SZ-Adventskalender für gute Werke:Stück für Stück ins Leben zurückgekämpft

Alexander Gebert

Ein Motorradunfall, nach dem er behindert geblieben ist, hat Alexander G. seine berufliche Existenz als Schausteller geraubt.

(Foto: Catherina Hess)

Alexander G. ist nach einem Unfall gehbehindert und hat sich mit HIV infiziert. Trotzdem versucht er, sich seinen Humor nicht nehmen zu lassen, statt zu jammern.

Von Sven Loerzer

Mit seinem Autoscooter und seinen Imbissbuden war er zwar nie auf dem Oktoberfest, aber auf dem Cannstatter Wasn genauso wie auf dem Gäubodenfest. Zum Schausteller muss man geboren sein, sagt Alexander G., 57. So wie er. Schon als kleines Kind war er von Heidenheim aus viel unterwegs mit seiner alleinerziehenden Mutter, reiste von Volksfest zu Volksfest, besuchte mit ihr die Jahrmärkte und half mit beim Auf- und Abbau. "Du musst das ganz und gar machen, sonst geht man pleite." An den Wochenenden läuft das Hauptgeschäft, sagt Alexander G., ein Schausteller muss dann arbeiten, wenn die anderen Menschen nicht arbeiten. Der Dezember mit dem Weihnachtsmarkt war für ihn "fast der stärkste Monat", auch wenn es nie einfach war, bei eisiger Kälte den ganzen Tag draußen zu stehen.

Und obwohl er schon lange nicht mehr seinen Betrieb hat, hat er noch viele Bekannte, Schausteller, die wegen der abgesagten Volksfeste und Märkte "gar nicht mehr wissen, wie es weitergeht". Es gab ja nur kümmerlichen Ersatz im Sommer, "nur Larifari-Sachen, sonst nix". Schrecklich sei das, viele würden diese schwere Zeit ohne Einnahmen wohl nicht überstehen. Auch mehr als 20 Jahre, nachdem Alexander G. seinen Beruf als Schausteller aufgeben musste, schlägt sein Herz noch immer für die von Corona so schwer gebeutelte Branche, er leidet mit seinen ehemaligen Kollegen, die nicht nur zur Untätigkeit gezwungen sind, sondern auch ihre Ersparnisse fürs Alter verlieren.

Seinen Beruf hatte er von seiner früh gestorbenen Mutter übernommen, "seit meinem 18. Lebensjahr war ich selbständig". Bis er 34 Jahre alt wurde, "da hat sich mein Leben total verändert". Damals hatte er einen schweren Motorradunfall. "Ich war gelähmt, ich wollte nicht mehr leben", erzählt Alexander G., der zunächst in Dresden behandelt wurde, bevor er in die Unfallklinik nach Murnau verlegt wurde. "Und dann kam noch die Horror-Botschaft, dass ich mit HIV infiziert bin." Eine Toxoplasmose obendrein führte zu einer Gehirnentzündung. Aber wenn man vom Hals abwärts gelähmt sei, "da ist einem alles egal".

Ein Jahr verbrachte er in der Klinik, der psychologischen, medizinischen und physiotherapeutischen Betreuung dort verdankt er viel. "Es wurde langsam besser. Ich konnte die Arme wieder bewegen. Ich kämpfte mich Stück für Stück wieder ins Leben zurück." Langsam kehrte das Gefühl in die Beine zurück, "mit Hilfe der Physiotherapie und eisernem Willen bin ich aus dem Rollstuhl gekommen, ich konnte am Stock laufen".

In den letzten Jahren hat sich das wieder verschlechtert, "ich habe keine Koordination in den Beinen und brauche einen Rollator". Der Schaustellerbetrieb ist längst weg, geblieben sind ihm Schulden, obwohl er den damals neu gekauften Autoscooter zurückgeben konnte. "Bis zu meinem 34. Lebensjahr war ich erfolgreich, ich habe nie daran gedacht, in eine solche Situation zu kommen. Jetzt lebe ich von Sozialhilfe." Auf Dauer davon zu leben, ist schwierig, das Existenzminimum ist sehr knapp bemessen. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie brachten große Einschränkungen mit sich. "Ich bin einsam geworden." Corona und die Folgen, "das geht auf die Psyche, du hockst alleine in der Wohnung, grübelst und denkst nach". Sein Lebensgefährte, mit dem er 23 Jahre zusammen war und der ihm nach dem Unfall immer wieder Mut machte, ist 2008 an Krebs gestorben: "Das war ganz schlimm." So verbringt Alexander G. nun wegen seiner Gehbehinderung viel Zeit allein zu Hause, lebende Verwandte hat er nicht mehr.

Nach 25 Jahren sei seine Couch durchgesessen, eine neue Matratze bräuchte er schon längst, Rückenschmerzen machen ihm zu schaffen. Mal wieder neue Kleidung anzuschaffen, wäre schön. "Aber mit Grundsicherung schafft man das nicht mehr, da muss man ständig rechnen und planen. Doch dazu fehlt einem der Lebensmut." Als Schwerstbehinderter bekommt er eine Haushaltshilfe bezahlt. Einkaufen geht er immer noch selbst, "obwohl es sehr schwer ist für mich. Aber solange ich noch kann, mache ich es selber". Und er bekräftigt: "Es hilft ja nix, es muss doch weitergehen. Man kann sich doch nicht einfach auf andere verlassen." Und so versucht er, sich seinen Humor nicht nehmen zu lassen, statt zu jammern. Die rund 30 Tabletten, die er täglich einnehmen muss, nennt er sein "zweites Frühstück".

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