Süddeutsche Zeitung

Umstrittene Corona-Regel:Münchens erstes Wochenende mit Alkoholverbot

Nachts darf in der Öffentlichkeit kein Alkohol mehr getrunken werden, aber hält sich jeder daran? Der völlige Verkaufsstopp erregt zumindest Ärger bei Tankstellen und Kiosken.

Von Julian Hans

Statt Bier aus Flaschen gab es am Wochenende Wasser von oben. In Anbetracht des Dauerregens war ausnahmsweise bei den Münchnern der Drang gering, sich nächtens auf dem Gärtnerplatz, am Isarufer oder im Englischen Garten zu versammeln. Dem Kreisverwaltungsreferat waren am Sonntag keine Verstöße gegen die neue Allgemeinverfügung bekannt, die den Verkauf alkoholischer Getränke zwischen 21 Uhr und sechs Uhr früh verbietet; nach 23 Uhr darf im öffentlichen Raum auch kein Alkohol getrunken werden. Die Polizei registrierte ebenfalls keine Anzeigen - weder wegen des Verkaufs noch wegen des öffentlichen Konsums, wie ein Sprecher am Sonntag mitteilte.

Der Streit über die Einschränkung geht indes an diesem Montag in die nächste Runde. Dann soll der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als zweite und letzte Instanz darüber entscheiden, ob die Maßnahme angemessen ist, um die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus zu drücken. Das Verwaltungsgericht München hatte am Freitagabend einem Kläger recht gegeben, der die Verhältnismäßigkeit des Trinkverbots in Zweifel gezogen hatte; das Verkaufsverbot wurde nicht beanstandet.

In deutlichen Worten monierte das Gericht: "Das verfügte Alkoholkonsumverbot ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten". Insbesondere die Geltung der Regelung für das gesamte Stadtgebiet sei "nicht erforderlich und angemessen". Um größeren Menschenansammlungen an den bekannten Hotspots vorzubeugen, hätte es genügt, den Genuss von Bier, Wein und Schnaps eben an und in diesen Plätzen, Parks und Straßen zu untersagen. Allein die Befürchtung, die Feiernden könnten sich sogleich neue Orte suchen, genüge nicht. Sollte das doch passieren, könne die Stadt immer noch "kurzfristig mit einer Erweiterung der Allgemeinverfügung in räumlicher Hinsicht reagieren".

Dieter Reiter wollte sich dazu am Wochenende nicht äußern. Der Oberbürgermeister wolle zunächst die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abwarten, teilte seine Sprecherin mit. In einer ersten Reaktion am Freitag hatte Reiter angekündigt, vorerst am Verbot festzuhalten, und auf einen ähnlichen Fall in Bamberg hingewiesen. Dort wurde bereits Anfang Juni ein nächtlicher Außer-Haus-Verkauf von Alkohol untersagt. Eine Klage dagegen hatte in erster Instanz Erfolg, der Verwaltungsgerichtshof gab dann aber doch der Stadt recht. Allerdings ist das Beispiel Bamberg für Reiter nicht so günstig, wie es zunächst scheinen mag. Dort gelten die Einschränkungen nämlich lediglich für fünf einzeln aufgezählte Straßen und Plätze - genau so, wie es das Verwaltungsgericht München in seinem Beschluss vom Freitag auch für die Landeshauptstadt forderte.

Das Thema wird wohl noch eine Weile auf der Tagesordnung bleiben. Am Samstag wurden in München 54 neue Corona-Fälle registriert. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz lag laut dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit bei 35,13. Die Marke von 35 neu gemeldeten Fällen pro 100 000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen war entscheidend, dass die Allgemeinverfügung greift.

Überhaupt nicht glücklich waren am Wochenende Betreiber und Mitarbeiter der einschlägigen Nachschub-Stationen in München, also bei Kiosken und Tankstellen. Die Kundschaft reagiere genervt, jedem müsse er die Regel einzeln erklären, klagte ein Verkäufer am Kiosk an der Münchner Freiheit. Die Agip-Tankstelle an der Josephspitalstraße war am Samstagabend nach 23 Uhr eine ruhige Insel, während aus den Bars und Clubs drum herum laute Musik dröhnte und die Gäste mit Bierglas in der Hand vor der Tür standen: Für die Gastronomie gilt das Verkaufsverbot nicht, solange am Platz getrunken wird.

Technisch konnte die Agip-Belegschaft die Regel leicht umsetzen, indem sie einfach um 21 Uhr das Rollo vor dem Kühlregal mit den alkoholischen Getränken herunterließ, das während der Schließzeiten Energie sparen hilft. Andernorts arbeiteten die Tankstellen mit Klarsichtfolie und Flatterband. Doch das habe nicht gereicht, berichtete ein Mitarbeiter einer Tankstelle im Münchner Süden. "Die Kunden sind über die Absperrbänder geklettert und haben die Folien aufgerissen", berichtete er der Süddeutschen Zeitung. Der Mitarbeiter will nicht, dass sein Name in der Zeitung erwähnt wird, weil er Nachteile fürchtet.

Es sei wie bei der Einführung der Maskenpflicht, sagt er: Damals seien die Kunden auch schnell "von 0 auf 100" gewesen. Ein Kollege wurde bespuckt, seiner Chefin wurde das Wechselgeld ins Gesicht geworfen. Ein Tank-Kunde drohte, nicht zu bezahlen, wenn er nur mit Maske zur Kasse darf. Manche Tankstellen haben deshalb Sicherheitspersonal am Eingang postiert.

Dass das nächtliche Verkaufsverbot für Alkoholika geeignet sei, die Ansteckungszahlen mit dem Coronavirus zu senken, bezweifelt er. Die Leute auf dem Gärtnerplatz und an der Isar würden sich doch eh rechtzeitig vorher mit Bier eindecken. Für seine Stammkundschaft will er künftig eine Ausnahme machen. "Zur Not stelle ich eine Kiste in den Kofferraum und jeder kann sich was rausholen", sagt er. Das seien Leute, die nach der Nachtschicht ihr Feierabendbier verdient hätten: "Taxler, Busfahrer und Polizisten".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5014558
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.08.2020/mmo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.