Literatur:Lug und Spuk

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"Ich mag es, wenn's spukt": Moritz Hürtgen hat einen Schauerroman und zugleich eine Mediensatire geschrieben. (Foto: Thomas Hintner)

Moritz Hürtgen, ehemaliger Titanic-Chefredakteur und Neu-Münchner, liest im Volkstheater aus seinem Debütroman "Der Boulevard des Schreckens".

Von Antje Weber

Ohne drumherum zu reden: Der Journalismus kommt nicht gut weg im ersten Roman von Moritz Hürtgen. Ein koksender Chefredakteur, servile Redakteure - nun gut, das sei nach einem traurigen Schniefen vergessen. Dass ein Volontär ein komplettes Interview erfindet, das anschließend von einer Boulevardzeitung noch einmal bis zur Unkenntlichkeit umgeschrieben wird, tut Journalisten, die trotz Problemkollegen von Tom Kummer bis Claas Relotius noch an das Gute und Wahre glauben wollen, schon etwas mehr weh.

Moritz Hürtgen als ehemaliger Titanic-Chefredakteur weiß, wovon er in "Der Boulevard des Schreckens" (Verlag Antje Kunstmann) schreibt, und wie man die Realität satirisch überspitzt, weiß er natürlich auch. In München wird man ihn nun nicht nur bei einer Lesung im Volkstheater, sondern überhaupt öfter erleben können: Der nunmehr freie Autor zieht in diesen Wochen mit seiner Familie nach München, wie er auf der Frankfurter Buchmesse am Rande eines Auftritts erzählte. München kennt der 1989 geborene, in Taufkirchen aufgewachsene Autor ohnehin sehr gut. Und Taufkirchen lässt sich für Bewohner dieses Münchner Vororts, das erzählte Hürtgen auch, ohne weiteres in seinem Buch wiedererkennen.

Im Roman lässt sich ein Münchner Vorort wiedererkennen

Er heißt im Roman allerdings anders: "Kirching" nennt sich der geteilte Ort, der zum einen Teil aus Plattenbauten, zum anderen aus "schönen oiden Häusern" besteht, wie der Volontär Martin Kreutzer auf seiner heillosen Suche nach der großen Geschichte erfährt. Zuvor will der aus Berlin angereiste Jungjournalist in München sein exklusives Interview mit dem berühmt-berüchtigten Künstler Lukas Moretti führen, der bei einem Performance-Festival namens "Beschwörungen" auftreten soll, einem "Crossover aus Lyrik und elektronischer Musik". In der Kunsthalle "Monolith", wo der Journalist den mit ihm flüchtig aus Studienzeiten bekannten Künstler treffen will, geht der Versuch eines Interviews jedoch völlig schief. Der karrierelüsterne Volontär beschließt, seinen Text zu fälschen und schickt ihn eilends an die Redaktion. Ungünstigerweise stirbt der Künstler Moretti noch in derselben Nacht einen tragischen Tod, der Volontär soll für die aufgeregte Redaktion weitere Details in dessen Heimatdorf Kirching recherchieren, und das Unheil nimmt seinen nicht vorhersehbaren Lauf.

Denn mit viel Lust an bayerischer Folklore und Namen wie "Pröstler" entrollt Hürtgen in jenem Kirching eine Krimi-Handlung mit immer irrwitzigeren Verwicklungen. Da tauchen Figuren auf, die nicht ganz echt wirken, da verbrennen - nur zum Beispiel - Tausende von Forellen, mal ganz davon abgesehen, dass ein irrer, islamophober Lokalreporter mit einer Bürgerwehr das Dorf tyrannisiert. Auch wenn der Roman als Mediensatire etwas klischeehaft erscheinen mag, die vielen surrealen Elemente erhöhen die Spannung und den Spaß. Den "Mystery-Faktor" möge er an diesem Buch am liebsten, sagt Hürtgen selbst: "Ich mag es, wenn's spukt." Erkennbar ist er ein Liebhaber der schwarzen Romantik - und der Dichtung. Er schreibt selbst komische Gedichte , von denen er eine Auswahl bereits im Band "Angst vor Lyrik" veröffentlicht hat. Auch in seinem Roman kommt der Lyrik eine überraschend große Bedeutung zu - und ihrer alle Zeiten und Moden überdauernden Beschwörungsmacht.

Moritz Hürtgen: Der Boulevard des Schreckens. Do., 10. Nov., 20 Uhr, Volkstheater, Tumblingerstr. 29, muenchner-volkstheater.de

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