Süddeutsche Zeitung

Wohnen in München:"Die Mieten steigen unaufhörlich"

Die Pandemie verschärft die Situation auf dem Wohnungsmarkt: Während die sozialen Probleme wachsen, steigen die Preise weiter an. Sozialreferentin Dorothee Schiwy appelliert an die Münchner - und an den Freistaat.

Von Bernd Kastner

Pandemie hin, Pandemie her, eines ändert sich nicht in München: Wohnen wird teurer. Das lässt sich auch im neuen Mietspiegel ablesen. Die durchschnittliche Kaltmiete pro Quadratmeter verteuert sich im Vergleich zu 2019 um 3,1 Prozent. Der Quadratmeterpreis steigt von 11,69 Euro auf 12,05 Euro. Dabei handelt es sich um einen fiktiven Durchschnittswert. Der Preis jeder Wohnung muss individuell ermittelt werden, er hängt maßgeblich von Lage, Baujahr und Ausstattung ab. Es ist die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete, die sich mit dem Mietspiegel berechnen lässt; sie ist relevant vor allem bei Mieterhöhungen und für die Mietpreisbremse.

Ein Politikum ist der Mietspiegel immer: Vermietervertreter kritisieren ihn als unrealistisch niedrig, die Stadt hält ihn aufgrund der Berechnungsgrundlage für preistreibend. "Mieterhöhungsspiegel", nennt ihn Sozialreferentin Dorothee Schiwy. In diesem Jahr wäre er, aus Sicht der Stadt, wegen der Pandemie beinahe noch preistreibender ausgefallen, hätte man nicht die Notbremse gezogen.

Als im Frühjahr vergangenen Jahres die aktuellen Daten in Interviews mit Mietern erhoben wurden, hätten die beauftragten Wissenschaftler festgestellt, dass die Zahlen nicht valide seien, so Schiwy. Übermäßig hohe Werte hätten zu einer überzogenen Steigerung geführt. Der Grund: Die Interviewer hätten damals auffällig wenige Menschen mit geringem Einkommen und geringer Miete am Telefon erreicht. Es hätte sich im Datensatz also ein Übergewicht der höheren Mieten ergeben. Deshalb warf die Stadt im Herbst 2020 die bereits erfassten Daten weg und schwenkte auf die Indexfortschreibung um. Sie ist gesetzlich möglich und basiert wiederum auf dem Mietspiegel von 2019, der damals neu erhoben worden war. Der Mietspiegel 2021 wird mittels des bundesweiten Verbraucherpreisindex fortgeschrieben.

"Die Mieten steigen unaufhörlich", die Lage für viele Menschen sei in Folge der Corona-Pandemie "noch enger, noch schwieriger" geworden: So fasst Schiwy die Situation in München zusammen. Abzulesen sei das etwa an diesen Daten: Die Zahl der Anträge auf Wohngeld sei 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 76 Prozent gestiegen, auf knapp 15 800. Die Zahl der Anträge auf eine Sozialwohnung sei im selben Zeitraum von knapp 31 000 auf knapp 35 000 gewachsen - ein Plus von 13 Prozent. Gingen bis Sommer 2020 pro Monat durchschnittlich 2500 Anträge auf eine geförderte Wohnung ein, seien es seit Juli rund 3300 pro Monat - ein Plus von gut 30 Prozent. Nur ein kleiner Teil der Antragsteller hat Glück und bekommt auch eine Sozialwohnung.

Schiwy appelliert an alle Bürgerinnen und Bürger, sich rasch beim Sozialreferat zu melden, wenn sie merken, dass sie vermutlich bald ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Man wolle alles tun, um Kündigungen, Räumungen und Wohnungslosigkeit zu vermeiden.

Schiwy nutzt die Präsentation des Mietspiegels, um politische Forderungen der Stadt München zu formulieren, an Bundesregierung und bayerische Staatsregierung. So müssten alle Mietverträge in die Berechnung des Mietspiegels einbezogen werden, nicht nur jene, die in den vergangenen sechs Jahren neu abgeschlossen wurden oder deren Miete verändert, also erhöht wurde. Zudem müssten auch geförderte Wohnungen berücksichtigt werden. Dies würde den Mietanstieg insgesamt bremsen. In einer Modellrechnung für einen "reellen Mietspiegel" kam die Stadt vor einem Jahr zum Ergebnis, dass dann das Niveau 8,6 Prozent niedriger läge.

Ein reformierter Mietspiegel allein würde aber nichts grundlegend an der Misere ändern, sagt Schiwy. Es müsste an weiteren Schrauben gedreht werden. So brauche es einen generellen Genehmigungsvorbehalt, also eine Art Vetorecht der Stadt, wenn jemand Miet- in Eigentumswohnungen umwandeln will. Zudem müsse die Umlage von Modernisierungskosten auf die Mieter begrenzt werden: Sobald die Investitionen des Eigentümers amortisiert seien, müsse der Aufschlag zurückgenommen werden.

Und dann, sagt Schiwy, brauche München dringend eine "Bodenpreisbremse". Damit greift sie eine Forderung des verstorbenen Alt-Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel auf. Die Wertsteigerung des Bodens dürfe nicht allein dem Eigentümer zugutekommen; davon müsse die Allgemeinheit profitieren, schließlich gehe der Wertzuwachs meist auf öffentliche Investitionen zurück. Schiwy erinnert an Artikel 161 der bayerischen Verfassung, wo Vogels Idee längst festgeschrieben ist: "Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen." Für sie, sagt Schiwy, sei es "nach wie vor nicht nachvollziehbar", dass der Freistaat nicht mehr gegen die Bodenspekulation unternehme.

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SZ vom 06.03.2021/kafe
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