Mordkomissar im Ruhestand:"Ich dachte nur, Flucht, Deckung, weg"

Als die Fahnder noch mittendrin waren: Über das bewegte Leben des Josef Wilfling. Der langjährige Chef der Mordkommission geht in den Ruhestand.

Susi Wimmer

Er hat den Frauenmörder Horst David zum Geständnis bewegt, bestialische Morde aufgeklärt, mit vielen Familien der Opfer mitgelitten und selbst schon in eine Pistolenmündung geblickt. Jetzt sitzt Josef Wilfling am Esstisch in seiner Wohnung, sagt, dass er keine Kekse isst, weil er auf Diät sei, dass er dem nahenden Ruhestand bis jetzt noch nichts abgewinnen könne und dass er nicht "vom Mordermittler zum Bettenaufschüttler" mutieren werde.

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Am heutigen Freitag wird Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer den Leiter der Münchner Mordkommission in den Ruhestand verabschieden. 42 Jahre lang tat der gebürtige Franke Dienst bei der Polizei, davon 22 Jahre bei der Mordkommission, "und ich habe keine einzige Sekunde bereut." Wilflings Nachfolger wird nach Auskunft von Schmidbauer der erst 35-jährige Polizeioberrat Markus Kraus.

Im Eck die braune Ledercouch, an den Wänden Familienbilder und ein Foto von Papst Benedikt. Die Wohnung riecht frisch geputzt nach Zitrone. "Ach, was wollen Sie, mein Leben ist schrecklich normal, das eines Spießers", winkt Wilfling ab. Er ist seit 39 Jahre verheiratet, hat einen Sohn, der auch Polizist ist. Das "einzig spannende an mir", sagt er kokett, "ist mein Beruf". Leiter der Mordkommission.

Immer klare Kante

Josef Wilfling ist ein Ermittler vom alten Schlag. Wilfling ist einer, der noch über den Mittleren Dienst den Sprung in die Kripo schaffte, das Handwerk von Grund auf gelernt hat und "ohne dieses akademische Getue". Damals, sagt er, sei man die meiste Zeit draußen rumgefahren, habe die Leute befragt - und sei mit Ergebnissen wiedergekommen. Heute säßen die Ermittler zu viel am Computer. Als Wilfling 1987 zur Mordkommission kam, gab es weder PCs in den Zimmern der Fahnder noch Handys, geschweige denn DNS-Verfahren "und diese ganze Mehrarbeit, die einem heute von den Gerichten aufgehalst wird". Wilfling vermisst die Autorität, die Polizisten zu Beginn seiner Karriere noch gehabt hätten: "Die Rechte der Beschuldigten werden ja immer mehr ausgebaut."

Und wenn sich Josef Wilfling über etwas ärgert, dann muss das auch raus. Im Gammelfleischskandal etwa, als der Richter fragte, wo denn die verdorbenen Lebensmittel am Oktoberfest hingekommen seien, parierte er gekonnt mit "des ham wohl die Preißn g'essen". Oder im Mordfall Böhringer. Da sei er sich sicher gewesen, mit dem später nach Indizien als Mörder verurteilten Benedict T., den Neffen der Ermordeten, den Täter vor sich sitzen zu haben. "Wie ein Schulbub" sei der dagesessen, "man dachte, jetzt gesteht er gleich." Benedict T. aber schwieg. Dafür brachte eine wohl kontaminierte DNS-Spur den Fall Böhringer mit dem Mordfall Ursula Herrmann zusammen - und den Fall in die negativen Schlagzeilen. "Wir haben uns da nichts vorzuwerfen", wettert Wilfling.

Klare Kante. Wilfling war als Chef und als Ermittler ein selbstbewusster, sehr eigenständiger Typ, und das hat ihm manche Feinde geschaffen - auch innerhalb der Behörde. Der Beamte, der mit seiner Meinung hinterm Berg hält, war er nie. Gern spielte er sich selbst in einem Fernsehfilm als Jäger des siebenfachen Frauenmörders Horst David, den Wilfling als Zeugen vernahm und durch geschickte Befragung als Täter enttarnte - einer der größten Erfolge seiner Dienstzeit. Aber vielleicht hat das alles dazu beigetragen, dass Wilflings Versuch, seine Dienstzeit ein zweites Mal zu verlängern, nicht klappte. Der Betriebsrat mauerte, es gab Widerstände - nun gibt es die Rente.

Der Beruf als zweite Frau

Ein Leben für den Beruf. Seine "zweite Frau", so nennt Wilfling seinen Job. Wilflings Eltern, Vertriebene aus dem Egerland, waren im oberfränkischen Münchberg aus dem Zug gestiegen. Wilflings Vater starb früh, die Mutter zog die fünf Kinder alleine groß und sagte zum Josef: "Du gehst zum Staat, das ist sicher." Der Bub wäre lieber Journalist geworden, wegen der hübschen Volontärinnen bei der Heimatzeitung. Aber es kam anders: Am 3.Oktober 1966 fing er bei der Bereitschaftspolizei in Nürnberg an. Das fand er nicht einmal schlecht. "Da zählte überall nur die Leistung, ob du ein Flüchtlingskind warst oder ein Bürgermeistersohn." Schon ein Jahr später hockte er auf einem Lastwagen in Richtung München als Bereitschaftspolizist.

"Ich dachte nur, Flucht, Deckung, weg"

Vom verschlafenen Münchberg hinein ins pralle Leben: 68-er Generation, Krawalle, Demonstrationen, Studentenunruhen. Und Wilfling mittendrin. "Wir standen an der Barer Straße, wurden von den Demonstranten mit Pflastersteinen beworfen, und neben mir kippten die Kollegen reihenweise um." Kein Helm, kein Schild, kein gar nichts. Wilfling fühlte sich wehrlos, wütend und "wahnsinnig aggressiv". Und auch wenn er bei der ein oder anderen Demonstration das Ansinnen der Menge nachvollziehen konnte: "Man kann doch nicht einfach das Chaos schalten und walten lassen."

"Ich dachte nur, Flucht, Deckung, weg"

Anfang der siebziger Jahre war Wilfling mit dabei, als "die beste Erfindung, die es bei der Polizei je gegeben hat", aus der Taufe gehoben wurde: die zivilen Einsatzgruppen, ZEG genannt. Das hieß: hinaus auf die Straße, vorwiegend nachts, und Dieben und Einbrechern auflauern. Und dabei wäre er fast ums Leben gekommen.

Es ist im März 1976. Nach einem Raubüberfall an der Maximilianstraße schießt der Täter sich den Weg durch das Treppenhaus frei. Etwa eine Stunde später sieht Wilfling einen Verdächtigen in der Stollbergstraße in einer Hofeinfahrt verschwinden. Wilfling folgt ihm. Doch der Hof mündet in einer Sackgasse, der Täter dreht sich jäh um. "Polizei, zeigen Sie Ihren Ausweis", schreit Wilfling. Der andere zieht eine Pistole und drückt ab. "Ich dachte nur, Flucht, Deckung, weg", erzählt Wilfling. Er taumelt rückwärts und stürzt. In diesem Augenblick pfeift die Kugel über ihn hinweg. Und Wilflings Kollege Erwin Schnellberger schießt dreimal. Brust, Bauch, Oberschenkel. Der Täter überlebt.

Wilfling fährt am nächsten Tag wieder Streife. Ohne Supervision wie das heute vorgeschrieben wäre, ohne Psychologen, geschweige denn Schutzweste. "Die hab' ich nie angezogen, die trägt so auf", sagt er grinsend.

Rund 100 Fälle hat Wilfling bei der Mordkommission bearbeitet. Er ist stolz auf das, was er geleistet hat. Aber er bleibt Realist: "Keine Frage, die werden ohne mich genauso erfolgreich sein."

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