Kino:Wie Hitchcock in München seinen ersten Film drehte

(FILE PHOTO) GBR: Alfred Hitchcock Season Opens At BFI In London: A Look Back

"Der Dialog darf nicht mehr sein als ein Geräusch unter anderen, ein Geräusch, das aus den Mündern der Personen kommt, deren Handlungen und Blicke eine visuelle Geschichte erzählen": der britische Filmregisseur Alfred Hitchcock (1899 bis 1980).

(Foto: Peter Dunne/Getty Images)

Der Außendreh war eine Katastrophe, die Premiere ein Erfolg: Zum 120. Geburtstag des Regisseurs läuft der "Irrgarten der Leidenschaft" im Filmmuseum - neben vielen anderen Werken und echten Raritäten.

Von Josef Grübl

Am Beispiel der Bombe hat er regelmäßig sein berühmtestes Stilmittel erklärt: Da sei ein Sprengsatz, der bald hochgehen werde, das Publikum wisse das auch. Die Figuren im Film dagegen würden nichts ahnen - dabei wären sie hochgradig gefährdet. Das sei Suspense, betonte er, der Zuschauer könne mit seinen Helden mitfiebern, die Spannung würde irgendwann unerträglich. Alfred Hitchcock perfektionierte diese Form des Spannungsaufbaus, mitunter machte er sogar einige Figuren zu Mitwissern - so ging er als "Master of Suspense" in die Kinogeschichte ein.

Dass beim Filmemachen selbst auch Bomben gelegt werden und die Spannung ins Unerträgliche steigen lassen, erfuhr er bei seinem ersten Film als Regisseur: 1925 drehte er "The Pleasure Garden" in München, in den Studios der Emelka in Geiselgasteig, die später zur Bavaria Film werden sollten. Im berühmten Interview-Buch von François Truffaut aus den Sechzigerjahren erzählte der Meister von den katastrophalen Außenaufnahmen in Italien, in Genua, San Remo und am Comer See.

Man sei mit einem kleinen Team von München aus losgefahren, als ihm sein Kameramann im Zug sagte, dass man das technische Gerät am besten verstecke, anderenfalls würde es vom Zoll konfisziert. Also packte man die Kamera im Schlafwagen unter Hitchcocks Bett, das Filmmaterial wurde im Gepäck verstaut. "Da kommen die Zöllner auch schon, und für mich beginnt der Suspense", erzählte er genussvoll. Die Beschlagnahmung des Materials sollte aber noch das kleinste Problem dieser problemreichen Produktion sein. Trotzdem stellte er "The Pleasure Garden" fertig, der gute Kritiken bekommen und in Deutschland "Irrgarten der Leidenschaften" heißen sollte, die Weltpremiere fand im November 1925 in München statt.

Das war der Auftakt einer Weltkarriere, das Filmmuseum erzählt in den kommenden Monaten davon: In einer Retrospektive werden alle verfügbaren Regiearbeiten Hitchcocks gezeigt, von den Stummfilmen aus den Zwanzigerjahren über frühe Meisterwerke wie "The 39 Steps" oder "Rebecca" bis hin zu den Hollywood-Klassikern "Vertigo", "Psycho" oder "North By Northwest". Vor einigen Wochen wäre der 1980 verstorbene Engländer 120 Jahre alt geworden, aber für jemanden wie Hitchcock braucht es keinen Anlass für eine Retro.

"Bei einem großen Film muss man nur eineinhalb Minuten drehen"

Viele seiner Filme sind zeitlose Meisterwerke, die man auch Jahrzehnte später noch gerne schaut. Die meisten Zuschauer kennen sie nur aus dem Fernsehen, dabei erlebt man Werke wie "Rear Window" im Dunkel eines Kinosaals ganz anders, gemeinsam mit anderen Film-Voyeuren - und ähnlich angespannt wie James Stewart, als diesem klar wird, dass er in der Falle sitzt. Dieser Film ist auf einen Schauplatz beschränkt, er ist ein Kammerspiel - und anders als andere Kammerspiele überhaupt nicht geschwätzig.

Hitchcock sagte dazu im Truffaut-Buch: "Der Dialog darf nicht mehr sein als ein Geräusch unter anderen, ein Geräusch, das aus den Mündern der Personen kommt, deren Handlungen und Blicke eine visuelle Geschichte erzählen." Spannend ist auch die Gegenüberstellung seiner "Blackmail"-Filme: 1929 drehte er den Krimi zunächst als Stummfilm, dann machte er seinen ersten Tonfilm daraus. Beide Versionen werden an einem Abend im Dezember gegenübergestellt.

Und dann wären da noch die Raritäten, Hitchcocks Auftritt in der Talkshow "Frankfurter Stammtisch" etwa, wo er 1966 die Unterschiede zwischen Fernsehen ("Man muss acht oder neun Minuten Schnittfilm drehen jeden Tag") und Kino erklärte ("Bei einem großen Film muss man nur eineinhalb Minuten drehen") - auf Deutsch. Oder die Privatfilme, die ihn beim Tennisspielen mit Alma Reville zeigen. Sie war 54 Jahre lang mit ihm verheiratet und schrieb viele seiner Drehbücher, unter anderem auch für den 1936 entstandenen Thriller "Sabotage". Darin ließen sie natürlich auch eine Bombe platzen.

Retrospektive Alfred Hitchcock, Fr., 13. Sept., bis Mi., 26. Feb. 2020, Filmmuseum, St.-Jakobs-Platz 1

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