Süddeutsche Zeitung

München:Die Uhren des Alten Peter stehen still

Der Turm der Kirche St. Peter ist seit Jahrhunderten eine Institution, wenn Münchnerinnen und Münchner wissen wollen, wie spät es ist. Dass sich die Zeiger nicht mehr bewegen, könnte eine Chance sein.

Glosse von Stefan Simon

Als Karl Valentin einmal gefragt wurde, weshalb am Alten Peter gleich acht riesige Zifferblätter hängen, war der Komiker um eine Antwort nicht verlegen: "Ja mei, damit acht Leute gleichzeitig auf die Uhr schauen können." Es ist schade, dass man ihn heute nichts mehr fragen kann. Das Klima, der Putin, die Stammstrecke, Großbritannien - es gäbe so viel zu erklären. Aber mei. Und am liebsten würde man auch von Karl Valentin erfahren, warum alle acht Uhren am Alten Peter gerade auf Mittag stehen. Oder stehen sie auf Mitternacht? Hängt möglicherweise von den Lichtverhältnissen ab. Oder von der inneren Einstellung.

Münchens älteste Pfarrkirche war im 14. Jahrhundert auch das erste Gebäude in der Stadt, an dem eine öffentliche Uhr angebracht wurde. Das geschah nur kurz nachdem eine derart präzise Zeitanzeige überhaupt erfunden worden war. Stunden und Minuten nach heutigem Verständnis gab es davor nicht, was muss das für ein glückseliges Leben gewesen sein. Man traf sich nach dem ersten Hahnenschrei oder verabredete sich für den Sonnenuntergang. Sehr viel präziser ging es nicht, bis neue mechanische Uhrwerke kamen und in ihrem Gefolge irgendwann der Stress. Warum es meist ausgerechnet Kirchen waren, die solches Teufelszeug als Erstes an ihren Mauern befestigten, ist einerseits mit deren Hang zu festen Gebetszeiten zu erklären, andererseits aber auch mit: Prestige. In München kannte man sich damit schon früh aus. Die Uhren wurden mehr und mehr, überall und auch am Alten Peter. Wer heute durch die Altstadt flaniert, braucht keine Armbanduhr, wenn er wissen will, wie spät es ist.

Die Zeit schreitet unaufhaltsam fort - und ist nun stehengeblieben. Es ist zwölf Uhr, 24 Stunden lang, ein frozen moment of time. Das Ganze mal acht, ist es also 96 Uhr? Was, wenn der temporale Frost langsam am Kirchturm hinunterkriecht, sich über das Petersbergl auf den Marienplatz ausbreitet und von dort auf die ganze Stadt? Jeder kennt das Lied vom Alten Peter und von der "Gemütlichkeit im Münchner Stadtel", die nicht ausstirbt, solange er noch steht. Vielleicht lässt sie sich so noch ein wenig länger konservieren. Im Rathaus hat daran erkennbar niemand Interesse. In einer Mitteilung ist von einem defekten Zeigerantrieb die Rede und davon, dass die Reparatur "schnellstmöglich noch diese Woche durchgeführt" werden soll. Ein Vorschlag zur Güte: Könnte man damit bis eine Minute nach zwölf warten?

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