Süddeutsche Zeitung

Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter:Sichtbare Zeichen der Erinnerung

Der Bezirksausschuss Obergiesing-Fasangarten will mit Tafeln oder Stelen das Gedenken an zwei dunkle Kapitel aus der NS-Zeit wach halten.

Von Patrik Stäbler

Um an zwei dunkle Kapitel in der Geschichte des Stadtbezirks Obergiesing-Fasangarten zu erinnern, fordert der dortige Bezirksausschuss (BA) ein sichtbares Zeichen des Gedenkens. Zum einen betrifft dies das einstige Agfa-Werk an der Weißenseestraße, ein Außenlager des KZ Dachau; zum anderen geht es um das Kriegsgefangenenlager für sowjetische Soldaten an der Herbert-Quandt-Straße. Für beide Orte hat der BA einen "Wegweiser zur Erinnerung" in Form einer Stele oder Gedenktafel beantragt. "Wir wünschen uns hier jeweils einen dezenten Erinnerungsort", sagt Vorsitzende Carmen Dullinger-Oßwald (Grüne).

Im ehemaligen KZ-Außenlager in Obergiesing mussten ab September 1944 circa 500 Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern fürs "Agfa-Camerawerk" arbeiten. Der als kriegswichtig eingestufte Betrieb hatte sie bei der SS angefordert und setzte sie bei der Produktion von Bombenzündern ein. In dem streng bewachten Lager waren die hygienischen Verhältnisse miserabel, wodurch etliche Frauen an Typhus und Tuberkulose erkrankten. Im April 1945 wurde das Gebäude evakuiert, worauf sich die Frauen auf den sogenannten Todesmarsch über Grünwald nach Wolfratshausen begeben mussten, wo sie von US-Soldaten befreit wurden. Eng mit der Geschichte des Lagers verknüpft ist der Name Ella Lingens. Die Österreicherin versuchte als Häftlingsärztin die Frauen im Agfa-Werk zu unterstützen und wurde später selbst ins KZ Dachau deportiert. Ihr zu Ehren wurde 2016 in Giesing der Ella-Lingens-Platz benannt.

Ein gänzlich anderes Verhalten in der NS-Zeit zeigte hingegen der Namensgeber der Herbert-Quandt-Straße. Der Unternehmer war NSDAP-Mitglied; in den Fabriken seiner Familie wurden im Krieg Zwangsarbeiter ausgebeutet. Aus diesem Grund hat der BA vor einem Jahr die Umbenennung der Herbert-Quandt-Straße beantragt. Der Vorstoß werde aktuell geprüft, sagt Carmen Dullinger-Oßwald. "Und ich bin sehr zuversichtlich, dass die Umbenennung geschehen wird." Unabhängig davon fordert der BA in der Herbert-Quandt-Straße eine sichtbare Erinnerung an das Kriegsgefangenenlager, das sich dort ab 1942 befand. Dessen Bekanntheit rührt vor allem von der Widerstandsgruppe "Brüderliche Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen", die 1943 in dem Lager gegründet wurde. Sie rief Zwangsarbeiter zur Sabotage in kriegswichtigen Betrieben wie BMW und Krauss-Maffei auf. Zudem legte die BSW - so wird der russische Name der Organisation abgekürzt - Waffenlager für eine Befreiungsaktion an. Zu dieser kam es jedoch nicht, weil die Nazis 1944 die Widerstandsgruppe entdeckten und zerschlugen. 130 ihrer Mitglieder wurden daraufhin in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen ermordet.

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