Das nächtliche, stadtweite Alkoholverbot in der Landeshauptstadt München ist laut einem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) vom Dienstag unverhältnismäßig. Die Beschwerde der Stadt gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) München vom vergangenen Freitag wiesen die Richter am VGH damit zurück. Bereits das VG hatte in erster Instanz die für das gesamte Stadtgebiet zwischen 23 Uhr und 6 Uhr geltende "dringliche Anordnung" von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) als rechtswidrig und unverhältnismäßig eingestuft. Vorausgegangen war ein Eilantrag, mit dem sich ein in München lebender Angestellter gegen die Maßnahme der Stadt gewandt hatte.
Nach Überzeugung der Richter am VGH kann das nächtliche Alkoholverbot im öffentlichen Raum dabei durchaus als notwendige Schutzmaßnahme "voraussichtlich" auf das Infektionsschutzgesetz gestützt werden. Die "dringliche Anordnung" der Landeshauptstadt sei ein geeignetes Mittel, um der Verbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken. Außerdem trage die Maßnahme dazu bei, dass es zu keinen Menschensammlungen komme.
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In den vergangenen Wochen hatten sich zum Teil nachts mehrere hundert junge Leute am Gärtnerplatz oder an den Isarauen getroffen und Alkohol konsumiert. In ihrer Entscheidung verkennen die VGH-Richter keineswegs, dass es aufgrund des Alkoholkonsums zu Lärmbelästigungen komme und der Mindestabstand unter den Feierenden nicht eingehalten werde. Eine Allgemeinverfügung, wie sie Oberbürgermeister Dieter Reiter mit seiner Anordnung getroffen habe, erweise sich aber als "nicht erforderlich und damit als unverhältnismäßig", soweit sie sich auf das gesamt Stadtgebiet erstrecke.
In ihrem Beschluss betonen die Richter am VGH zudem, dass das VG in erster Instanz zu Recht davon ausgegangen sei, dass ein nächtliches Konsumverbot für alkoholische Getränke an einzelnen Hotspots, wie dem Gärtnerplatz, ein "weniger belastendes Mittel" dargestellt hätte. Gleichwohl stehe es der Stadt frei, für den Fall, dass Feiernde auf andere öffentliche Plätze ausweichen, den räumlichen Geltungsbereich ihrer Allgemeinverfügung anzupassen. Gegen den Beschluss des VGH (Az. 20 CS 20.1962) gibt es keine Rechtsmittel.
"Jetzt haben wir Klarheit", sagt der Oberbürgermeister
Oberbürgermeister Dieter Reiter erklärte nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs: "Jetzt haben wir Klarheit." Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs gebe die Richtung für künftige Maßnahmen zum Infektionsschutz vor. Diese seien leider weiterhin unverzichtbar, erklärte Reiter. Aufgrund der Entscheidung des VGH werde die bisherige Allgemeinverfügung zum Alkoholkonsumverbot nach 23 Uhr und zum Alkoholverkaufsverbot außerhalb der Gastronomie nach 21 Uhr nicht mehr vollzogen. "Ich habe die Stadtverwaltung bereits beauftragt, eine neue Allgemeinverfügung zu verfassen, die alle Maßgaben der richterlichen Entscheidung berücksichtigt und so bald wie möglich veröffentlicht wird", so Reiter.
Konkret würden die Verbote nicht mehr stadtweit gelten, sondern nur an "klar benannten Hotspots" wie dem Gärtnerplatz oder den Isarauen. Erfreulich nannte es Reiter, dass die für die Maßnahmen relevante Inzidenzzahl für München am Dienstag bei 34,69 lag und damit zum ersten Mal seit Freitag wieder auf einen Wert unter 35 gesunken ist. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könne man insgesamt von einem Alkoholverbot absehen. Außerdem machte Reiter in seiner Stellungnahme deutlich, dass es ihm nicht darum gehe, "Spaßverderber zu sein, sondern das Infektionsgeschehen so gut wie möglich im Griff zu behalten".
Die Grünen hätten das Verbot mitgetragen, "obwohl wir eigentlich ein Alkoholverbot nicht als geeignetes Mittel zur Lösung von Problemen im öffentlichen Raum sehen", sagt ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Dominik Krause. Lieber seien ihnen Maßnahmen wie Füllstandsanzeiger für öffentliche Plätze; den Vorschlag haben die Grünen in einem gemeinsamen Antrag mit der SPD/Volt in den Stadtrat eingebracht. Auch bauliche Maßnahmen, die eine Vermischung unterschiedlicher Gruppen verhindern, werden darin gefordert. Allerdings lasse sich das nicht von heute auf morgen verwirklichen, räumt Krause ein. Den neuen Entwurf eines Alkoholverbots für einzelne Plätze würden die Grünen in der Fraktion diskutieren. Notwendig ist die Zustimmung allerdings nicht: Auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes kann der Oberbürgermeister in alleiniger Verantwortung erlassen.
Aktuell sind in München 972 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, allein am Montag kamen 70 neue Fälle dazu. Seit Beginn der Pandemie wurden in der Stadt 8793 Infektionen bestätigt. Davon sind 7598 Patienten wieder genesen, die Zahl der Todesfälle liegt bisher bei 223.