Süddeutsche Zeitung

Postkarten-Aktion:Muslime machen auf Alltagsrassismus in München aufmerksam

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Die Stadt hat eine Postkarten-Aktion unter dem Motto "Ich bin Münchner - ich bin Muslim" gestartet.

Von Thomas Anlauf

Da ist zum Beispiel Erkan. "Ich bin hier geboren und wurde hier geprägt. Deshalb fühle ich mich in München daheim. Trotzdem wird mir immer wieder das Gefühl gegeben, dass ich nicht dazu gehöre." Der 42-jährige Münchner ist ein hoch gebildeter, freundlicher Mann. Er hat eine Frau und drei Kinder, er ist ganz selbstverständlicher Teil der Stadtgesellschaft. Doch Erkan ist Muslim. Und sein elfjähriger Sohn, der aufs Gymnasium geht, "hat Angst um seine Mutter, die ein Kopftuch trägt".

So weit ist es mit dem Alltagsrassismus gekommen, auch in München. Dass sich Münchner nicht mehr sicher fühlen, dass sie Anfeindungen ausgesetzt sind, beleidigt und beschimpft werden wegen ihres ganz privaten Glaubens. Eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität vor zwei Jahren ergab, dass nahezu die Hälfte der befragten Münchner "mindestens Vorbehalte gegenüber Muslime" hätten, sagt Miriam Heigl von der Fachstelle für Demokratie im Rathaus. Deshalb hat die Stadt am Donnerstag eine Postkarten-Aktion unter dem Motto "Ich bin Münchner - ich bin Muslim" gestartet. Acht Menschen muslimischen Glaubens zeigen auf den Postkarten, die nun im gesamten Stadtgebiet, in Kultureinrichtungen und Schulen verteilt werden, ihr Gesicht und beschreiben, was sie mit München verbindet, was der Islam für sie bedeutet und was sie sich für das Leben in der Stadt wünschen.

Da ist zum Beispiel Merve. Die 27-jährige gebürtige Münchnerin ist angehende Politikwissenschaftlerin, trägt Kopftuch und sagt: "Mir ist wichtig zu zeigen, dass ich nicht nur das Mädchen mit dem Kopftuch bin. Ich bin ein Teil der Münchner Gesellschaft. Ich bin eine Frau, ich bin emanzipiert, ich bin stark." Deshalb hat sie sich an der Postkartenaktion beteiligt, denn sie hat immer wieder das Gefühl, sich verstecken zu müssen, ihren Glauben, der für sie etwas sehr Privates sei, nicht immer offen leben zu können. "Ich wünsche mir für München mehr Offenheit für Verschiedenes. Mehr Sichtbarkeit und Normalität von Vielfalt", schreibt sie in ihrem Beitrag auf der Postkarte. Sie hofft, dass es einmal als normal angesehen wird, wenn eine Frau mit Kopftuch auf der Straße gehe. "Wir sind normal", sagt die Münchnerin.

Die acht Menschen, die nun symbolisch für die Muslime in München stehen sollen, haben ganz unterschiedliche Biografien, sind zwischen 25 und 70 Jahre alt, manche sind hier geboren, andere kommen aus Tunesien, Burkina Faso oder Marokko. "Allein schon die Vielfalt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigt, wie abwegig viele Klischees und Vorurteile sind", sagt Miriam Heigl. "Gerade in einer Zeit in der sich Musliminnen und Muslime verstärkt mit klischeehaften Zuschreibungen und rassistischer Stimmungsmache, mit Ausgrenzung und abwertenden Äußerungen oder gar mit Übergriffen konfrontiert sehen, möchte die Stadt München ein deutliches Zeichen der Solidarität sowie gegen antimuslimischen Rassismus setzen", sagt Heigl. Die Muslime "sind ein fester, vielfältiger und selbstverständlicher Bestandteil der Münchner Stadtgesellschaft."

Wie viele Muslime insgesamt in München leben, ist schwer zu sagen. Bislang gab es in der Stadt die grobe Schätzung, dass etwa sechs Prozent der Münchner Bevölkerung muslimischen Glaubens sind. Vermutlich sind es aber weniger, glaubt Miriam Heigl.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2018
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