"Wie viel Mozart braucht der Mensch?", lautet der Titel einer Vortragsreihe, die von Ende Mai an beim Mozartfest Würzburg stattfinden soll. Wie viel Mozart braucht eigentlich ein Mozartfest? So könnte die Frage auch lauten - zumal in einer Stadt, in der Mozart zwar nur Kaffee getrunken, die er aber immerhin als "schöne, prächtige Stadt" wahrgenommen hat. Die Antwort zielte beim ältesten deutschen Mozartfest spätestens ab den 1990er-Jahren auf eine Öffnung auch für andere Komponisten, wobei die Zeitgenossen erst mit der gegenwärtigen Intendantin Evelyn Meining (seit 2014) wirklich zum Zug kamen.
Entnehmen kann man das einem schönen, prächtigen Sammelband, den sich das Mozartfest zu seinem 100. Geburtstag in diesem Jahr selbst geschenkt hat. Für die Chronik hat man erstmals Quellen wie den Privatnachlass des Gründers Hermann Zilcher oder den Taschenkalender von Eugen Jochum ausgewertet, der als Chefdirigent des BR-Symphonieorchesters regelmäßig in Würzburg gastierte.
Doch wie zum Mozartfest von jeher eine Balance zwischen dem Regionalen und dem Internationalen gehört, so will auch das vorgezogene Geburtstagsgeschenk mehr bieten als reine Nabelschau. Stattdessen antwortet eine illustre Runde von Musikwissenschaftlern und Musikern in Essays und Interviews vor allem auf eine weitere Frage: Wie soll man Mozart eigentlich spielen? Ansätze zu einer historisch informierten Herangehensweise verfolgte bereits der Gründer: In den Räumen der Residenz, die zu Mozarts Lebzeiten fertiggestellt wurden und bis heute viel vom Ambiente des Fests ausmachen, wollte Zilcher "eine fantasievolle Imagination der alten Zeit" bieten, wozu er schon einmal auf das Spinett zurückgriff. Bevor er, was der Band keineswegs verschweigt, während des Nationalsozialismus das Zerrbild eines "germanischen Mozart" mit zu befördern half. Wie unterschiedlich die Antworten bis heute selbst unter ausgesprochenen Vertretern der historischen Aufführungspraxis ausfallen, verdeutlichen die Aussagen der Dirigenten René Jacobs und Hartmut Haenchen. Während Jacobs die üblichen Tempi bei Mozart oft für zu langsam hält, kritisiert Haenchen eine Tendenz zur Hysterisierung bei schnellen wie langsamen Tempi im Dienst des Effekts.
"Es gibt also nicht nur eine Mozart-Praxis", resümiert der Münchner Musikjournalist Markus Thiel, der die meisten Interviews für den Band geführt hat und seinen Gesprächspartnern viele ungewöhnliche Einblicke entlockt. So überrascht Christian Gerhaher mit der Selbstkritik, dass er "das Noble, Souveräne" des Grafen Almaviva in "Figaros Hochzeit" (den er auch im Münchner Nationaltheater gesungen hat) "nicht hinreichend darstellen" könne. Auch Brigitte Fassbaender berichtet, dass sie sich als Sängerin bei Mozart "oft in einem Korsett" gefühlt habe, weil man keine Phrase "ohne hundertprozentige Kontrolle singen" könne. Die "ständige Verbindung von extremer Disziplinierung und tiefster Emotion" bei diesem Komponisten sei ein Balance-Akt, der "sich nur mit erheblichem stimmtechnischen Können bewältigen" lasse. Einig sind sich alle Beteiligten darin, was die Bratscherin Tabea Zimmermann auf den Punkt bringt: "Man kommt bei Mozart an kein Ende - und nicht ohne ihn aus." Weshalb man nur hoffen kann, dass das Mozartfest im Frühsommer wie geplant über die Bühne gehen kann.
"Weil jede Note zählt": Mozart interpretieren. Gespräche und Essays. Hrsg. von Stephan Mösch. Bärenreiter-Verlag, 407 Seiten, 29,99 Euro.