Ja ja, das ist jetzt ein Klischee zu Beginn, aber: München ist die nördlichste Stadt Italiens. Wobei es ja richtigerweise heißen müsste: München sieht sich als nördlichste Stadt Italiens. Nicht umsonst hat man sich einst mit der dann doch verstörend deutsch klingenden "Feldherrnhalle" auf den Odeonsplatz eine recht originalgetreue Kopie der Florentiner "Loggia dei Lanzi" ins Herz der Stadt gestellt. Es gäbe weitere Beispiele für das Italo-Washing. Aber der Odeonsplatz ist auch deswegen so interessant, weil es genau hier besonders dissonant quietscht zwischen Italien-Ideal und München-Realität. Spätestens dann, wenn sich der abendliche Durst meldet - und es zwar schick, aber nicht Schickeria sein soll. Etwas mehr italienische Lässigkeit und etwas weniger angestrengter Münchner Statusbeschau. Ein Aperol Spritz allein macht schließlich noch kein Italien.
Voller Fernweh spaziert man also umher, die wenig florentinisch-romantische Brienner Straße entlang und findet: die Bar Alvino. Erster Eindruck: Das sieht für die Lage erstaunlich gemütlich aus. Die kleinen Zweier- und Dreier-Holztische stehen in gesprächsfreundlichem Abstand am Rand, auf der anderen Seite eine große Bartheke, dahinter ist alles aufgereiht, was das Aperitivo-Herz begehrt: Aperol, Campari, Wermut - und natürlich: Wein. Der Barkeeper spricht mit einer Frau italienisch. Ja, das hat etwas unaufgeregt Schickes: nicht Münchner Abend-, sondern italienisches Sommerkleid. Ist das hier wirklich eine kleine römische Enklave mitten in München?
Bevor sich die Trinkenden zu sehr der deutschen Tristesse entledigen, erinnert ein raumgreifendes Wandgemälde über der Bar an die ärgerliche, weil nördliche Alpenlage. Ein Bergidyll ist zu sehen: ein Bächlein da, ein mit Schnee bezuckerter Gipfel hier, dazwischen kleine Trachtenmenschen und Bergkühe unter blauem Himmel. Ach, ist das ein herrlich kitschiges Wimmelbild. Wann fährt eigentlich der nächste Nachtzug vom Hauptbahnhof nach Italien? Südtirol würde ja auch schon reichen.
Erster Blick auf die Getränkekarte: Aperol Spritz für 7,80 Euro. Ein fairer Preis für München, ein horrender Preis in Italien - da ist sie wieder, diese verdammungswürdige nördliche Alpenlage. Ansonsten wird es hier allen schmecken, die ihren Aperitif lieber italienisch-bitter als eingedeutscht-süß trinken. Empfehlung des Hauses ist ein Negroni Sbagliato (11,90 Euro), dem man sich nur allzu gerne ausliefert. Dazu gibt es eine kleine Schüssel Chips. Eigentlich wollte der Inkognito-Bartester aus gesundheitlich-nüchternen Gedanken anschließend auf eine Stichprobe aus der umfangreichen Weinkarte verzichten. Aber da stand schon ein Glas roter Naturwein vor ihm - ebenso dezent und freundlich auf den Tisch geschenkt wie der gesamte Service an diesem Abend.
Weil zum Aperitif in Italien das nachträgliche Essen gehört wie in München das Weißbier zur Weißwurst, bietet die Bar Alvino natürlich auch eine kleine Auswahl an Essen an. Vor allem Pinse, die sich zwar eher den hiesigen, denn den römischen Preisen anschmiegen - zwischen 11,50 Euro (Pinsa Napoli mit Sardellen und Kapern) und 16,50 Euro (Pinsa Bresaola mit Parmesan, Rucola und Bresaola). Dafür aber knackt der Teig und der Bufala-Mozarella zerläuft - was will man mehr? Vielleicht, dass es mehr solcher italienischen Bars in München gäbe, um die Stadt tatsächlich mit ihrem eigenen Selbstverständnis zu versöhnen.
Bar Alvino , Brienner Straße 10, 80333 München, geöffnet Montag bis Samstag von 10 bis 1 Uhr, Sonntag geschlossen.