Musik aus München:Zitronenmelodien

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Grotto Terrazza alias Thomas Schamann kennt man als Schlagzeuger der Darkwave-Band "Bleib Modern". Ansonsten ist der Mann auch noch DJ, Barman, Autor, Booker und Veranstalter. (Foto: Andor Bencze)

Grotto Terrazza serviert mit "Kalte Köstlichkeiten" das ungewöhnlichste Album dieses Münchner Sommers.

Von Jürgen Moises

Long Island Ice Tea? Kennt man. Aber vom "Long Ayran Ice Tea" schon gehört? Das könnte die weit weniger bekannte, türkische Variante davon sein. Serviert wird sie jedenfalls als eine von mehreren "kalten Köstlichkeiten" auf dem gleichnamigen, zweiten Solo-Album von Grotto Terrazza alias Thomas Schamann. Den kennt man hauptsächlich als Schlagzeuger der in München und Berlin ansässigen, in der Szene sehr geschätzten Darkwave-Band Bleib Modern. Ansonsten ist der Mann auch noch DJ, Barman, Autor, Booker und Veranstalter. Und wie man auf "Kalte Köstlichkeiten" hört, hat er ein erkennbares Faible fürs Schräge. Oder sagen wir: für ungewöhnliche Cocktails und Kombinationen.

Mit Darkwave, EBM und NDW, Italo-Disko und den Achtziger-Jahre-Soundtracks eines Harold Faltermeyer kommt da jedenfalls so einiges an (möglichen) Zutaten zusammen. Das aber nicht getrennt, sondern ineinander geschüttet, geschüttelt und gerührt. Das Ergebnis ist eines der ungewöhnlichsten Münchner Alben diesen Sommers. Und da man in der bayerischen Hauptstadt ja lieber Aperol Spritz mag, sind die "Kalten Köstlichkeiten" beim Wiener Indie-Label Cut Surface erschienen. Das könnte zumindest der Grund dafür sein. Zur Münchner Musikwelt gibt es da schon länger eine Connection. Das schöne Debüt von River kam dort heraus, und im letzten Jahr etwa auch das leider etwas untergegangene Album "Take Care Of Me" von Murena Murena. Der dahinter stehende, vor allem als Theatermusiker tätige Daniel Murena mag es ja auch eher dunkel und verdreht.

Manches klingt sommerlich und anderes leicht angesoffen

"Kalte Köstlichkeiten" beginnt mit einem "Preludio". Ein Mann und eine Frau sagen da Sachen wie " Freibad", "Kino", "Gefängnis ohne Gerichtsverhandlung", "Staatssicherheit" und "ein bunter Schirm am Strand". Dazu hört man ein Keyboard, Rauschen, ein verträumtes Saxofon. Schon hier wird bereits ein breiter Kosmos zwischen Summer-Feeling und erahnten Abgründen aufgespannt. Das nachfolgende "Inspektor Ginko" ist instrumental. Ein langsamer E-Beat taumelt zusammen mit Bass und glockenartigen Percussions gefühlt durch die Abendsonne. Am Schluss weitet sich das Ganze zum Achtziger-Jahre-Soundtrack in Cinemascope.

Danach folgen drei weitere Instrumentalnummern. Der "Long Ayran Ice Tea" klingt zunächst recht sommerlich und dann leicht angesoffen. "Senza Piombo 95" bewegt sich mit bräsigem Keyboard ebenfalls in Richtung Filmsoundtrack. Ähnlich ist es bei "Zitronenmelodie", bei dem nach leisem Zirpen und Tippgeräuschen ein Saxofon lostönt. In "Der Zaubergeselle" (dazu gibt es auch ein Video) singt selbiger zu Disco-Beats, wie er seinen Meister durch ein Loch hinter einem Gemälde beobachtet. Eine schräge Mischung aus Gothic und Goethe, Disco und Calypso, die genauso wie die EBM-Reprise "Krank in der City" das Potential zum Indie-Hit hat.

"Tropische Krankheiten" hat wieder was von Harold Faltermeyer, bei "Kurze Arme" geht es in die Wave-Disco und beim abschließenden "Tomahak" tanzt der Drumcomputer Rumba. Eine Computerstimme spricht ein Gedicht, verhaspelt sich und eine Männerstimme wünscht sich was. Schlaf? Naja, vielleicht ganz hilfreich, zum Neuverdrahten der Synapsen.

Grotto Terrazza: Kalte Köstlichkeiten (Cut Surface), cutsurface.bandcamp.com

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