Süddeutsche Zeitung

Neues Verkehrskonzept:Zähes Ringen um den Bürgerwillen

Mit dem Projekt "autoarme Altstadt" sollen im Tal 32 Parkplätze wegfallen und die Flächen neu verteilt werden. Das treibt Anwohner auf die Barrikaden. Drei Gesprächsrunden brachten keine Annäherung, eine vierte ist geplant

Von Julian Raff, Altstadt

Wer als Anwohner oder Besucher sein Auto im Tal abstellen will, braucht seit jeher Zuversicht und Kampfgeist. Seit die Stadtspitze hier ihre Grundsatzbeschlüsse zur "autoarmen Altstadt" umsetzen will, wird aber an Mikrofonen fast noch zäher um Stellplätze gerungen als am Steuer. Dreieinhalb Stunden lang prallten im Bezirksausschuss (BA) alte und neue Argumente für und wider die Streichung von 32 Anwohner- und Bezahlparkplätzen aufeinander. Am Ende versprach das Gremium zwar, die Einwände der Tal-Bürgerinitiative (BI) in einer weiteren Beratungsrunde aufzugreifen, auf einen weitgehenden Verlust der Parkplätze müssen sich die Anwohner aber einstellen.

Zwei exklusive Anwohnerrunden, eine virtuell, eine im Alten Rathaus, sowie die große Bürgerversammlung im Circus Krone hatten keine Annäherung gebracht. Auf einen Bürgerwunsch eingegangen ist das Mobilitätsreferat inzwischen mit einer "Vorzugsvariante", die den Halt für Sightseeing- und Linienbusse sowie einen Großteil der Taxistände am Tal-Westende bei der Heilig-Geist-Kirche belässt statt sie, wie bisher geplant, in die Mitte zu verlegen, vor die Türen der größten Wohnhäuser. Den Straßenraum zwischen Schneider-Bräuhaus und Isartor teilt aber auch der aktuelle Plan in Lieferzonen, eine Handvoll Behindertenparkplätze und große "Umnutzungsflächen" auf. Dort sollen zum Beispiel Fahrradständer, Schankflächen oder "konsumfreie" Sitzmöbel die Parkplätze ersetzen und so mehr Platz auf den Trottoirs schaffen. Ein Restkontingent fürs Anwohnerparken ist erneut ebenso wenig vorgesehen wie die von der BI geforderten Patienten-Parkplätze für die rund 80 Arztpraxen ringsum. Wie Verkehrsplaner Tobias Steurer erklärte, gesteht das "privilegierungsfeindliche" Bundesrecht lediglich Autofahrern mit Schwerbehindertenausweis reservierte Parkplätze zu. Mehr rechtlichen Spielraum als das Mobilitätsreferat sehen die Anwohner aber beim Exklusiv-Parken für Carsharing-Pkw. Roman Roell brachte Ladezonen ins Gespräch, die nach Berliner Vorbild außerhalb der Lieferzeiten für Sharing-Fahrzeuge offen bleiben. Julia Rothmayer (SPD) versprach Klärung. Dass die ungeliebte Parkplatz-Streichung überhaupt Ruhe ins Tal bringt, bezweifeln die Anrainer, und das nicht nur wegen des künftigen Baustellenverkehrs vom Marienhof. Auswärtige würden sich auch ohne Aussicht auf einen Parkplatz nicht von der Einfahrt abhalten lassen, außer durch ein entsprechendes Verbot. Auch andere Unsitten, etwa das Parken in zweiter Reihe, seien nicht auszumerzen, verstopften aber die 2013 verschmälerte Fahrbahn heute noch mehr, beobachtet Günther Barff.

Den Großteil des Abends beanspruchten aber nicht Detail-, sondern Grundsatzdebatten, etwa um den tatsächlichen Bürgerwillen. Mit dem Hinweis, er sei in seiner Nachbarschaft nicht der einzige, hatte sich ein Bürger hinter die von vielen anderen abgelehnte Planung gestellt. Die BA-Fraktionen stritten vor allem über Bindungskraft und Inhalt der zugrunde liegenden Stadtratsbeschlüsse. Während Bernhard Wittek (CSU) der BA-Mehrheit vorhielt, sie wolle sich als "Musterschüler gegenüber der Grünen-Ratsfraktion" profilieren, und Wolfgang Püschel (SPD) einen nachträglichen Kurswechsel im Stadtrat nicht ausschließt, sieht Philippe Louis (Grüne) das Aus für die Parkplätze unwiderruflich "gesetzt". Im Übrigen, so Louis, fänden Lizenzinhaber in der Altstadt immer noch mehr freie Plätze als im Lehel oder in Schwabing-West. Eine weitere (Bürger-)Diskussion im Unterausschuss Mobilität/Öffentlicher Raum lehnte Louis als dessen Leiter ab, da diese erneut den Rahmen sprengen werde.

Über Termin und Form der neuen Beratung soll nun der BA-Vorstand entscheiden, sie wird jedenfalls "auf Basis der Vorzugsvariante" erfolgen. Für CSU, SPD und FDP/FW kann dies den Erhalt einiger Parkplätze bedeuten, für die Grünen nur die komplette Streichung, wie auch Markus Stadler und BA-Chefin Andrea Stadler-Bachmaier klarstellten.

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SZ vom 29.07.2021/van
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