Während sie selbst weniger werden, kommen Reisende nach Ekumena. Sie mussten aus ihrer Heimat fliehen, weil die Ressourcen knapp geworden sind. Die Ekumener sind daran nicht unschuldig, beuten sie doch andere zu ihrem Vorteil aus. Trotzdem wollen sie ihr Vermögen, ihr Land, nicht einmal ihr Dorf teilen. Man ahnt, worauf die Erzählung Bezug nimmt. Tatsächlich kam der Einfall von einer ehemaligen Studierenden, die in einer Flüchtlingsunterkunft arbeitet.

Seit März beschäftigen sich Wilfried Michl und Regisseur Matthias Spengler damit, aus der Idee eine Musikaufführung zu machen. "Es ist ein geniales Miteinander. Wir verstehen uns relativ blind", sagt Spengler. Als Studierender hatte er selbst schon 1996 die Hauptrolle des ersten Stücks - "Prinz Pfifferling" - gespielt. Heute ist er Leiter der heilpädagogischen Tagesstätte des Blindeninstituts. Daneben ist er einmal in der Woche an der Fachakademie. Als Lehrer für Theaterpädagogik führt er seit 2003 die Regie der Musikinszenierungen. Dazu gehört die gesamte Koordination von Bühnenbild über die Maske bis hin zum Licht und das Schreiben der Geschichten. Während Spengler die Erzählung formuliert, bespricht er sich meist schon mit dem früheren Opernsänger. Daraus entstehe ein Gefühl und schließlich Michls Lied mit Text. Im September, wenn das Unterrichtsjahr beginnt, finden die ersten Proben statt. Michl findet es schön zu sehen, wie das Musical langsam wächst. Wie manche Schüler, die vorher noch nie auf der Bühne gestanden haben, sich entwickeln. Spengler sagt, dass es genau darum gehe: "Nicht das Stück steht im Vordergrund, sondern die Leute auf der Bühne. Theaterpädagogik ist für die Ausbildung wichtig, weil man dabei mit Spaß sehr viel lernt."

Akahata verlässt die Bühne wieder - mit seinem Opfer im Schlepptau. Einem blonden Mädchen sieht man die Erleichterung an, als sie ausstößt: "Ich bin es nicht!" Im wirklichen Leben heißt sie Anja Bergmüller und ist in ihrem ersten Erzieher-Ausbildungsjahr. Sie sagt, sie habe eine Aufführung des letzten Musicals gesehen. Weil Musik ihre Leidenschaft ist, wollte sie in diesem Jahr mitmachen. Die 19-Jährige sagt zwar, dass man viel Zeit investiere, aber das Ganze sei "sehr professionell" gemacht. Das liegt auch an Michls Anspruch. "Der ist der eines Profis", sagt er. Obwohl er eigentlich mit Amateuren zusammenarbeite. Er habe immer möglichst nah an ein "Profi-Theater" rangewollt. Er erklärt: "Ich lobe unheimlich gerne. Aber manchmal ist es gut, wenn man sieht, dass noch Luft nach oben ist. Dass man sich noch verbessern kann."

Vor der Bühne gestikuliert Spengler mit den Armen. "Was ich von euch will, ist ein bisschen mehr Leben! Seid froh, dass Akahata euch nicht mitgenommen hat!", ruft er nach oben. Alle stellen sich auf, die Szene wird noch mal gespielt, trotz der Kritik wirkt niemand verstimmt. "Die Motivation der Leute ist toll. Da steckt man sich auch gegenseitig an", sagt Michl. Er merke das auch, wenn die Aufführungen stattfinden. Es sei ein bisschen so, als springe die jugendliche Energie auf das Publikum über. Das ist ihm seit 24 Jahren das Wichtigste. Welches sein Lieblingsmusical sei? Da gebe es eigentlich keins. Jedes Stück habe eine Aussage. So war es schon 1997 bei "Das Duett im Internet". Auch hinter "Funky Jodelhausen" vor zwölf Jahren steckte mehr als nur ein Schülerprojekt. Genauso wie 2009 ein moralischer Impuls "Die Mauer" trug. Alle hatten laut Michl eines gemeinsam: "Am Ende geht immer alles gut aus". Sein Blick geht zur Bühne. Dort wüten die Dorfbewohner gerade, gucken die Reisenden böse an. "Wär schon gut, wenn die Leute auch was mitnehmen", fügt er nachdenklich hinzu. Für die echte Welt können leider weder Wilfried Michl noch Matthias Spengler ein Happy End schreiben.

Die Uraufführung beginnt an diesem Dienstag, 29. Januar, um 15 Uhr. Informationen zu weiteren Vorstellungen an der Schlierseestraße 47 findet man im Internet unter der Adresse www.musical-geheimtipp.de. An der Abendkasse sind noch wenige Restkarten verfügbar.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2019
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