Süddeutsche Zeitung

Klinik-Alltag:Dauerstress, Frustration und Erschöpfung unter Ärzten

Immer weniger Klinikärzte müssen immer mehr Leistung bringen, warnen Experten. Die Zahl der Burn-out-Fälle nehme zu. Viele junge Mediziner wollen nicht mehr in Krankenhäusern arbeiten.

Von Inga Rahmsdorf

In München mag es noch einfacher sein als in vielen anderen Regionen Deutschlands, ärztliche Stellen in Kliniken neu zu besetzten, doch die Herausforderung wächst auch hier. In den kommenden Jahren werden viele Mediziner in Rente gehen. Zum Beispiel sind 7500 der knapp 38 000 berufstätigen Chirurgen in Deutschland bereits über 60 Jahre alt.

Außerdem wollen viele junge Ärzte nicht mehr in Krankenhäusern arbeiten. 70 Prozent der Medizinstudierenden möchten stattdessen lieber ambulant tätig werden, bevorzugt in Gemeinschaftspraxen oder medizinischen Versorgungszentren. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter Studierenden, die im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Universität Trier durchgeführt wurde. Der Trend hängt wohl auch damit zusammen, dass der Unmut über die hohen Arbeitsbelastungen in Kliniken wächst.

Dass immer mehr Krankenhausärzte einen Burn-out erleiden, sei unstrittig, konstatierte die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) bei ihrem Kongress in München im März 2019. Grund dafür seien die überbordende Bürokratie, der wachsende ökonomische Druck und die zunehmende Arbeitsverdichtung.

Die Verwaltungsaufgaben für Ärzte müssten daher dringend reduziert werden, forderte Matthias Anthuber, Präsident der DGCH. Zudem sollten die Kliniken attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen, um Beruf und Familie zu vereinbaren. Klinikärzte befänden sich immer stärker in "einer Sandwichposition zwischen Ökonomie und Patientenwohl". Das führe zu Dauerstress, Frustration und Erschöpfung. Und das Problem betrifft nicht nur die Chirurgie. Über schlechte Arbeitsbedingungen und zu wenig Zeit für den einzelnen Patienten klagen Klinikärzte aus allen medizinischen Bereichen.

"Der ökonomische Druck im Gesundheitswesen ist insgesamt enorm gestiegen, und das bekommen auch die Ärzte überall zu spüren", bestätigt Wolfang Thasler. Der Professor und Chefarzt der chirurgischen Abteilung am Münchner Rotkreuzklinikum arbeitet seit 25 Jahren in der Chirurgie. Es gebe in den Kliniken immer weniger Personal für immer mehr Arbeit, kritisiert er. Ein Grund dafür sei, dass es bundesweit zu viele Krankenhäuser gebe und ein Großteil von ihnen defizitär arbeite.

"Statt das Problem strukturell in Deutschland zu lösen, wird dies dem freien Markt überlassen, mit all den Nebenwirkungen für Patienten und Personal", so Thasler. Alle würden sich bemühen, im Konkurrenzkampf zu bestehen, während nicht genug finanzielle Mittel zur Verfügung stünden.

"Das Schlimmste wäre, wenn wir nicht aus Fehlern lernen"

Als der Chirurg 2015 ans Rotkreuzklinikum kam, habe er 17 Mitarbeiter gehabt, heute seien es weniger als 13. "Gleichzeitig sind die Leistung und der Druck gestiegen. Aber irgendwann ist ein Ende erreicht." Viele junge Mediziner erhalten nur noch befristete Verträge. Hinzu komme, dass die Zahl der Gutachten, bei denen es um Behandlungsfehler geht, enorm gestiegen sei. Überlastung, Versagensängste, existenzielle Sorgen und keine gute Kommunikation innerhalb des Teams - das seien sicherlich Auslöser, die zu einer chronischen psychischen Überlastung führen könnten, sagt Thasler.

Damit Mitarbeiter nicht in eine negative Spirale geraten, in der sie ausbrennen, sei eine gute Gesprächskultur und ein konstruktiver, offener Umgang mit Fehlern wichtig, ohne Vorwürfe. "Das Schlimmste wäre, wenn wir nicht aus Fehlern lernen", sagt Thasler. Gemeinsam mit einem Sportpsychologen hat er ein mentales Training für seine Mitarbeiter entwickelt. Das soll die Ärzte psychologisch besser auf lange und komplizierte Operationen vorbereiten, dient aber auch als Prophylaxe gegen eine Überlastung und Überforderung.

Bei dem Projekt geht es unter anderem darum, Methoden zu entwickeln, um mit eigenen Fehlern besser umzugehen und daraus zu lernen, anstatt sich darüber zu ärgern. Denn wem bei einem medizinischen Eingriff ein Fehler unterläuft, der geht unsicher in die nächste Operation. Mit solchen Situationen besser umzugehen, könne man trainieren. Allerdings musste Thasler bei dem Projekt auch feststellen: Viele Mitarbeiter äußerten zwar Interesse an dem mentalen Training, doch für sie sei es schwierig, das Angebot auch wirklich zu nutzen - ihnen fehle einfach die Zeit.

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Quelle:
SZ vom 13.06.2019/kaal
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