Geburtstagsfeier im Interim-Gasteig:Die kleinen Geschwister des Stadtrats wollen mehr

Geburtstagsfeier im Interim-Gasteig: OB Dieter Reiter würdigte die Bezirksausschüsse bei der 75-Jahr-Feier als "Erfolgsgeschichte für die Demokratie vor Ort".

OB Dieter Reiter würdigte die Bezirksausschüsse bei der 75-Jahr-Feier als "Erfolgsgeschichte für die Demokratie vor Ort".

(Foto: Florian Peljak)

Seit 75 Jahren kümmern sich die Bezirksausschüsse um die Interessen der Bürger in den Vierteln. Von der Stadtspitze gibt es viel Lob für die Arbeit - doch die Lokalpolitiker hätten gerne noch mehr Kompetenzen.

Von Ulrike Steinbacher

Die gute Busverbindung ist gekappt, jetzt dauert der Weg zur Arbeit viel länger - was tun? Auf dem Acker nebenan ist ein neues Wohngebiet mit Hochhäusern geplant - muss das sein? Das Kind ist für eine andere Grundschule eingeteilt als alle seine Freundinnen - lässt sich da was machen? Wer in München ein Problem hat, kann mehr tun als einen Brandbrief an Bürgermeisterin respektive Stadtrat zu schreiben oder sich in der Verwaltung zur zuständigen Person durchzukämpfen.

Die Münchner können ein Gremium einschalten, das es bayernweit sonst nur noch in Ingolstadt gibt: den Bezirksausschuss. Dessen Mitglieder vertreten die Interessen der Bürger im Stadtbezirk und versuchen, sie bei Verwaltung und Stadtrat durchzusetzen. Seit 75 Jahren gibt es diese zweite kommunale Ebene, die kleine Schwester des Stadtrats sozusagen. Das Jubiläum feierten die knapp 700 Mitglieder der 25 Münchner Bezirksausschüsse am Montagabend bei einem Stehempfang in der Isarphilharmonie.

Sonderlich glamourös ist sie nicht, die politische Arbeit der Stadtviertelvertreter, schließlich geht es meist um Alltagsdinge - Schulsprengelgrenzen und Gastschulanträge, Bauprojekte, Busfahrpläne. Frustrierend kann sie auch sein, denn manch sorgfältig ausgearbeitete Stellungnahme verschwindet am Ende in einer Verwaltungsschublade. Und ehe das Internet den Transport von Arbeitsunterlagen übernahm, sei sie auch noch kraftraubend gewesen, erzählt Patric Wolf. Damals sei er oft "schwer bepackt mit Jutetaschen" durchs Viertel gelaufen, um die Kollegen mit Sitzungsvorlagen zu beliefern.

Trotzdem ist Wolf ein leidenschaftlicher Stadtviertelvertreter. Seit 1996 sitzt er für die CSU im Bezirksausschuss (BA) Schwabing-Freimann, seit 2020 leitet er ihn. "Die allergrößte Stärke ist, dass wir viel näher bei den Bürgerinnen und Bürgern sind als die Stadträte", sagt er. Schon rein statistisch kämen in der 1,5-Millionen-Stadt München auf ein Stadtratsmitglied 19 000 Bürger, auf ein Bezirksausschussmitglied aber nur 2000 bis 2200.

Angelika Pilz-Strasser kennt beide kommunalen Ebenen. Die Grünen-Politikerin, die seit 1996 dem BA Bogenhausen angehört und ihn von 2008 bis 2020 leitete, ist seit vier Jahren auch Stadträtin. Die Arbeit im BA beschreibt sie als "kreativer und weniger formell". Kompromisse in Sachfragen sind nach ihrer Erfahrung auf der unteren Ebene einfacher zu finden. "Man kann neben der Ja-Nein-Schiene immer noch inhaltlich miteinander reden." Und gerade die Bürger aus Stadtrandgebieten kämen in den Bezirksausschüssen mit ihren Problemen zu Wort.

Über Sommerstraßen, Schanigärten, Sperrstunden wird im Stadtviertel entschieden

Tatsächlich brachte der Wunsch nach mehr Bürgernähe den Stadtrat im Oktober 1947 dazu, solche Gremien einzuführen. Sie entstanden aus Aktionsausschüssen zur Förderung des Wiederaufbaus und sollten "die Anteilnahme der Gemeindebürger an den öffentlichen Angelegenheiten" steigern, die lokale Sicht zur Entscheidungsfindung beisteuern. Aus zunächst 41 Bezirksausschüssen wurden in den Neunzigern 25. Ihre Größe richtet sich nach der Einwohnerzahl: Der kleinste im Stadtbezirk Altstadt-Lehel hat 15 Mitglieder, der größte in Ramersdorf-Perlach 45.

Die ersten 50 Jahre hatten die Bezirksausschüsse recht wenig zu sagen. Das sieht man schon daran, dass der Stadtrat erst in den Siebzigern dazu verpflichtet wurde, ihre Anträge innerhalb von drei Monaten zu behandeln. Eine grundlegende Änderung brachte der Volksentscheid "Mehr Demokratie in Bayern". In seiner Folge wurden die Münchner BA-Mitglieder 1996 zum ersten Mal nicht mehr von den Parteien benannt, sondern von den Bürgern gewählt. Damit waren sie ebenso demokratisch legitimiert wie Bürgermeister und Stadträtinnen. Heute, sagt Patric Wolf, werde man in der Stadtverwaltung nur noch selten als "lästiger Annex" wahrgenommen.

Seit 2001 haben die Bezirksausschüsse auch eigene Budgets, um Aktivitäten im Viertel zu fördern. 2018 vervierfachte sich die Gesamtsumme, die sie ausgeben können, auf rund vier Millionen Euro im Jahr. Der Stadtrat und vor allem Oberbürgermeister Christian Ude in den Nullerjahren übertrugen den Bezirksausschüssen Entscheidungsrechte: Sperrstunden, Schanigärten, Straßennamen, Sommerstraßen fallen zum Beispiel in ihre Zuständigkeit.

Auch bei der Planungshoheit wollen die Bezirksausschüsse mitreden

Zufrieden sind die Stadtviertelvertreter mit ihren Kompetenzen dennoch nicht. Die Direktwahl, das Budget - "das ist alles toll", sagt Patric Wolf. Aber man müsse weitermachen, mehr Entscheidungsrechte nach unten umverteilen, auch die Planungshoheit. Angelika Pilz-Strasser pflichtet ihm bei. "Wir wollen mehr gehört werden, gerade bei Bauleitplanungen", sagt sie. Der BA Trudering-Riem bat im März um eine juristische Einschätzung, was da gehen könnte. Die Antwort der Verwaltung fiel allgemein aus: "Eine Übertragung weiterer konkreter Angelegenheiten" sei möglich, für alles andere müsse der Freistaat die Gemeindeordnung ändern.

Von neuen BA-Rechten war beim Festakt am Montag nicht die Rede, auch wenn Verena Dietl (SPD), als Dritte Bürgermeisterin für die Bezirksausschüsse zuständig und selbst 18 Jahre lang im BA Laim aktiv, anmerkte, die Stadtpolitik lasse sich bei der Erweiterung der Kompetenzen "von der Einsicht leiten, dass eine 1,5-Millionen-Stadt immer unübersichtlicher wird und viele Fragen von örtlicher Bedeutung vor Ort mit besserer Sachkenntnis entschieden werden können".

OB Dieter Reiter (SPD) würdigte die "Erfolgsgeschichte für die Demokratie vor Ort". Die Stärkung der Bezirksausschüsse habe den Bürgerinnen und Bürgern neue Teilhabe- und Mitwirkungsmöglichkeiten gebracht. Mit ihrem "oft strapaziösen und manchmal undankbaren" Ehrenamt erwiesen die BA-Mitglieder der Stadtgesellschaft einen unschätzbaren Dienst, sagte er.

Geschenke gab's auch zum Jubiläum: Das Personal in den fünf Geschäftsstellen soll aufgestockt, die BA-Arbeit bekannter gemacht werden. Dazu hat die Stadt eine aufwendige Multimedia-Reportage ins Internet gestellt und eine Broschüren-Reihe zu den 25 Stadtbezirken aufgelegt.

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