Monika Hohlmeier verteidigt ihren Bruder:Die Angelegenheiten der Familie Strauß

Im Schatten eines Übervaters? Der älteste Sohn des FJS ist aus der Sicht seiner Schwester und seines Anwaltes ein Opfer seiner Rolle geworden.

Von Christine Burtscheidt

Das Ende kam im September. Er lag im Bett und konnte nicht mehr aufstehen. Keine Kraft mehr, sich aufzurichten, sich anzuziehen und ins Arbeitszimmer zu gehen. Max Josef Strauß, sonst ein robuster Mensch, herrisch im Auftreten, barsch im Tonfall, schnell im Urteil und nicht selten beleidigend in seinen Äußerungen, war in ein grenzenloses Nichts gefallen.

Monika Hohlmeier, seine Schwester, erinnert sich, dass sie an jenem Morgen einen Anruf ihrer Schwägerin Gabriele Strauß erhielt: "Moni, der Max ist völlig am Ende. Er braucht dringend psychiatrische Hilfe. Der Franz und ich bringen ihn in die Universitätsklinik."

Vier Monate später ist Monika Hohlmeier in ihrem Büro im bayerischen Kultusministerium am Münchner Salvatorplatz, wo noch die alten Biedermeier-Möbel von ihrem Amtsvorgänger Zehetmeier stehen. Zwei Stunden lang sitzt sie kerzengerade auf einem Stuhl und spricht. Nach kurzer Zeit entsteht eine Atmosphäre, als hörte ihren Worten auch ein Abwesender zu: Franz Josef Strauß, der Vater. Ganz hinten im Zimmer, neben ihrem Schreibtisch, steht seine Büste aus Bronze. Monika Hohlmeier will reden.

Die bayerische Kultusministerin, die einst das Verbindungsglied zwischen Vater, Mutter und Brüdern war, will die Position der Familie zu der Affäre darlegen, die sich in diesen Wochen mit dem Namen Strauß verbindet und nun juristisch zuspitzt. Um ihren Bruder zu verteidigen, redet sie sogar offen über seine Krankheit.

Sie, die als einziges der Kinder dem Vater in die Politik gefolgt ist, verspürt offenkundig das Bedürfnis, die menschliche Tragödie des Bruders aus der Sicht des Betroffenen darzustellen, ihm geschwisterlichen Beistand zu leisten, gerade jetzt, da am heutigen Montag das Augsburger Landgericht über die Eröffnung des ersten Prozesses gegen Max Josef Strauß entscheidet.

"Völlig konsterniert"

"Max hat jeden Lebensmut verloren", sagt sie. Mehrmals die Woche telefoniert sie mit ihm in der Klinik. Seine Ärzte sprechen von einem "schweren psychiatrischen Krankheitsbild". Die Diagnose lautet Depression. Der Augsburger Gerichtsmediziner Richard Gruber hält Strauß dennoch für verhandlungsfähig.

Dass mit ihrem Bruder etwas nicht stimmte, hat Monika Hohlmeier nach eigenen Worten nur gelegentlich gemerkt. Wenn er wieder einmal aufbrauste, andere anschnauzte, war sie "völlig konsterniert" und konnte sich diese "emotionalen und völlig realitätsfernen Ausbrüche" nicht erklären. Aber niemand in der Familie sah das als "Symptom einer sich manifestierenden Krankheit" an.

Im Nachhinein begreift man auch Äußerlichkeiten als Anzeichen eines seelischen Verfalls: Max Strauß wurde immer dicker und zog sich Schritt für Schritt von der Welt zurück. Sein letztes Refugium war sein Arbeitszimmer. Dort sperrte er sich ein. Niemand hatte mehr Zutritt zu dem Büro, nicht einmal seine Frau Gabriele, die sein Verhalten auf seine Schwierigkeiten mit der Justiz schob. "Seine Frau wollte ihn schützen", sagt Hohlmeier. Bis es nicht mehr ging. Als Strauß in die Klinik kam und jemand seine privaten Angelegenheiten übernehmen musste, fand die Familie viele Briefe, die dort seit Jahren ungeöffnet lagen. Wichtige Geschäfte blieben unerledigt, Max Strauß habe auch einen großen Teil seines Vermögens dabei eingebüßt, sagt sein Anwalt Wolfgang Dingfelder.

Monika Hohlmeier sitzt noch immer kerzengerade auf ihrem Stuhl. Man spürt der 40-Jährigen, die sonst so häufig lächelt, eine gewisse innere Traurigkeit an. Sie beherrscht sich, doch ab und zu glänzt es in ihrem Auge. Das Schicksal des Bruders nimmt sie mit. Weihnachten 2002 gab es die ersten Anzeichen für eine psychische Erkrankung. Die Geschwister Monika und Franz Georg wurden hellhörig, als der Älteste offen Suizidgedanken äußerte. "Es wurde zunehmend sichtbar, dass Max ärztliche Hilfe benötigte", formuliert die Schwester vorsichtig. Die Familie riet ihm, einen Mediziner aufzusuchen, doch Max zögerte. Zum Schluss blieb kein anderer Weg.

Dabei könnte dieser Weg, auch wenn er als eine Sackgasse erscheint, paradoxerweise zugleich der einzige Ausweg sein. Nur die Verhandlungsunfähigkeit könnte dem Angeklagten Max Josef Strauß vorerst die Prozesse ersparen. Zwei Verfahren stehen an: Am 20. Januar muss sich Strauß, wenn es am heutigen Montag denn so entschieden wird, vor dem Landgericht Augsburg in der so genannten "Schreiber-Affäre" verantworten. Er soll für den Verkauf von Airbus-Flugzeugen an Luftfahrtgesellschaften in Kanada und Thailand von dem Lobbyisten Karlheinz Schreiber Provisionen in Höhe von 2,6 Millionen Euro erhalten und sie nicht versteuert haben. Sie sind zwischen 1988 und 1990 auf ein Schweizer Konto geflossen, das zunächst den Decknamen "Master" trug und später in "Maxwell" umbenannt wurde. "Nach Aktenlage kann eine Verurteilung nicht erfolgen", sagt sein Anwalt, die Beweise seien zu dürftig.

Problematischer ist nach des Advokaten für Strauß jedoch der Fall der Recycling- und Energie-Anlagefirma Wabag aus Oberhaching. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt hier gegen ihn wegen Anlagebetrugs in Millionenhöhe. Strauß soll als Rechtsberater der Firma von überhöhten Honoraren, Gutachterkosten und Mieten gewusst haben. Sein Anwalt Dingfelder setzt hier auf eine "eingeschränkte Schuldfähigkeit" seines Mandanten: "Es gibt Anzeichen, dass er während der Tatzeit strafrechtlich nicht voll verantwortlich war." Er habe die komplexen Verflechtungen der Firma gar nicht mehr durchblicken können. Auf Drängen seines Anwaltes gab Strauß im November auch seine Anwaltszulassung zurück. Und sein Parteiamt - er ist stellvertretender Vorsitzender im Münchner CSU-Kreisverband 4 - lässt er ruhen.

Auf seine Gegner wirkte all dies, als würde Strauß jr. vor den Folgen seines Handelns regelrecht in der Krankheit Zuflucht suchen, ob aus innerer Not oder Berechnung. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Franz Maget warf ihm vor, sich durch die Krankheit einem ordentlichen Verfahren zu entziehen - für Monika Hohlmeier eine Entgleisung. "Bewusst jemanden zu treten, der bereits am Boden liegt, ist schlichtweg unter der Gürtellinie", sagt sie. Da fehle jegliches Maß an politischem Anstand.

In der Wahrnehmung seiner Schwester ist Max Josef Strauß nicht so sehr Handelnder als vielmehr Opfer gewesen: "In den letzten zehn Jahren persönlicher Gejagtheit ist der Mensch Max zerbrochen." Ihm seien "ohne Prozess und Verurteilung" Konten gesperrt worden, unzählige Schlagzeilen habe er auf sich gezogen. "Auch eine Person, die wie Max in der Öffentlichkeit steht, hat ein Recht auf einen fairen Prozess", sagt sie. Doch in den acht Jahren, seit gegen ihren Bruder ermittelt werde, seien "immer wieder neue Verdächtigungen" ausgesprochen worden, "die sich im Bild der Öffentlichkeit und in der Meinung der Menschen manifestieren". Von wegen Flucht in die Krankheit: "Mein Bruder wäre froh gewesen, wenn er diesen Prozess schon vor fünf Jahren hätte bestreiten können", verteidigte sie ihn bereits im Oktober in Focus.

Eine sehr eigenwillige Sicht der Dinge. Die Staatsanwälte erlebten es umgekehrt: Jahrelang verzögerte zunächst Strauß-Spezi Karlheinz Schreiber die Ermittlungen, indem er bis zum Obersten Schweizer Gericht nahezu alle Möglichkeiten ausschöpfte, um die Beschlagnahme von Unterlagen über das Konto "Maxwell" durch die deutsche Justiz im Ausland zu verhindern. Auch Strauß selbst wehrte sich juristisch dagegen.

Schreiber - der Name ist eines jener Reizwörter, die bei den Geschwistern Strauß nur noch Abwehr auslösen. "Er war einmal auf einer Geburtstagsfeier. Er gehörte aber nie zu den Vertrauten aus dem engsten Umfeld meines Vaters", sagt Monika Hohlmeier. "Max hat immer wieder seine Unschuld beteuert." Der Bruder habe explizit erklärt, kein Geld von Schreiber bekommen zu haben. Auch dass FJS aus seinem Sohn einen Brillianten habe schleifen wollen und ihn deshalb zur Ausbildung dem Waffenhändler übergeben habe, wie es immer wieder in der Zeitung zu lesen war, ist für Hohlmeier "ausgemachter Unfug."

Ein anderes Reizwort: Festplatte. Jenes Stück Hardware also, das 1996 bei einer Durchsuchung im Haus ihres Bruders beschlagnahmt wurde und dann auf mysteriöse Weise verschwand. Max Strauß, der anscheinend vor den Ermittlern gewarnt worden war, löschte die Daten rechtzeitig - nach eigener Darstellung, weil dort ein Virus wütete, nach Meinung der Staatsanwaltschaft, um verfängliche Unterlagen zu beseitigen. Bei einer späteren Teilrekonstruktion der Platte wurden jedenfalls Dateien mit den Namen "Master.txt" und "Max???" gefunden, also den Namen des verdächtigen Schweizer Kontos.

Ist Max Strauß die kriminelle Energie zuzutrauen? Sie wird ihm auch in einem anderen Falle vorgeworfen, und zwar von der Ehefrau des ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Riedl, eines politischen Intimfeindes von Max Strauß. Demnach soll dieser im Frühjahr 1996 zu später Abendstunde über die Terrasse in das Wohnhaus der Riedls eingedrungen sein und die Ehefrau aufgefordert haben, schnell Akten und Belege zu vernichten, da die Staatsanwaltschaft im Anmarsch seien. Gertraud Riedl hat dies mehrfach, auch vor einem Ermittlungsrichter, ausgesagt.

Es sind solche Auftritte, die den Ruf des Max Strauß ruiniert haben. Der Sohn von FJS - auch er ein Machtmensch offenbar, der vom Einfluss des Vaters profitierte und einmal erklärte: "Auf Druck reagiere ich mit Gegendruck, schließlich heiße ich Strauß." Arrogant wie der Vater also, womöglich gar korrupt? Monika Hohlmeier schüttelt nur den Kopf. "Ein Klischee reiht sich an das andere. Beweise sind die Verdächtiger bisher schuldig geblieben. Damit muss ich leider schon seit 30 Jahren leben."

"Wir sind wie Eisbären"

Die Welt ist böse, der Feind steht vor der Tür, der Vater, der Bruder sind Opfer einer böswilligen Öffentlichkeit - so stellt es sich in ihrer Weltsicht dar. "Wir sind wie Eisbären. Die verteidigen ihre Familie, wenn es sein muss, gegen den Rest der Welt", hat Monika Hohlmeier einmal gesagt. Wahrscheinlich liegt es nahe, so zu denken, wenn man immerzu im Rampenlicht steht, wenn man jahrelang nicht ohne Begleitschutz aus dem Haus gehen kann und überall nur als Sohn oder Tochter von Franz Josef Strauß gesehen wird. "Unsere Mutter hat trotz der besonderen Familienumstände versucht, uns ganz normal zu erziehen", sagt die junge Frau.

Die drei Geschwister gingen auf öffentliche Schulen, und die Familie wohnte anfangs im 14. Stock eines Hochhauses im Münchner Stadtteil Sendling. Dennoch fühlten sie sich immer "wie Zebras in einem Ponyhaufen." Immer die falsche Farbe, immer die falsche Musterung, immer auffällig. Besonders schlimm war es in den Siebzigerjahren, als es offene Morddrohungen gegen den Vater gab. Die drei Kinder bewegten sich nur noch im Panzerwagen durch die Stadt. Und die Wohnung verwandelte sich in einem Hochsicherheitstrakt - graue Gitterstäbe vor den Fenstern, von unten bis zur Decke. Wenn es für die Strauß-Kinder noch eine heile Welt gab, dann war das der engste Kreis der Familie. Vielleicht haben sie gerade deshalb so lange nicht gesehen, dass der Bruder krank war.

Vielleicht war es ja gerade diese besondere, in vieler Hinsicht so schwierige Familiensituation, die die Krise des Bruders mit heraufbeschwor. Noch bevor irgendein Gutachten über seinen Gesundheitszustand vorlag, sagte Straußens Anwalt Wolfgang Dingfelder: Bei der forensischen Begutachtung des Sohnes müsse der "Über-Vater FJS" eine entscheidende Rolle spielen. Soll heißen: Max tat sich schwer, im Schatten des Giganten, eines der wichtigsten Politiker der Republik, eine eigene Identität zu finden; er spielte immer nur eine Rolle, die des ältesten Sohnes. "Er hat sich in der Rolle nie wohlgefühlt," sagt Monika Hohlmeier.

Doch nützte ihm die Rolle, und er nutzte sie auch. Groß war sein Bedürfnis, respektiert zu werden oder "den großen Max zu geben", wie ein alter Weggefährte in der CSU berichtet. Etliche Parteifreunde trauten Max Strauß mit der Zeit immer weniger über den Weg. "Bei dem kann man nichts ausschließen", hieß es. Die ihn näher kannten, sagen auch: "Der Vater hat den Sohn benutzt."

"Er lebte in einer Traumwelt"

Und Max funktionierte, auch in der Familie. Selbst als die Mutter früh starb, und seine Geschwister in eine tiefe Trauer fielen. "Er meinte, immer der Starke sein zu müssen", sagt seine Schwester. Vor allem wollte er dem Vater imponieren. Und putzte dafür schon mal den deutschen Botschafter in Saudi-Arabien zusammen. Doch je mehr er sich in die Rolle zwang, um so häufiger entglitt ihm anscheinend das Spiel.

Hatten die Eltern klare Vorstellungen, was aus den Kindern einmal werden sollte? Monika Hohlmeier schüttelt entschieden den Kopf. "Max wurde von der Erwartungshaltung überrollt, ältester Sohn von FJS zu sein", sagt sie. Druck gab es nach ihrer Darstellung nicht von der Familie, sondern immer nur von außen. "Unsere Eltern haben sich nach außen vor uns gestellt, selbst wenn wir Mist gebaut hatten." Wütend, das räumt sie ein, konnte Franz Josef Strauß jedoch werden, wenn die Schulleistungen nicht stimmten. "Meine Herrschaften, ihr habt alle genug im Hirn", blaffte er seine Kinder dann an. Aufbrausend - der Vater wie der Sohn? Monika Hohlmeier wehrt den Vergleich ab, als wollte man das Andenken an FJS beschmutzen. "Max ist eine völlig andere Persönlichkeit als mein Vater", sagt sie. Aber: "Es ist eben schwierig, eine eigene Identität und Persönlichkeit zu entwickeln, wenn man ständig mit dem Vater verglichen wird."

Sie sitzt immer noch aufrecht auf ihrem Stuhl, nur etwas mitgenommen schaut sie aus. Anders als der Bruder hat sie es geschafft, ihren Vater politisch zu beerben: bayerische Kultusministerin, Mitglied im CSU-Landesvorstand, Vorsitzende der Münchner CSU ist sie geworden - wie hat sie das geschafft, "die Moni", wie sie in der Familie und auch in der CSU noch heute genannt wird? "Ich verspürte nie den Druck, die Nachfolge meines Vaters Franz Josef Strauß antreten zu müssen."

Sie war die Jüngste und sie ist eine Frau. Sie saß auf Papas Schoß und gab ihm Bussis, mit den Söhnen führte der Vater früh ernste Gespräche über Politik und Wirtschaft. "Wir hatten alle drei einen engen emotionalen Bezug zu unserem Vater", sagt Monika Hohlmeier, "Max tat sich allerdings nicht so leicht wie ich, wenn er verletzt oder hilfsbedürftig war." Die Geschwister gingen nach dem Abitur ihre eigenen Wege: Franz Georg studierte in Frankfurt Jura, Monika lernte Hotelkauffrau und heiratete mit 20 Jahren. Max hingegen blieb stets an der Seite des Vaters, posierte schon sechsjährig als Erbe des Clans und begleitete 17-jährig den Papa auf Reisen zu Wirtschaftsbossen und Staatsmännern in die ganze Welt.

"Er lebte in einer Traumwelt", sagt der Anwalt Dingfelder. Der Traum wurde zum Alptraum. "Ich wünsche ihm, dass er einen Weg aus der Krise findet", sagt die Schwester Monika. Aus dem hintersten Ende des Zimmers schimmert die Bronze-Büste. Was würde FJS jetzt machen? "Er würde sich um den Menschen Max kümmern."

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