Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt:"Ich sehe da Gottes Hand"

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hat nach eigenen Angaben Hände, "die sehen können".

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hat nach eigenen Angaben Hände, "die sehen können".

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Seine Diagnose stellt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ohne Kernspin. Er diagnostiziert mit den Händen. Beim Austausch mit Abt Johannes Eckert erzählt der Bayern-Arzt, wie wichtig ihm sein Glaube ist - und wie er bei seiner Arbeit die Nähe Gottes erlebt.

Von Jakob Wetzel

Die erste Frage aus dem Publikum klingt fast ein wenig bang. Was sei, wenn er einmal altersbedingt aufhöre, möchte ein Mann wissen. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der Arzt auf dem Podium, ist ja auch schon 77 Jahre alt. Ob er seinen Kollegen alles beigebracht habe: das Diagnostizieren nur mit den Fingern, das "mit den Händen sehen", wie der Sportmediziner seine 2018 erschienene Autobiografie genannt hat?

Von dem Orthopäden und Mannschaftsarzt des FC Bayern heißt es, er könne Verletzungen auf wundersame Weise erspüren: Während andere einen lädierten Fußballer erst in die Röhre schieben müssen, wisse der "Mull" schon, was ihm fehlt. Doch gilt das auch für die fünf Kollegen in seiner Praxis? Dafür könne er nicht garantieren, antwortet Müller-Wohlfahrt. Das Tastvermögen brauche viel Übung und eine hohe Konzentration, "da kommt nicht jeder zur Perfektion". Nötig sei, nicht zuletzt, auch viel Selbstvertrauen.

Müller-Wohlfahrt fehlt es daran nicht. "Ich lebe in der Vorstellung: Ich kann immer helfen", sagt er. "Ich habe immer Kraft und volle Konzentration." Am Freitagabend ist der Münchner Arzt in die Benediktiner-Abtei Sankt Bonifaz an der Karlstraße gekommen. Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung und das katholische Medienhaus Sankt Michaelsbund haben ihn eingeladen, um mit Abt Johannes Eckert, 50, über Medizin und Glaube zu sprechen, über das Heilen von Körper und Seele.

Etwa 200 Gäste sind gekommen, um die beiden ungleichen Gesprächspartner zu sehen: hier den "Doc", den weltweit bekannten Sportmediziner, der einst nach eigener Aussage ein schlechter Schüler, aber ein guter Leichtathlet war, und den Münchner Stadiongänger in Gedanken unweigerlich vor sich sehen, wie er im Trainingsanzug und mit wehenden Haaren über den Fußballplatz sprintet. Und dort den Ordensmann, der zwar 2016 ein Buch übers Bergsteigen und über biblische Gipfelbotschaften geschrieben hat, der aber als Schüler "kein großer Sportler" war, wie er sagt, und der in seinem langen schwarzen Habit gar nicht richtig sprinten könnte, selbst wenn er wollte.

Doch die Gemeinsamkeiten zwischen ihren Metiers, zwischen dem Glauben und Müller-Wohlfahrts Medizin, sind erstaunlich groß. Beide müssen erst einmal zuhören, der Seelsorger wie der Arzt. Man müsse sich Zeit nehmen, sagt der Mediziner. Und wenn er dann mit der Behandlung beginne, lege er erst einmal seine Hände auf den Schultergürtel seiner Patientin oder seines Patienten und spreche in Gedanken ein Gebet dafür, dass er Erfolg habe. Der Mann mit den mutmaßlichen Wunderhänden, der aus einer ostfriesischen Pastorenfamilie stammt und dessen Vater einst wollte, dass er evangelische Theologie studiert, setzt auf Gott: "Ich habe das noch nie jemandem erklärt", sagt er. Auch die Patienten wüssten nichts davon, die dächten, er würde sich einfach nur konzentrieren.

Er erlebe bei seiner Arbeit ohnehin die Nähe Gottes, erklärt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Mit den Fingern nehme er Dinge wahr, die man mit Apparaten nicht darstellen könne. Seine Diagnosen stelle er ohne Computertomografen und ohne Kernspin; solche Maschinen benutze er erst später, "für die Versicherung, weil die nicht glaubt, dass man nur mit den Händen diagnostizieren kann". Doch er selber frage sich auch, wie er manche Diagnose habe stellen können. Und er arbeite ja auch mit Homöopathie und habe damit Erfolg, "wie kann ich das verstehen"? Seine Antwort ist: "Ich sehe da Gottes Hand, ich sehe da Energie und Kraft von oben." Er habe absolutes Gottvertrauen, sagt Müller-Wohlfahrt noch. Und er habe das Gefühl, sein Weg sei vorbestimmt.

Johannes Eckert, der Ordensmann, ist der Zweifelnde von den beiden. Gleich zu Beginn sagt er, Gott zu lieben sei einfacher, als an ihn zu glauben. Sein eigener Weg sei nicht glatt verlaufen, als junger Mann habe er immer wieder gehadert. Ein älterer Mitbruder habe gesagt, je älter er werde, desto mehr verstumme er in der Rede über Gott, sagt Eckert. Das könne er nachvollziehen.

Der Abt geht an diesem Abend offen mit sich ins Gericht. Er spricht davon, dass eigentlich zu viele Trostsuchende zu ihm kämen, und dass es ihm nicht immer gelinge, im Gespräch aufmerksam zu bleiben. Er sagt, es sei schwierig, loszulassen und sich ganz auf das Gegenüber einzulassen, und dass es auch eine Herausforderung sei, die eigene Eitelkeit zu überwinden.

Und wenn die beiden selbst einmal Hilfe brauchen? Er blicke immer nach vorne, antwortet Müller-Wohlfahrt. Er habe vieles erlebt, Verletzungen, Unfälle, Bandscheiben-Operationen. "Aber ich habe immer die Hoffnung, ich komme wieder zurück. Und das habe ich auch geschafft." Eckert sagt, er sei dankbar: für seine Gemeinschaft, die auf ihn achte, für seine Familie und seine Freunde und dafür, dass er mit seinen eigenen Brüchen jeden Monat zu seinem geistlichen Begleiter gehen könne. Und er habe einen guten Hausarzt.

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