Süddeutsche Zeitung

Monacensia:Spuren von Künstlerinnen und Kämpferinnen

Das Literaturarchiv baut ein digitales Netzwerk zu starken Frauen auf - mit großem Erfolg

Von Sabine Buchwald

So geht Öffentlichkeitsarbeit. Die Monacensia hatte im November unter dem Titel "#femaleheritage" zu einer Blogparade aufgerufen. Das hieß und heißt immer noch: Erinnert uns an Frauen, die wir nicht vergessen sollen! Schickt uns Informationen zu Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Aktivistinnen, damit ihr Lebenswerk bekannter wird! Helft uns, ein Netzwerk aufzubauen! Man hatte ein Echo auf diesen Appell erwartet. Denn Institutionen wie das Jüdische Museum oder die Internationale Jugendbibliothek hatten im Vorfeld ihre Mitwirkung angekündigt. Dass die Resonanz aber derart groß sein würde, sei doch eine Überraschung gewesen, sagt Anke Buettner, Leiterin der Monacensia. Besonders erstaunlich fand sie, "wie viele Frauen mit politischer Biografie vorgestellt wurden und wie dadurch noch einmal verdeutlicht wurde, wie lange schon das Ringen um das Vertretensein in politischen Gremien währt."

Während der angekündigten Laufzeit von 11. November bis 9. Dezember konnte Tanja Praske 158 Blogposts einstellen. Die Kulturwissenschaftlerin, selbst Bloggerin und von der Monacensia mit dem Projekt betraut, bearbeitet aber weiterhin Beiträge und stellt sie ins Netz. Seit der Weihnachtspause kamen weitere 38 hinzu. Zuletzt war das am 20. Januar ein sehr persönlicher Text der Schauspielerin Pia Kolb über die Entstehung eines Theaterstückes auf der Grundlage von Lena Christs "Lausdirndlgeschichten". Ein Zufall, ein "unmotivierter Griff" in einen Bücherstapel, habe ihr den Text von Christ in die Hände und sie ihn weniger später auf die Bühne gebracht, schreibt sie.

Man kann sich stundenlang durch die von Praske sorgfältig aufbereiteten und mit Fettungen, Titeln und Bildern angereicherten Beiträge lesen. Teilgenommen haben Privatpersonen jeden Alters, Wissenschaftler, Kollektive, Museen, Archive, Bibliotheken und auch Wikipedia-Autoren. Weil die Beiträge so unterschiedlich sind, wird die digitale Lesetour kaum langweilig. Und wenn doch: Mit ein paar Klicks landet man bei einer neuen Persönlichkeit, kann sich einlesen, den Text teilen und kommentieren. Bis 26. Januar habe man mehr als 4500 Tweets zur Blogparade gezählt, hat Praske ausgewertet.

Der Blog startet mit einem Aufsatz von Heidi Meinzolt, seit den Achtzigerjahren streitbares Mitglied der Women's International League for Peace and Freedom, über feministische Erinnerungskultur in Europa. Meinzolt blickt zurück auf den entschlossenen Kampf für das Frauenwahlrecht, auf das Engagement von Frauen für Frieden vor allem in Kriegszeiten und das Leben von ihren "Heldinnen". Dabei erwähnt sie etwa die österreichische Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, die ungarische Pazifistin Vilma Glücklich und die jüdische Frauenrechtlerin Yella Hertzka. Meinzolts Beitrag ist ein Einstieg, den man besonders jüngeren Lesern empfehlen möchte, um ihnen beizubringen, dass Frauenrechte keine Selbstverständlichkeit sind.

Blogbeiträge müssen generell keine literarischen Perlen sein, sie erfreuen um so mehr, wenn sie eher unkonventionell Wissen transportieren. In Form eines Briefes an die Schriftstellerin Dagmar Nick, gibt Birgit Donhauser von der Stadtbibliothek Neuhausen weiter, was sie über die Münchner Schriftstellerin weiß. Behütet aufgewachsen in einem musischen Haus sei sie, als sogenannter Mischling zweiten Grades in ständiger Angst, was sie in ihrem Gedicht "Flucht" zum Ausdruck bringt.

Sehr persönlich auch die Erinnerung an Selma Merbaum-Eisinger. Über Zeilen ihrer Großmutter zu Selmas Gedichtband sei sie auf die junge, von den Nazis ermordete Dichterin gestoßen, schreibt die Abiturientin Rebecca Müller. Ihr sei das Recht genommen worden, Liebe auszuleben, ihr Schicksal und Talent dürften nicht im Dunkel der Vergangenheit verschwinden. Selbstverständlich ebenso wenig wie die Spuren vieler anderer. Etwa die der Tänzerin Edith von Schrenck, die eine große Rolle im Leben von Waldemar Bonsels spielte. Bonsels-Biografin Christina Lemmen hat das Leben der auf Bildern so zart wirkenden Frau dokumentiert, die sich wohl nie von Zwängen einschränken ließ.

Da das Digitale grenzenlos ist, hat die Blogparade weit über München hinaus Aufmerksamkeit erlangt. "Es gibt plötzlich Arbeitsbeziehungen, die es vorher nicht gab", erzählt Buettner. Zudem Kommunikation über Vor- und Nachlässe, eine vertiefte Kooperation etwa mit den Kammerspielen und dem Goethe-Institut, das beispielsweise die Erika-Mann-Ausstellung bald durch Tschechien schicken wird. Man denke mit Wikipedia über Online-Tutorials für Autoren nach, und es haben sich Gruppen gebildet, die thematisch weiterarbeiten. Die Blogparade sei nun eine soziale Aktion geworden, sagt Buettner. "Das ist die Nachhaltigkeit, die wir uns gewünscht hatten."

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SZ vom 28.01.2021
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