Süddeutsche Zeitung

Freimann:Der Traum vom Tatzelturm

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Von Laura Kaufmann

Mit einem WG-Casting wird Florian Schönhofer die Auswahl später scherzhaft vergleichen. Und zumindest, was die Anzahl der Bewerber angeht, stimmt die Analogie. "Es freut uns sehr, zeigt aber auch, wie groß der Bedarf wirklich ist": So begrüßt David Süß die Gäste, die am Montagabend dicht gedrängt in seinem Harry Klein stehen. Zusammen mit Schönhofer hat er eingeladen, um über ihr Projekt "Tatzelturm" zu informieren. Der Clubbetreiber und der Chef des Café Kosmos haben Großes vor.

Neben und unter der Autobahnauffahrt der A 9 in Freimann - auch Tatzelwurm genannt - wollen sie Raum für Subkultur schaffen. Dafür brauchen sie ein Gelände von der Stadt - die Wiese neben der Auffahrt - und eines vom Bund - den Bereich unter der Brücke. Das Projekt wollen sie nicht allein stemmen, sondern als eine noch zu gründende Subkultur-Genossenschaft. Und um dafür Mitglieder zu gewinnen, haben sie ins Harry Klein geladen.

Das Thema brennt. Die Kreativen der Stadt haben zu wenig Raum, und wenn sie doch einen Platz finden, dann meist zeitlich befristet. Der Tatzelturm, sagt Schönhofer, sei "ein Riesenunterschied zu dem, was wir bisher gemacht haben: Mal hier drei Jahre, dort nur eins. Immer schmeißt du danach alles weg, nichts ist nachhaltig". Und dann gehe die ganze Suche wieder von vorne los. Frustrierend sei das. "Es hat sich ausgezwischennutzt in der Stadt", sagt er, und es wirkt wie ein Schlachtruf der Subkultur, die die Nase voll hat vom ewig unsicheren Nischendasein.

Aus dem Frust ist eine Idee entstanden: die Genossenschaft. Die Grundstücke könnte sie im Erbbaurecht von Stadt und Bund bekommen. "Das ist ein Gelände, das wird seit 50 Jahren für nichts anderes genutzt als für Kieselsteine", sagt Schönhofer. Und der Standort sei vielversprechend. Es gibt einen U-Bahn-Anschluss in der Nähe, die Bayernkaserne wird als urbanes Gebiet entwickelt, Genossenschaften bauen in der Nähe, der BR zieht dorthin: "Es wird viel passieren in dem Viertel", sagt Süß. Das Erbbaurecht hätte er gern auf 30 Jahre - erst einmal.

Der noch zu bauende Tatzelturm soll offen sein für die Ideen der Mitgenossen. Ateliers soll es geben, oder, "wenn jemand ein veganes Nagelstudio eröffnen möchte, gerne", sagt Schönhofer. Nicht zu viele Leute sollen es anfangs sein, um handlungsfähig zu bleiben, vielleicht bis zu 20. Zu den Kosten können die Initiatoren noch nichts sagen. Von der Stadt gebe es positive Signale, aber noch keine Zahlen. Die Genossenschaftsanteile sollen "erschwinglich sein", sagt Süß. Ebenso wie die Mieten und die Getränke- und Eintrittspreise. Auch die Frage, wie man den Neubau konkret anpacken soll, ist noch offen. "Wie wir weitermachen, das kommt auf die Gruppe an."

Süß und Schönhofer wollen nicht zu viel vorgeben. "Ich stelle mir das mit mehreren Stockwerken vor, wo jeder seine eigene Fassade hat am Ende, es soll für jeden individuell sein. Jeder soll das machen können, was er am besten kann", sagt Schönhofer. Das Ziel: ein kreatives Haus, in dem immer etwas los ist, das soll der Tatzelturm eines Tages werden.

Ob die Turm-Idee tatsächlich Realität werden kann, hängt nun vor allem von den Verhandlungen mit den Behörden ab. Laut Süß und Schönhofer habe die Stadt bereits ihr Entgegenkommen signalisiert. Doch die Autobahndirektion habe bisher noch kein Interesse gezeigt. Andere Gastronomen hätten sich an solch mühseligen und zähen Verhandlungen schon die Zähne ausgebissen, aber Süß und Schönhofer brennen für das Projekt und wollen hartnäckig bleiben.

"Es kann nicht sein, dass wir überhaupt keinen Platz für Kultur haben und solche Flächen leer stehen", sagt Süß. "Wir sind nicht die ersten, die Interesse an der Auffahrt haben", berichtet Schönhofer. "Aber wir werden nicht lockerlassen." Jammern oder die Dinge in die Hand nehmen, das seien die Möglichkeiten, sagt Schönhofer. "Wir stehen jetzt auf dem Gaspedal." Geht man von der Stimmung an diesem Abend im Harry Klein aus, dann werden sie genügend Mitstreiter für eine Genossenschaft finden. Und sich dann gemeinsam an die Arbeit machen.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2020
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