Moosach:Historischer Tiefstand

Moosach: Moosach wird weiter wachsen, so viel steht fest. Aber nicht in der Höhe, wie sein O₂-Tower.

Moosach wird weiter wachsen, so viel steht fest. Aber nicht in der Höhe, wie sein O₂-Tower.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bei der Bürgerversammlung im Circus Krone werden ganze drei Anträge gestellt - so wenige wie nie zuvor. Umso größeres Lob verdient das filmische Statement gegen Rassismus und Rechtsextremismus

Von Anita Naujokat, Moosach

Es ist einer der berührendsten Momente, der wohl jemals in einer Bürgerversammlung zu erleben war: Ein Tätowierter blickt mit entschlossenem Blick und verschränkten Armen in die Kamera, Feuerwehrmänner, ein Polizist machen ernste Gesichter, eine Schulweghelferin, Kinder, Sportler aus verschiedenen Nationen. Sie alle wollen zeigen, Moosach ist kein Ort von Rassismus und Rechtsextremismus, auch wenn in ihrer Mitte das Attentat im und um das Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) mit neun Toten, Schwerverletzten und vielen in der Seele getroffenen Menschen geschah.

Den Film zeigte am Donnerstagabend der Vorsitzende des Bezirksausschusses Wolfgang Kuhn (SPD) im Circus Krone vor knapp 85 Besuchern in der von Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) geleiteten Versammlung. Der Streifen war der Beitrag des Stadtteilgremiums zum fünften Jahrestag des grausamen Anschlags am 22. Juli, bei dem vor allem junge Menschen starben. Die letzte Szene spielt am Denkmal nahe dem OEZ, das die Gesichter der Ermordeten zeigt, von denen der 18-jährige Täter mutmaßte, dass sie einen muslimischen Hintergrund hätten. Am Ende verwandeln sich die Protagonisten aus allen Ecken des Stadtteils in kleine Karos, die sich zum Filmtitel und der Botschaft "Moosach ist bunt" zusammenfügen. Auf den darauf folgenden Applaus sagte Kuhn: "Danke! Sie haben sich selbst diesen Beifall gegeben."

Ein Kompliment von Kuhn an die Bürgerinnen und Bürger des Stadtbezirks, dennoch musste er sie tadeln, indem er ein Thema aus der Jugendversammlung aufgriff. Dort hatten Kinder darum gebeten, mehr "Vorbildsschilder" an Fußgängerampeln anzubringen, damit die Erwachsenen nicht bei Rot über die Straße gingen. "Das Gesichtsfeld von unter Zehnjährigen ist seitlich noch um etwa 30 Prozent eingeschränkt. Deshalb nehmen sie Fahrzeuge zu spät wahr", verdeutlichte Kuhn, und appellierte an die Bürger, auf diesen Verstoß zu verzichten - besonders wenn Kinder an der Ampel stünden. "Irgendwann machen sie das nach, und dann ist es zu spät." Sein zweites "Schimpfen" betraf den überall herumliegenden Müll, am schlimmsten sei der, der im Brunnen am Moosacher Stachus lande, was aufwendige Reparaturen nach sich ziehe. "Bitte den nicht kaputtmachen", bat er.

Zuvor hatte Bürgermeisterin Dietl einen Überblick über die städtische Entwicklung gegeben, von der Schulbauoffensive über das Klimapaket und die Verkehrswende bis hin zum Wohnungsbau. Wie die ganze Stadt wird auch Moosach wachsen. Mit etwa 55 000 Einwohnern im Juni 2021 habe der Stadtbezirk gut 6000 mehr als noch vor zehn Jahren. Bis 2030 werde Moosach um weitere 10 000 anwachsen. An großen Bauprojekten in Moosach hob sie das Meiller-Gelände der Meiller-Rathgeber-Gruppe hervor, die dort 550 neue Wohnungen errichtet, und das ehemalige Gaswerksgelände, auf dem die Stadtwerke neben dem neuen Busbetriebshof zirka 620 Wohnungen schaffen. Noch in der Planung sei, wie Kuhn anführte, das Areal rund um das Botanikum, wo unter anderem ebenfalls Wohnhäuser und eine Schule entstehen sollten. 34 Projekte hatte der Bezirksausschuss 2020 mit 130 000 Euro aus dem Stadtbezirksbudget gefördert. "Aber die Nachfrage könnte reger sein", meinte Kuhn.

Einen geradezu historisch zu nennenden Tiefpunkt setzten die Bürger selbst. Von ihnen kamen einzig drei Anträge, welche die Versammlung alle annahm, und drei Anfragen - nur zum Thema Verkehr, was auch Robert Adam aus dem Mobilitätsreferat verblüffte: die Einführung von Tempo 30 in der Pelkovenstraße zwischen Dachauer und Feldmochinger Straße, die Ausweisung der Moosburger Straße als Fahrradstraße und eine sicherere Gestaltung der Einmündung Netzer- in die Allacher Straße. Letztere soll spätestens mit dem Bau der Realschule an der Franz-Mader-Straße realisiert werden.

Seinen eigenen Beifall hatte auch der Mitarbeiter eines Pflegedienstes. Nachdem an der Gneisenaustraße viel gebaut worden sei, sei für ihn im Dienst dort kaum noch ein Parkplatz zu finden, weswegen er in Notfällen das Auto schon mal auf den Gehweg stelle. Und trotz einer Genehmigung kassiere er nachts um zwei Uhr dafür Strafzettel. Seit vier Monaten gebe es noch mehr Halteverbote, weil sich ein Anwohner beschwert habe, der inzwischen weggezogen sei. "Die Situation ist sehr problematisch", sagte er. "Wir haben 24-Stunden-Bereitschaft." Dem Hinweis der Behörden nach seinen Einsprüchen, für die er den Anwalt aus eigener Tasche bezahlt habe, doch den Tourenplan sichtbar auszulegen, könne er nicht nachkommen, sagte er. "Da stehen Patientendaten drauf." Ihn sah man nach der Versammlung noch lange intensiv mit dem neuen Dienststellenleiter der Polizeiinspektion 44 in Moosach, Hermann Eschenbecher, reden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: