Mülllader:Diese Männer machen München sauber

Mülllader: Die Komfortpartie im Wagen 751 ist ein eingespieltes Team.

Die Komfortpartie im Wagen 751 ist ein eingespieltes Team.

(Foto: Stephan Rumpf)

Jeden Morgen um 6.30 Uhr verlassen die vier Kollegen der "Komfortpartie" in ihrem Mülllaster den Betriebshof Ost. Ihre Berufswahl bereuen sie nicht.

Von Martina Scherf

Sechs Uhr morgens, Schnürlregen, im Büro des Betriebshofs Ost herrscht Hektik. Gleich werden 35 Mülllaster das Gelände verlassen. Wolfgang Maier, ein stämmiger Bayer im orangefarbenen Dienstanzug, kommt herein und nimmt eine ebenso orangefarbene Mappe aus seinem Fach. Darin finden sich Schlüssel, Fahrzeugbrief und ein Papier, auf dem Änderungen für den Tag notiert sind. Nichts Besonderes heute. Ein kurzes "Servus, alles klar?" vom Chef, dann ist Maier schon auf dem Weg zu seinem Laster.

Draußen trifft der 53-Jährige seine Kollegen: Rainer Wolf, den "Capo", und Reinhard Thaleder, beide 61. Heute ist auch noch Adi Hollerith dabei, 62. "Wir sind die Komfortpartie", sagt Thaleder und lacht. Partie heißt im Fachjargon das Team der Mülllader. Komfortpartie, das ist eine Anspielung der Truppe auf ihr fortgeschrittenes Alter und die Tatsache, dass sie, wenn Adis Gesundheit mitspielt, zu viert an Bord sind. Normalerweise arbeiten nur drei Mann in einem Team.

Auch haben sie eine der angenehmeren Touren: Bogenhausen, Johanneskirchen, Oberföhring, überwiegend ein "Behälterbezirk". Das bedeutet: kurze Wege und große 1100-Liter-Roll-Tonnen, die am Straßenrand stehen. Keine Altbauten, in denen man die 240-Liter-Behälter die Kellertreppen hochhieven muss. "Wenn einer gerne Innenstadt fährt, findet er's bei uns vielleicht langweilig", sagt Thaleder. Aber Innenstadt fährt eigentlich keiner so gern, meint er - der viele Verkehr, das Gedränge, die engen Höfe.

Pünktlich um 6.30 Uhr geht die Schranke hoch, und eine Armada von 15-Tonnern rollt vom Gelände. Der Betriebshof Ost in der Truderinger Straße ist eine hochmoderne, blitzsaubere Anlage aus Stahl und Glas. 120 Mülllader und 50 Kraftfahrer arbeiten dort. Wenige Meter hinter der Schranke trennen sich die Wege der Mülllaster, und Fahrzeug 751, mit dem "Komfortteam" an Bord, nimmt Kurs auf Englschalking.

Die vier Männer sind ein eingespieltes Team. Thaleder gehört zu den Dienstältesten bei der Münchner Müllabfuhr, "der hat noch mit dem Pferdewagen eingesammelt", lästert Wolf. Stimmt nicht ganz, sagt Thaleder und lacht, aber 40 Jahre, das ist doch eine lange Zeit. Er hat seine Berufswahl nie bereut, sagt er. Müllmann, das ist ein ehrenwerter Beruf, betonen alle Vier.

Wolf, der Capo, ist seit 28 Jahren dabei, "und fast die ganze Zeit auf diesem Wagen". Am wichtigsten, sagen sie, ist eine harmonische Partie. "Lieber gute Leute und mehr Arbeit als eine schöne Tour und jeden Morgen Magenschmerzen", sagt Wolf und greift nach seinem Filzhut. Es regnet, aber das Wetter macht ihnen nichts aus.

Heute leeren sie die Papier- und die Biotonnen, in zwei Touren. Los geht es in der Freischützstraße: ein moderner Wohnblock, elf blaue 11oo-Liter-Tonnen stehen davor. Mit einem Dreikantschlüssel öffnet Wolf den Deckel der ersten Papiertonne, die oben nur einen schmalen Einwurfschlitz hat, damit die Leute ihre Kartons zerkleinern müssen, bevor sie sie einwerfen.

"Sonst würden manche alles in die Tonne schmeißen, was sie los werden wollen", sagt Wolf, rollt den Behälter zum Lkw und "legt auf". Klack, hakt die Tonne ein, klack, wird sie nach oben gekippt und entleert, langsam fährt sie wieder nach unten. Wolf klinkt sie aus und stellt sie zurück. Früher, erzählt er, da haben sie alles Mögliche in den Tonnen gefunden: eine Waschmaschine und einmal einen Motorblock, "schön zugedeckt von alten Zeitungen."

So was kann auch gefährlich werden. Denn die Presse im Fahrzeug ist gnadenlos. Einmal lag ein Autoreifen gut versteckt im Restmüll. "Als die Presse ihn erfasste und nicht schlucken konnte, hat sie ihn wieder herausgeschleudert wie eine riesige Diskusscheibe", erzählt Wolf. "Zum Glück stand keiner von uns im Weg, das hätte bös' ausgehen können." Dagegen war die Granate, die sie mal rechtzeitig in der Tonne entdeckt hatten, harmlos. Sie waren los gerannt und hatten die Feuerwehr gerufen, doch es war nur eine Attrappe.

Ruck, zuck sind die Tonnen eine nach der anderen geleert. Die blauen werden zurück gerollt und im selben Arbeitsgang die braunen Biotonnen nach vorne gerückt, für die zweite Runde am späten Vormittag. Die Männer arbeiten Hand in Hand. Einer rückt die Tonnen vor, einer hängt sie in die Ladevorrichtung, einer stellt sie zurück. "Schau, wie der Adi rennt", sagt Thaleder und grinst, "der kann sich das nicht abgewöhnen". Wenn die drei fertig sind, drücken sie auf einen Knopf am Heck des Lasters, das gibt Maier das Signal zum Weiterfahren. Weil es regnet, setzen sie sich heute zu ihm ins Fahrerhaus.

Maier, gelernter Kfz-Mechaniker und Kraftfahrer, ist seit neun Jahren auf dieser Tour. Er hat es am bequemsten: Hinterm Steuer ist es warm und trocken, "ich schau den anderen beim Arbeiten zu", sagt er und zwinkert. Auf seinem kleinen Monitor kann er beobachten, was die Kollegen hinten machen. Im Radio läuft Bayern 2, die Radio Welt. "So bin ich immer gut informiert, was los ist in der Welt", sagt der Fahrer. Er ist ein gemütlicher Mensch, so leicht bringt ihn nichts aus der Ruhe. Wenn es hinter ihm ungeduldig hupt, reagiert er nicht.

Die Bewunderung ist ihnen sicher

Was soll er auch machen? Nur die vielen Paketdienste, die die Straßen verstopfen, sind lästig, sagt er. "Aber sich ärgern hilft ja nix." Seit die alten Eisentonnen durch Plastikbehälter ersetzt wurden, ist die Arbeit viel leichter, sagen die Mülllader. Aber die Bestellwut der Leute hat gewaltige Ausmaße angenommen, "und die Kartons landen in der Tonne oder darauf oder daneben", sagt Wolf und schüttelt den Kopf. Er wundert sich über manche seiner Mitmenschen, was die alles zum Leben brauchen.

Am nächsten Haus stehen die Tonnen hinter einer Schranke. Der Capo greift mit blinder Sicherheit zum richtigen Schlüssel aus Dutzenden, die im Fahrerhaus hängen, und schließt auf. Das Leeren dauert, währenddessen blickt Maier auf den Rasen hinter der Einfahrt: Ein Hase mümmelt dort in aller Ruhe an einem Grashalm. "Ein Feldhase", betont Maier. Weiter geht es, noch ein paar Wohnblocks, dann kommt das Ortsschild von Unterföhring: Die nächste Tonne gehört nicht mehr der Stadt, sondern dem Landkreis. Maier wendet.

Es geht runter zur Isar, vorbei am Biergarten, dann kommen die Einfamilienhäuser dran, beste Lage. In den Einfahrten stehen Porsche Cayennes und Siebener-BMWs. Einmal, erzählt Maier, stand so eine Limousine mitten in der schmalen Straße. Nichts rührte sich. Da mussten sie die Polizei rufen, denn rückwärts den Berg rauf, das ging nicht, und sie mussten ja ihre Arbeit machen. Die Polizei hat den Fahrer ermittelt, "es war ein Promi, aber den wollten's nicht abschleppen", sagt Maier. Irgendwann sei der Promi dann aufgetaucht, eingestiegen und weggefahren. Wer's war? Betriebsgeheimnis, sagen die Mülllader.

Der Regen schnürlt weiter, die Straße ist leer. Die Schauspielerin Kathrin Ackermann wohnt in der Gegend, "sie ist immer freundlich und hält öfter ein Schwätzchen mit uns", erzählt Wolf. Und auch der Carlo Thränhardt, ehemaliger Leichtathlet und Trainer, wohnt in der Nähe. Man sieht sich gelegentlich, geredet haben sie noch nicht viel, sagt Wolf. Dabei hätten die beiden ein gemeinsames Thema: den Leistungssport. Wolf stammt aus der ehemaligen DDR und war Verteidiger im Team des 1. FC Lok Leipzig. Ein Jahr vor der Wende durfte er mit Frau und Tochter in den Westen und landete bei Verwandten in München.

"Ich fing gleich beim Abfallwirtschaftsamt an, zuerst im Büro, aber das war nichts für mich", erzählt er. Lieber meldete er sich als Mülllader, "das habe ich nie bereut". Und um 15 Uhr ist Schluss, ein Vorteil für den Fußballer. Bis vor zwei Jahren spielte Wolf noch bei der SpVgg Unterhaching. Jetzt hat er aufgehört. Aber wenn er in Rente geht, wird er in Unterhaching den Nachwuchs trainieren. Das ist schon abgemacht.

10.30 Uhr, die erste Tour ist beendet

Zurück geht es auf die Oberföhringer Straße, über die mittlerweile der Berufsverkehr rauscht. Plötzlich kommt auf dem Gehsteig eine Gruppe Grundschüler angestapft, in bunten Regenjacken und Gummistiefeln, mit Eimern und Plastikzangen ausgestattet. "Wir sammeln auch Müll", sagt stolz ein blond gelocktes Mädchen zu Thaleder und zeigt ihm den Inhalt ihres Eimers.

Die Bewunderung kleiner Jungs ist den Männern mit ihren Uniformen und dem großen blinkenden Laster ohnehin sicher. "Wir haben schon viele Kinder aufwachsen sehen", erzählt Wolf. "Der Michael aus Johanneskirchen stand ein paar Jahre lang jedes Mal da, wenn wir zum Sammeln kamen". Er durfte auch mal ein Stück mitfahren. Irgendwann flaute sein Interesse ab. Aber als seine Mutter mal erzählte, dass der Michael jetzt 21 ist und als DJ jobbt, "da haben wir ihn besucht", erzählt Wolf. "Wir kamen in den Club und sagten: Hallo Michael, wir sind deine Müllmänner, weißt du noch? Das war ein sehr lustiger Abend."

10.30 Uhr, die erste Tour ist beendet, Maier setzt seine Kollegen im Betriebshof ab und entlädt den Laster nebenan bei einer Firma, die das Altpapier verwertet. Dann treffen sich die Vier mit ihren Kollegen zur Frühstückspause in der Kantine. Manche verzehren um diese Zeit schon einen Schweinsbraten, sie sind ja schon seit mehreren Stunden auf den Beinen.

Wolf, der einstige Leistungssportler, isst grundsätzlich eine Banane, die ihm seine Frau eingepackt hat - und muss sich dafür Frotzeleien anhören: "Das gehört zu unseren Ritualen", sagt Wolf und grinst. Ebenso wie das Lottospielen. Einmal hatten sie fünf Richtige und 3000 Euro gewonnen. "Das Geld haben unsere Frauen für den Urlaub ausgegeben", erzählen sie.

Seit kurzem gibt es ein paar Frauen unter den gut 1000 Müllladern der Stadt. Heute sitzt keine am Tisch. "Mei, des muss ned schlecht sein", sagt ein Kollege. Ein anderer ist schon mit einer Kollegin gefahren, er findet es richtig gut. "Die hat besser gearbeitet als mancher Mann", sagt er. Die Komfortpartie schweigt. Sie sind ein eingeschworenes Team. Sie brauchen niemanden.

Das Draußensein, die soziale Sicherheit, die Gemeinschaft, das mögen sie an ihrem Job. Musste die Stadt in den Sechzigerjahren noch sogenannte Gastarbeiter anwerben, hat das Abfallwirtschaftsamt heute genug Bewerber. Nur eines finden die Männer nicht gut: Dass München ständig wächst und damit die Zahl der Mülltonnen - aber nicht das Personal. "In Oberföhring kommt bald ein Wohngebiet mit 1700 Einwohnern dazu", sagt Wolf, "das sollen wir dann so nebenher machen?".

Jetzt ist aber Schluss mit Reden. Die Männer wollen am Nachmittag pünktlich fertig sein. "Ich geh schon mal vor", sagt Maier. Noch eine Runde durch den Münchner Osten, dann ist Feierabend.

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