Typisch deutsch:Wenn sie lallt, ist sie wer anders

Jugendliche und Alkohol

In München sieht man betrunkene Frauen - und Männer - jeden Alters.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Nigeria sieht man nur selten Frauen, die in der Öffentlichkeit Alkohol trinken. Darum wundert sich unser Autor über betrunkene Frauen in Bayern.

Kolumne von Olaleye Akintola

Im Sommer sitzen sie in Biergärten, im Herbst in Bierzelten und im Winter in Bierkellern: Frauen, die sich um einen Tisch versammelt haben und geladen sind mit Energie. Und Alkohol. Nur Gott weiß, wie viele Krüge Bier die Münchnerinnen alleine über die Feiertage geleert haben. Bier trinkende Frauen im Kreisch- und Rauschzustand. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen.

Das Münchner Nachtleben präsentiert einem unzählige Beispiele. Männer, die ihre torkelnden Begleiterinnen stützend nach Hause navigieren. Frauen, die im Vollrausch auf einer Treppe sitzen oder besser gesagt lehnen und sich anlallen. Für die Nachtschwärmer dieser Stadt ist das offenbar normal, manche Betrunkene bekommt sogar noch zuneigungsvolle Blicke. Mitleid oder Bestürztheit lösen nur jene aus, die ob ihres Sturztrunks eine harte Landung auf dem Boden ereilt. Beim Oktoberfest begegnet man gar Frauen, die betrunken auf dem Boden liegen.

Natürlich sind es auch Männer, denen der Rausch zu Kopf steigt. Vielmehr: vor allem Männer. So wie ich es aus Nigeria kannte. Aufgefallen sind mir in Bayern aber eben die trinkfreudigen Frauen, weil so etwas in meiner früheren Heimat ungewöhnlich war. An Wochenenden sieht man sie gruppenweise in rot-weißen Fußballtrikots in der Bahn, eine Hand an einem Bierkasten, die andere hält eine Flasche. In Kneipen begegnet man Frauen, die ihre Männer an der Bar zu überbieten versuchen, als wäre es ein Wettkampf. Manche lädt einen Mann gar auf ein Getränk ein. Szenen, die mir in meiner Anfangszeit mehr als surreal vorkamen.

Das Nachtleben, wie ich es kannte, ist an dieser Stelle weniger von Gerechtigkeit geprägt. Eine betrunkene Frau hatte in Südwestnigeria keinen Platz. Der öffentlich zelebrierte Suff ist dort in aller Regel ein Privileg des Mannes, wenn man es als Privileg bezeichnen will.

Ich selbst sehe vor allem die Gefahr des Alkohols und sehe deswegen durchaus Vorteile, wenn eine Gesellschaft den Konsum durch Konventionen per ungeschriebenem Gesetz unterdrückt. Man stelle sich ein Kind vor, dessen Mutter es nach der Schule mit Bierfahne anlallt und nicht mehr in der Lage ist, dem Kind ein Mittagessen zu kochen. Oder wenn ein Vater im Rauschzustand seine Familie durch die Nacht fährt und einen tödlichen Unfall verursacht.

Ich kenne Gegenden, in denen selbst an einem moderaten Abend bei ein zwei Gläsern Wein für die Frau gilt, dass sie dabei unter strenger Überwachung ihres Mannes stehen muss. Eine betrunkene Frau ist dort unerwünscht, weil sie - so heißt es - von einem Fluch belegt und auf spirituelle Hilfe angewiesen sei. In Bayern wäre es unvorstellbar, den Rausch zu verbieten. Öffentlicher Alkoholismus ist hier eine gesellschaftlich akzeptierte Norm. Welchem Geschlecht der Trinkende angehört, ist dabei völlig egal. Dem Gleichberechtigungsgedanken kommt dies sehr entgegen, den Lebern der Münchnerinnen eher weniger.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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