Polizei:Frauen fehlt Schutz vor häuslicher Gewalt

Demonstration in München für Opferschutz und gegen Frauenmorde, 2013

Vor zwei Jahren präsentierten Kofra-Künstlerinnen bei der Aktionswoche ihr Kunstwerk "In memory of her - Zu ihrem Gedenken".

(Foto: Robert Haas)
  • Die Münchner Polizei registriert jährlich mehr als 3000 Fälle von häuslicher Gewalt.
  • Zwar hat die Polizei viele Hilfsmaßnahmen für die Opfer, doch nicht immer greifen sie auch.
  • In Hamburg ist man deutlich weiter, wenn es um die Hilfe für Gewaltopfer geht.

Von Susi Wimmer

Gewalt gegen Frauen - wo fängt sie an? Wenn ein Lebensgefährte seiner Freundin Spionagesoftware auf ihr Handy spielt, um sie zu überwachen? Wenn sie sich trennen will und er sie unter Druck setzt? Der Münchner Michael P. war laut Polizei nie gewalttätig geworden gegen seine Freundin Aline K. Zumindest hat nie jemand die Polizei gerufen. Die Gewalt, die der 29-Jährige ausübte, war offenbar subtiler. Und sie eskalierte am Abend des 8. Oktober, als er sich auf seine schlafende Freundin setzte und sie ermordete, so sagt es die Polizei.

Mehr als 3000 Fälle von häuslicher Gewalt registriert die Münchner Polizei jedes Jahr, quer durch alle sozialen Schichten. "Wir haben in München ein umfangreiches Netz an Hilfsmaßnahmen aufgebaut", sagt Kriminaldirektor Armin Aumüller. Doch in dem Netz, so haben es Fälle in der Vergangenheit gezeigt, gibt es Webfehler.

Manches Opfer hat ein jahrelanges Martyrium hinter sich

Die 30-jährige Aline K. starb am 8. Oktober, der mutmaßliche Täter war ihr Lebensgefährte, er warf ihre Leiche in ein Kellerloch in Langwied. Im Oktober 2014 stach ein 44-Jähriger in der Messestadt Riem auf seine Ex-Frau ein und verletzte sie lebensgefährlich. Hafida B. starb nach jahrelangem Martyrium durch ihren Ehemann. Der 62-jährige Abbas-Ali Rahat-Farimani soll die 47-Jährige in der gemeinsamen Wohnung in Riem ermordet haben und setzte sich mit den beiden Kindern vermutlich nach Iran ab. Der mutmaßliche Mörder ist bis heute nicht gefasst.

Im Oktober 2013 starb die 29 Jahre alte Sampre B. Sie hatte immer wieder Anzeige gegen ihren gewalttätigen Mann erstattet - oft auch wieder zurückgezogen. Es gab ein Kontaktverbot, das der Mann mehrfach missachtete. Er drohte, sie zu töten, griff sie auf der Straße an. Sampre B. wurde, wenn sie aus dem Haus ging, von Polizisten beschützt. Aber nicht immer. Und irgendwann erwischte er sie alleine und tötete sie mit mehreren Messerstichen im Treppenhaus.

Lücken im Hilfssystem

"'Ich bringe dich um', der Satz tauche bei gut einem Drittel aller Fälle von häuslicher Gewalt in der Akte auf", sagte damals Arno Helfrich, Leiter des Opferschutzkommissariats. Wie solle die Polizei vorhersehen können, wer die Drohung tatsächlich umsetzt und wer nicht? Der Fall Sampre B. sei ein "trauriger Meilenstein" in der Historie der Opferschutzarbeit am Präsidium München gewesen, sagte Helfrich. Und er zeigte auch die Lücken im System auf. Denn selbst wenn ein Opfer per Gericht ein Kontaktverbot erwirkt und sich der Mann der Frau trotzdem wieder nähert, so reicht das noch lange nicht, um ihn in Haft zu nehmen.

"Von der Strafandrohung her hat der Gesetzgeber das Kontaktverbot auf die gleiche Stufe wie Fahren ohne Fahrerlaubnis gestellt: ein Jahr Höchststrafe", sagt Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch. Selbst im Fall vom Sampre B. hätte man laut Gesetz den Aggressor nicht wegsperren können, zumal der Ehemann als Ersttäter anzusehen war und sowohl über einen festen Wohnsitz wie auch einen Arbeitsplatz verfügte. "Als Haftgrund gelten Flucht- oder Verdunklungsgefahr oder Tatschwere", sagt Steinkraus-Koch. "Alle diese Gründe waren hier nicht gegeben."

Andere Städte sind weiter als München

Die Polizei habe jedoch die Möglichkeit, eine Person präventiv wegzusperren, um eine Straftat zu verhindern. Dieses Mittel hält wiederum Armin Aumüller für wenig effektiv. Aumüller leitet das Kriminalfachdezernat, dem unter anderem der Opferschutz unterstellt ist. "Selbst wenn ich den Mann 48 Stunden einsperre, ändert es nichts am Grundproblem", sagt er.

Polizei, Stadt und Hilfsorganisationen haben vor Jahren das Modell MUM ins Leben gerufen: Münchner Unterstützungsmodell gegen häusliche Gewalt. Ziel ist es, möglichst schnell mit den Frauen in Kontakt zu treten, Beratungsgespräche anzubieten und Möglichkeiten aufzuzeigen. Aber viele Frauen seien beispielsweise finanziell abhängig von ihrem Partner, sie sehen keinen Ausweg, "und sie denken, es wird irgendwann alles besser".

Oft sind den Ermittlern die Hände gebunden

"Wenn eine Frau sich nicht mehr sicher fühlt, der Mann unberechenbar ist, Morddrohungen ausstößt und sie vor Angst nicht mehr schlafen kann, dann sollte sie unbedingt in ein Frauenhaus gehen", sagt Sibylle Stotz vom Frauennotruf. Immer noch zu viele Frauen würden ihre Anzeigen gegen den Partner zurückziehen, erklärt Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch. Aus Abhängigkeit, aus Angst. "Es ist unbefriedigend, wenn die Sache so offensichtlich ist, aber uns rechtlich die Hände gebunden sind", sagt er.

Hamburg ist einen Schritt weiter. Dort gibt es eine 16 Mann starke Dienststelle bei der Polizei, die sich "operativer Opferschutz" nennt. Vier Experten prüfen die Fälle, geben eine Risikobewertung ab. Leuchtet ein Alarmlämpchen auf, so wird die Frau sofort von der Polizei aus der Wohnung geholt und betreut. Die Beamten zeigen ihr nicht nur Alternativen auf, sondern helfen ihr auch, im schlimmsten Fall eine neue Existenz aufzubauen, völlig verdeckt, ähnlich wie beim Zeugenschutzprogramm. Seit Einführung der Dienststelle gab es in Hamburg keine Todesopfer mehr von häuslicher Gewalt.

In München finden Betroffene ebenfalls ein vielfältiges Hilfsangebot vor. Wer unter den Folgen von Gewalt leidet, sexuell missbraucht oder vergewaltigt wurde, kann sich an 365 Tagen im Jahr an den Frauennotruf wenden. Das Beratungsteam ist von Montag bis Freitag von 10 bis 24 Uhr sowie samstags und sonntags von 18 bis 24 Uhr erreichbar unter Telefon 089/76 37 37.

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