München ist eine Trambahnstadt, davon sind sie bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) überzeugt. „Kein anderes Verkehrsmittel hat das Stadtbild so geprägt wie die Straßenbahn“, sagt MVG-Schienenbetriebschef Oliver Glaser. Die Tram ist immer wieder Stadtgespräch, im Guten wie im Schlechten. Erst an diesem Montag ist eine Straßenbahn mit einem Bus kollidiert, wobei mehrere Menschen, vorwiegend Kinder, verletzt wurden.
Beim Wintereinbruch 2023 konnte die Tram tagelang nicht fahren, weil Gleise und Weichen vereist waren. Und bei Neubauprojekten regt sich immer wieder Widerstand, gerade für die Christsozialen im Rathaus und im Landtag ist die Tram über weite Strecken ein Teufelswerk.
Das sehen nicht alle so, wie die vollen Straßenbahnen tagein, tagaus zeigen. In eine Straßenbahn passen deutlich mehr Menschen als in einen Bus, sie kommt streckenweise schneller voran, sofern kein Auto in den Gleisen parkt, ihr Bimmeln klingt weitaus freundlicher als eine Autohupe. Und sie fährt seit jeher abgasfrei, von 1876 an als Pferdetram, von 1895 an dann elektrisch. Die Tram sei das Verkehrsmittel mit den höchsten Sympathiewerten, sagt Matthias Korte, Leiter des MVG-Mobilitätsmanagements. Weil sie kommendes Jahr 150 Jahre alt wird, will die MVG das Jubiläum entsprechend feiern.
Dazu will sie für einen Millionenbetrag „im unteren Bereich“ – eine genaue Kostenschätzung fehlt noch – fünf historische Straßenbahnen samt Beiwagen wieder so weit herrichten, dass sie zum Jubiläum im Oktober 2026 in einem Corso durch die Stadt fahren können. Der älteste der Straßenbahn-Oldtimer stammt aus dem Jahr 1901 und war bis 1959 in Betrieb. Die anderen Fahrzeuge stammen aus den Jahren 1911, 1944, 1957 und 1967.


Den sogenannten M-Wagen von 1957 kennen viele noch von Glühwein-seligen Rundfahrten durch die Stadt. Er war bis 2019 mit der passenden Fahrzeugnummer 2412 als Christkindltram unterwegs. Und auch die Straßenbahnen vom Typ P sind noch gar nicht so lange aus dem Stadtbild verschwunden. Sie wurden bis 2020 im Liniendienst eingesetzt.
Die alten Fahrzeuge müssen teilweise aufwendig instandgesetzt werden. So müssen sie unter anderem an die Stromspannung der Oberleitungen angepasst werden, zudem stehen noch andere technische und optische Reparaturen sowie die Abnahme der technischen Aufsichtsbehörde an.


Einen Teil der Arbeiten erledigt die MVG in ihren Fachwerkstätten in eigener Regie, größere Reparaturen sollen an Fachfirmen vergeben werden. Auch der Verein der Freunde des Münchner Trambahnmuseums ist an der Aufbereitung beteiligt. Und dann müssen für die Ausfahrten der historischen Straßenbahnen auch noch Fahrer geschult werden. Wer erfahren will, wie viel Handwerk im wörtlichen Sinne für den Betrieb einer Tram früher notwendig war, kann dies im MVG-Museum an der Ständlerstraße ausprobieren. Wer dort einen historischen Fahrschalter bedient, braucht ordentlich Kraft.
Ein Besuch im MVG-Museum bietet einen breiten Überblick über die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs in München. Neben alten Bussen sind auch viele Straßenbahnen und ein U-Bahn-Wagen mit Fahrsimulator ausgestellt. Auch eine Pferde-Tram gibt es dort zu sehen – mit dieser begann die Geschichte der Münchner Straßenbahn.
Am 21. Oktober 1876 ging die erste Pferde-Linie in Betrieb. Sie verkehrte auf 2,8 Kilometern zwischen der Nymphenburger Straße und dem Promenadeplatz. Schnell waren die ersten Straßenbahnen nicht, es ging mit zwei bis drei Kilometer pro Stunde eher gemächlich vorwärts. Und bei Steigungen mussten die Fahrer zusätzliche Rösser einspannen. Von 1895 an fuhren dann die ersten elektrischen Straßenbahnen, 1900 dann verschwanden die Pferdebahnen aus dem Stadtbild.
Die Tram war das wichtigste Verkehrsmittel der Stadt, sie überlebte zwei Weltkriege und den Siegeszug des Autos auf den Straßen. Doch als München Anfang der Siebzigerjahre zur U-Bahn-Stadt wurde, schienen die Tage der Tram gezählt. Linien wurden eingestellt, der Fuhrpark wurde nicht mehr erneuert. Die U-Bahn war schneller, Busse galten als flexibler.
CSU-Oberbürgermeister Erich Kiesl forcierte die Abschaffung der Trambahn noch. Die Tram wurde zum Wahlkampfthema, SPD-Kandidat Georg Kronawitter sprach sich für die Tram aus und wurde 1984 erneut zum Oberbürgermeister gewählt. Auch sein Nachfolger Christian Ude (SPD) setzte sich in den Neunzigerjahren für die Tram ein. Danach wurden Strecken reaktiviert und neue Fahrzeuge angeschafft, die Zukunft der Tram war gesichert.
Heute befördert die Münchner Straßenbahn rund 120 Millionen Fahrgäste pro Jahr, das Netz umfasst 83 Kilometer mit 174 Haltestellen. Bis 2030 sind weitere 15 Kilometer Neubaustrecke geplant. Aktuell läuft der Bau der Tram-Westtangente, die Ende 2028 in Betrieb gehen soll. Die Tram zum S-Bahnhof Johanneskirchen würde die MVG auch gerne bis 2027 fertig haben, ebenso den ersten Abschnitt der Tram im Münchner Norden.
Die Nordtangente durch den Englischen Garten wird nach dem Veto der CSU-Staatsregierung nach jetzigem Stand nicht gebaut. Andere Projekte, wie etwa eine Tram-Südtangente, eine Verlängerung der 19er von Berg am Laim nach Daglfing oder eine Tram von Ramersdorf nach Perlach bleiben vorerst Wunschdenken.
Auch wenn sich Ausbauprojekte aus Geldmangel verzögern, setzt die MVG voll auf die Tram: Die Flotte und Fahrzeuge werden größer, etwa durch die 73 neuen Vierteiler vom Typ „Avenio“, die sogenannten Doppeltraktionen auf der Linie 20 mit 48 Metern Länge und die künftige Neubeschaffung von 56 Meter langen Zügen. Auch MVG-Chef Ingo Wortmann sagt, die Trambahn präge das Gesicht der Stadt und das Lebensgefühl der Menschen in München: „Zum Jubiläum wollen wir einen weiten Bogen von der eindrucksvollen Geschichte der Straßenbahn bis zu ihrer wachsenden Bedeutung für unsere heutige Mobilität spannen.“
Im Trambahn-Corso nächstes Jahr sollen denn auch moderne Fahrzeuge mitfahren. Auch dann wird sich zeigen, wie sehr die Münchnerinnen und Münchner die Straßenbahn schätzen. 2011, erzählt Oliver Glaser, habe es schon einmal einen Corso gegeben. Den hätten Zehntausende am Straßenrand verfolgt.