Münchner Leben:Glanz und Elend der Achtzigerjahre

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Muss Rainald Goetz heute noch junge Autorinnen interessieren? Ein Beitrag von Fabienne Imlinger auf der digitalen Plattform #PopPunkPolitik der Monacensia widmet sich dieser Frage. Auf dem Bild ist der Schriftsteller beim Bachmann-Preis 1983 zu sehen. (Foto: Silke Klöckner)

"Pop Punk Politik": Zur derzeitigen Ausstellung über die Achtzigerjahre in München stellt das Literaturarchiv Monacensia einen stetig wachsenden digitalen Fundus zusammen. Nun geht ein weiteres Video online.

Von Antje Weber

Glaubt man Hans Pleschinski, waren die Achtzigerjahre in München ein Fest. Er selbst studierte das große "Lebenstheater München", seit er 1976 mit seinem "VW-Käfer, einer Matratze und reichlich Lebensmut" eingetroffen war. München, das war für den Schriftsteller die "Heimliche Hauptstadt" Deutschlands, die in Kunst, Mode, Filmindustrie und mit ihrer Boheme "zunehmend tonangebend" wurde. Er selbst genoss ein aufregendes Leben zwischen Universität, Theatern, Konzerten, Bars. "Erotische Genüsse, vor Aids, waren an jeder Ecke zu haben."

1989 war dieses Lebensgefühl vorbei. In seinem Text "Mauerfall", der im reichhaltigen digitalen Fundus der Ausstellung " Pop Punk Politik" der Monacensia zu finden ist, schreibt Pleschinski über seine damalige Versteinerung vor dem Fernseher trotz der überwältigenden historischen Ereignisse: "Berlin wird kommen. Wiederkommen. Ab jetzt lebe ich in der Provinz."

Der Münchner Schriftsteller ist trotzdem geblieben, im Gegensatz zu vielen anderen Kulturschaffenden. In den Texten der Monacensia-Artikelserie blitzen jedenfalls sehr unterschiedliche Facetten persönlicher Erinnerungen auf. Denn es ist ein wichtiger Ansatz bei dieser Ausstellung, dass sie nicht nur im Hildebrandhaus in Bogenhausen begehbar ist, sondern im Internet weiterwuchert. Die Ausstellung versteht sich nur als "erster Impuls", so das Konzept der Kuratoren Ralf Homann und Sylvia Schütz, denn die Monacensia will wie schon beim digitalen Großprojekt #femaleheritage neue Wege gehen: "Überraschende Wendungen sind eingeplant."

"Moosach war wirklich, München nur ein Gerücht."

Wer zum Beispiel den Schriftsteller Feridun Zaimoglu nur in Kiel verortet, wird über seinen Text über eine Kindheit im Münchner Stadtteil Moosach staunen. Als Sohn türkischer Gastarbeiter kannte er das feiernde München nur vom Hörensagen. "Moosach war wirklich, München nur ein Gerücht", schreibt er im Text "Nicht dabei". "In Moosach lebte man auf der abgewandten Seite der Stadt, und tatsächlich waren ich und meine Schul- und Spielkameraden ein Haufen von Abgewandten, der Wind trug uns aus den feinen Vierteln Gespenstergeläut zu." Die einen beteten hier das Vaterunser, die anderen die Eröffnungssure des Korans. Man hörte zwar von rauschenden Festen, von Discotheken unter Eisenbahnbrücken, doch: "Wir hatten dort nichts zu suchen."

Der Schriftsteller Zafer Şenocak dagegen suchte. Als junger Dichter ging er zur Haidhauser Literaturwerkstatt, gab ein Fanzine namens Luxuslüge mit heraus, fühlte sich als einer unter vielen. Dann aber, so schreibt er mit einiger Bitterkeit, sei er als "Türke deutscher Sprache" entdeckt worden: "Ein Label, erfunden in München, in akademischen Lehranstalten. Es wird mich ein Leben lang verfolgen." Seit Ende der Achtzigerjahre lebt der Autor in Berlin. Schreiben, so glaubt er, hätte er in München nicht mehr können: "Irgendwo im Englischen Garten liegt mein türkischer Schatten begraben."

Etliche weitere Beiträge und Interviews, von der Chansonnette Cora Frost bis zur Autorin Amelie Fried, versuchen die Achtzigerjahre zu beschreiben und zu erklären. Die Faszination von deren Spannung zwischen Pop und Punk, zwischen Mode und Verzweiflung überträgt sich auch auf junge Autorinnen und Autoren: Fabienne Imlinger setzt sich, angeregt durch einen Ausstellungsbesuch, aus dezidiert weiblicher Sicht kritisch mit dem Mythos um Rainald Goetz auseinander: "Ich habe die Rasierklinge verpasst." Der städtische Literaturstipendiat Christian Hödl wiederum schreibt derzeit an einem Roman über die queeren Achtzigerjahre in München. "Anruf bei Arno" heißt sein Text auf der Webseite. Wie Hödls Anruf bei einem damaligen Callboy ausgeht, erfährt man vielleicht bei seiner filmischen Lesung, die jetzt online freigeschaltet wird - und das einstige Lebenstheater mit dem von heute verbindet.

#PopPunkPolitik, Ausstellung der Monacensia noch bis 31. März; digitales Dossier unter muenchner-stadtbibliothek.de/pop-punk-politik ; Video mit Christian Hödl dort ab 3. Februar online

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