Morde am OEZ:"Das war ein rassistischer Ansatz"

Nach Schießerei in München

Einen Tag nach den Morden am Münchner Olympia-Einkaufszentrum gaben Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU, Mitte, re.) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU, Mitte, li.) ein Statement ab.

(Foto: Matthias Balk/dpa)

Waren die Morde am Olympia-Einkaufszentrum ein Anschlag oder Amoklauf? Innenminister Herrmann will Ermittlungen zu US-Kontakten von David S. abwarten. Eine Opferanwältin wendet sich selbst ans FBI.

Von Martin Bernstein

Die neun Morde am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) liegen nun bald zwei Jahre zurück, doch die Debatte über die Einordnung und Aufarbeitung der Tat hält bis heute an. Nachdem die SZ vor Kurzem über ein Gutachten berichtet hat, das von der Staatsregierung bisher unter Verschluss gehalten wird, meldet sich nun Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zu Wort. "Natürlich war das keine Tat wie die NSU-Morde", sagt Herrmann, aber der Täter David S. habe "eindeutig auch rassistisches Gedankengut zunehmend verinnerlicht".

In dem vom Freistaat in Auftrag gegebenen Gutachten kommt die Kriminologin Britta Bannenberg zu dem Schluss, dass David S. einen Amoklauf verübt habe, keinen Terroranschlag. Herrmann aber interpretiert das weniger eindeutig: "Wenn man sieht, wie er die Opfer ausgesucht hat, die einer bestimmten Herkunftsregion angehörten: Das war ein rassistischer Ansatz."

Amoklauf oder rassistisch motiviertes Hassverbrechen? Oder womöglich beides zugleich? Zu dieser Frage liegen - neben dem Abschlussbericht der Polizei und dem Urteil des Landgerichts gegen den Waffenlieferanten des Attentäters - mittlerweile vier Gutachten und die Einschätzung des Bundesamtes für Justiz vor. Das Bundesamt bewilligt den Angehörigen der Opfer finanzielle Hilfe, weil der Täter "jedenfalls auch aus einer rechtsextremistischen Gesinnung heraus gehandelt" habe.

"Bei der Mehrfachtötung am Münchner OEZ sind Amok und Rassismus miteinander verschmolzen", urteilt der von der Stadt beauftragte Gutachter Matthias Quent aus Jena. Eine ähnliche Haltung macht sich nun auch Bayerns Innenminister zu eigen: "Wer nur das eine ohne das andere sieht, würde es sich zu einfach machen", sagt Herrmann. Der Fall zeige: "Es kann komplizierte Strukturen geben." Es gebe auch Kombinationen in der Motivlage. "Das ist schon eine ganze Weile meine Einschätzung."

Dies anzuerkennen, sei auch für die künftige Prävention wichtig. Man dürfe den Fall nicht einseitig betrachten: "Da waren einerseits das rassistische Gedankengut und die internationalen Kontakte", sagt Herrmann. Darauf müsse man ein wachsames Auge haben. Genauso müsse man aber auch Themen wie Mobbing oder massive psychische Probleme im Auge behalten - denn auch das könne einen Menschen zu einer Gefahr machen. Bei David S. komme wohl beides zusammen. "Wir müssen alle Aspekte ehrlich benennen und uns mit dem Blick nach vorn immer wieder fragen: Ist da ein Bewusstsein dafür da, auch an den Schulen?"

Welche Bedeutung Mobbingerfahrungen, die S. in seiner Schulzeit gemacht haben soll, für die Tat hatten, ist umstritten. Die bayerischen Ermittler sahen darin noch das Hauptmotiv. Dem widersprechen indes alle Experten. Auch Kriminologin Bannenberg kommt zu dem Schluss, S. habe das Mobbing "nachtragend aufgebläht", um seine Morde damit zu rechtfertigen. Die Selbststilisierung zum Mobbingopfer sei typisch für derartige Täter. Auch Herrmann schränkt inzwischen ein: Es habe dieses Mobbing gegeben, "aber da muss man vorsichtig sein in der Bewertung". Denn natürlich sei nicht jeder, der gemobbt werde, "ein potenzieller Attentäter oder Amokläufer".

Ein wichtiger Mosaikstein ist für Minister Herrmann der Kontakt des Münchner Täters zu dem zweifachen Todesschützen William A. aus New Mexico. Die beiden hatten sich im Frühjahr und Sommer 2016 auf der Spieleplattform "Steam" intensiv ausgetauscht und rechtsradikale Hetze geteilt - in einer Gruppe mit dem Namen "Anti-Refugee Club". Am 7. Dezember 2017 ermordete A. an der Aztec High School zwei junge Menschen. Bereits zwei Tage später soll das FBI das deutsche Bundeskriminalamt über den Zusammenhang informiert haben.

Im April nahmen die Staatsanwaltschaft München I und das Landeskriminalamt Ermittlungen in Richtung USA auf. Nach eigener Aussage hatten sie erst durch Medienberichte von der Verbindung erfahren. Tatsächlich hat nach Informationen des MDR-Magazins "Fakt" bereits unmittelbar nach dem Münchner Attentat ein weiteres Mitglied der rechtsradikalen Gruppe - ein 15-Jähriger aus dem baden-württembergischen Gerlingen - Ermittler auf Kontakte zwischen William A. und David S. hingewiesen.

Die jüngsten Entwicklungen werden im bayerischen Innenministerium offenbar sehr ernst genommen. "Jetzt schon eine Art Abschlussbericht vorzulegen, macht keinen Sinn, solange noch neue Ermittlungen laufen", sagt Herrmann. "Es gab wohl diese Verbindung zu dem Täter in den USA." Die geforderte Neubewertung der Tat durch die Behörden wird also voraussichtlich noch auf sich warten lassen. Mehrere Hinterbliebene der Attentatsopfer wollen jedoch nicht mehr so lange warten. Ihre Anwältin Claudia Neher hat am vergangenen Montag ein eigenes Auskunftsersuchen ans FBI gestellt. Sie will wissen, welche Erkenntnisse die US-Ermittler haben. Und zu welchem Zeitpunkt sie diese mit deutschen Behörden teilten.

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