Moderne Medizin in München:Bändchen gegen Blasenschwäche

Moderne Medizin in München: Zur Abklärung einer Harninkontinenz untersucht Christian Dannecker auch die Niere der Patientin mit dem Ultraschallgerät.

Zur Abklärung einer Harninkontinenz untersucht Christian Dannecker auch die Niere der Patientin mit dem Ultraschallgerät.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Harninkontinenz ist für die Betroffenen ein unangenehmes und intimes Problem.
  • Bis zu 40 Prozent aller 40-jährigen Frauen sind betroffen.
  • Wenn andere Methoden versagen, gibt es die Möglichkeit eines minimal-invasiven Eingriffs: Eine spannungsfreie Schlinge hilft, den Harndrang wieder zu kontrollieren.
  • Der Text ist Teil der SZ-Serie "Die Gesundmacher". Alle bisherigen Teile der Serie lesen Sie hier.

Von Melanie Staudinger

Einmal im Monat schleicht sich Gertrud Schmid im Supermarkt zum Regal mit den Slipeinlangen. Das müsste der 52-Jährigen nicht unangenehm sein, und doch hat sie immer das Gefühl, die Menschen könnten ihr sofort ansehen, wozu gerade sie die Binden braucht. Schmid hat eine Blasenschwäche. Wenn sie zu viel trinkt oder sich ruckartig bewegt, muss sie urinieren. Auf eine Toilette schafft sie es dann nicht mehr. Schmid, die ihren richtigen Namen lieber für sich behält, hat sich ihrem Schicksal lange gefügt. Sie joggte nur abends, damit niemand den Fleck auf ihrer Hose sehen konnte, sollte es wieder passieren. Wenn sie mit ihrem Hund spazieren ging, dann nie zu lange - zu Hause fühlte sie sich sicherer. Schließlich ging sie doch zum Arzt.

Harninkontinenz ist für die Betroffenen ein unangenehmes und intimes Problem. Viele Frauen leiden im Stillen, statt ihrem Arzt davon zu erzählen. Sie meiden Treffen mit Freunden oder ziehen sich von ihren Hobbys zurück - aus Scham, ihre Blase könnte sich wieder unkontrolliert entleeren. "Manche Frauen isolieren sich komplett", sagt Christian Dannecker. Er ist Professor für Gynäkologie und kommissarischer Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Ludwig-Maximilians-Universität, die Standorte in Großhadern und der Innenstadt unterhält. Mit Inkontinenz aber müsse sich niemand abfinden, sie sei keine unheilbare Krankheit und zugleich auch weit verbreitet: Bis zu 40 Prozent aller 40-jährigen Frauen leiden darunter. Die Zahl nimmt mit dem Alter zu. Wenn andere Methoden versagen, bietet Dannecker einen minimal-invasiven Eingriff: Eine spannungsfreie Schlinge hilft, den Harndrang wieder zu kontrollieren.

Davor allerdings ist ein ausführliches Gespräch über die Beschwerden unerlässlich. Dannecker informiert sich nicht nur über eventuell bestehende Vorerkrankungen und Symptome, sondern schließt auch andere Krankheiten als Ursache der Blasenschwäche aus. Denn auch Diabetes mellitus, neurologische Leiden, chronische Harnwegsinfekte, Entzündungen oder Tumore an der Blase sowie eine Herzinsuffizienz könnten Gründe für das plötzliche Wasserlassen sein. Ist eine Harninkontinenz schließlich diagnostiziert, bestimmt der Spezialist für Urogynäkologie, welche Form der Krankheit vorliegt.

Verschiedene Arten der Inkontinenz

Wichtige Hinweise, um welche Art der Inkontinenz es sich handelt, liefern naturgemäß die Symptome. Bei der Belastungsinkontinenz etwa müssen die Patientinnen plötzlich urinieren, wenn sie husten, lachen oder niesen. Problematisch kann auch sein, wenn sie nach langem Sitzen oder Liegen aufstehen, wenn sie etwas Schweres heben oder schlicht Treppen steigen. "Jedes Mal, wenn der Druck im Bauchraum ansteigt, kann es zum Urinverlust kommen", sagt Dannecker. Die Medizin unterscheide drei verschiedene Schweregrade. Mit einem klinischen Stresstest findet eine speziell geschulte Krankenschwester heraus, wie groß das Problem ist - die Blase wird hierbei künstlich gefüllt und wieder entleert. Ein spezieller Ultraschall und eine Druckmessung im Unterbauch ergänzen die Diagnostik.

Moderne Medizin in München: Grafik: SZ

Grafik: SZ

"Bei der Belastungsinkontinenz ist der Schließmuskel gestört", sagt Dannecker. Auslöser dafür kann eine Beckenbodenschwäche sein, die altersbedingt, durch eine Bindegewebsschwäche oder eine Entbindung entsteht. Auch Übergewicht ist ein Risikofaktor. Konservativ lässt sich die Krankheit etwa mit Beckenbodentraining behandeln. Nützt das nichts, kann eine kleine Operation helfen. Seit Ende der Neunzigerjahre bereits setzen Gynäkologen Schlingen ein, die spannungsfrei und u-förmig unter der Harnröhre gelegt werden. Dieses Bändchen, erklärt Dannecker, stabilisiert die Harnröhre, so dass kein Urin mehr auslaufen könne. Nötig für den von den Krankenkassen bezahlten Eingriff seien nur drei kleine Schnitte. "Nach 15 Minuten ist alles vorbei", sagt der Mediziner. Eine kleine OP also mit hoher Effizienz - die Heilungsraten liegen zwischen 80 und 90 Prozent, die Schlinge kann in der Regel lebenslang im Körper bleiben.

Ein minimaler Eingriff

Bevor es diese Technik gab, ist in vielen Fällen ein Bauchschnitt nötig gewesen, der eine große Narbe hinterließ. Bei der Operation wird das Gewebe neben der Harnröhre präpariert und nach oben gezogen, so dass die Harnröhre hinter dem Schambein zum Liegen kam. Diese Vorgehensweise hatte Nachteile. Wurde die Harnröhre zu fest gebunden, konnte die Patientin gar nicht mehr und nur sehr schwer zur Toilette gehen. "Die Nebenwirkungen waren größer als bei unserer neuen Methode", sagt Dannecker.

Das Bändchen aus Polypropylen, einem sehr gut verträglichen Kunststoff, hilft nur bei Belastungsinkontinenz. Wer an Dranginkontinenz leidet, braucht eine andere Therapie. Bei dieser Krankheit müssen Patientinnen sofort auf die Toilette, unabhängig davon, ob ein Klo verfügbar ist. Zudem müssen sie auch bei geringen Trinkmangen Wasser lassen. "Manche gehen bei 80 bis 100 Milliliter, normal wären 300 bis 400 Milliliter in der Blase", sagt Dannecker. Selbst nachts stehen diese Frauen häufiger auf, um zu urinieren - was auf Dauer sehr belastend ist. Diese Symptome beschreiben die "überaktive Blase".

Erfolgschancen bei 70 Prozent

Betroffene müssen die Blasenkontrolle neu erlernen, im Prinzip wie bei Kleinkindern. Das Blasentraining lässt sich durch Medikamente unterstützen: Die Frauen nehmen den Harndrang später oder seltener wahr. Zugleich wird die Trinkmenge reduziert auf etwa eineinhalb Liter am Tag, Reizstoffe wie Koffein oder Nikotin sind zu meiden. "Die Frauen lernen durch einen ganzheitlichen Ansatz, dass nicht die Blase die Herrschaft über ihr Leben hat, sondern sie selbst", sagt Dannecker. Der Prozess könne etwa zwölf Wochen dauern, die Erfolgschancen liegen bei 70 Prozent. Für die restlichen Patientinnen stehen verschiedene operative Eingriffe zur Verfügung, zum Beispiel mit Botulinumtoxin, das in den Blasenmuskel eingebracht wird. Oder die Neuromodulation. Hier werden kleine Apparate unter die Haut transplantiert, die die Überempfindlichkeit der Blasennerven mit Impulsen dämpfen.

Egal welche Behandlung letztlich anschlägt, ohne die Mitarbeit der Patientin geht es nicht. "Ein guter Arzt operiert nicht sofort, sondern probiert erst andere Methoden aus", sagt Dannecker. Er will den Frauen Mut machen - mit Inkontinenz müsse keine leben, sofern sie sich traue, eine qualifizierte Praxis aufzusuchen.

Becken-Training

Ein nicht oder nur schlecht trainierter Beckenboden begünstigt Blasenschwäche. Gezielte Übungen der Muskeln, die sich im Körperinneren befinden und daher vielen Menschen gar nicht bewusst sind, können gegen die Krankheit helfen. Einer der wichtigsten Muskeln im Beckenboden ist der Musculus puboccocygeus, auch Schambein-Steißbein-Muskel oder kurz PC-Muskel genannt. Mit ihm kann das Urinieren unterbrochen werden. Ziel des Trainings ist es, den Muskel so zu stärken, dass er sich besser zusammenziehen und so den Urinfluss aufhalten kann.

Wer sich für ein Training entscheidet, sollte einen Experten aufsuchen, etwa einen Physiotherapeuten oder eine Hebamme. Sie können der Patientin zeigen, wie die Übungen - etwa das Zusammenziehen der Sitzknochen, das Schließen des Beckens oder das Schlagen einer Brücke - ausgeführt werden. Nur wenn die richtigen Muskelpartien trainiert werden, stellen sich auch Erfolge ein. Der amerikanische Gynäkologe Arnold Kegel entwickelte das Training Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit einer Reihe von Übungen wollte er Frauen therapieren, die an Inkontinenz litten. Gleichzeitig stellte er fest, dass das Training zur Steigerung der Lustempfindung im Genitalbereich verhalf. mest

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: