Süddeutsche Zeitung

Moderne Medizin:Die Revolution des Krankenhauses

  • Die Gebäude des Klinikums Großhadern werden abgerissen. Die Gründe dafür liegen auch in den veränderten Anforderungen in der Medizin.
  • Vor allem der Einsatz von modernen Geräten, die viel Platz brauchen, macht einen Umbau nötig.
  • Zudem arbeiten Ärzte immer interdisziplinärer bei der Behandlung von Patienten zusammen, wodurch die Wege zwischen den Abteilungen kürzer werden müssen.

Von Stephan Handel

Die Pyramiden von Gizeh sind ungefähr 4500 Jahre alt. Mit dem Bau der Chinesischen Mauer wurde vor 1300 Jahren begonnen, und die ersten Steine des Kölner Doms wurden vor etwa 700 Jahren aufeinandergesetzt. Die ersten Gebäude des Klinikums Großhadern gingen 1973 in Betrieb. Jetzt wird es abgerissen.

Das ist natürlich ein unfairer Vergleich, weil eine Pyramide, zumindest in ihrem Inneren, nur von einem einzelnen Pharao frequentiert wird, und der ist tot. Ein Großklinikum hingegen muss täglich mit Tausenden Menschen fertig werden, Ärzten, Pflegern, Patienten, Besuchern, Handwerkern, Reinigungspersonal. Die Gründe für den Abriss des größten Münchner Krankenhauses liegen jedoch nicht nur in der Abnutzung der Gebäude. Sie liegen vor allem darin, wie sich die Medizin verändert hat, und wie die Menschen sich heutzutage einen Klinik-Aufenthalt vorstellen.

Krankensäle von damals mit 20 Betten

In der Medizinischen Klinik an der Ziemssenstraße, 1813 erbaut und die Keimzelle des heutigen Universitätsklinikums, sind noch Krankensäle zu besichtigen, wie sie damals angelegt wurden: 15, 20 Betten, in einem Eck hatte die Saalschwester ihr Reich; sie wohnte praktisch in dem Raum. Heute würde sich niemand mehr mit 20 anderen Kranken in einen Raum legen, Waschbecken und Toiletten auf dem Flur. Von den Patienten erwarteter Standard heutzutage ist ein Zimmer mit höchstens zwei Betten und eigener Nasszelle.

Das bringt zum Beispiel aktuell das Klinikum Schwabing in größere Schwierigkeiten, weil dort die baulichen Gegebenheiten und der Denkmalschutz den Umbau in Zweier-Zimmer erschweren. Zimmer mit drei Betten sind dort die Regel, aber schon das empfinden viele Menschen als Zumutung. Der dadurch erhöhte Platzbedarf setzt sich fort in der technischen Entwicklung der Medizin: Als das Klinikum Großhadern eröffnete, waren Computertomografen gerade erst erfunden worden; sie konnten ausschließlich für Aufnahmen des Schädels verwendet werden. Also reichte ein solches Gerät, um die vielleicht fünf Patienten am Tag zu versorgen.

Moderne Medizin braucht Fläche

Heute werden CTs in vielen Disziplinen der Medizin eingesetzt - in der Hirnchirurgie immer noch, aber auch in der Kardiologie, in der Orthopädie, in der Gefäßchirurgie, bis hin zur Psychiatrie. Auch in Operationssälen stehen die Geräte, damit die Chirurgen noch während der OP das Ergebnis ihrer Bemühungen überprüfen können. Die Geräte sind immer noch so groß wie ein kleiner Lieferwagen, dazu benötigen sie abgeschirmte Bedien-Räume, Wartezimmer, Technikräume. Sie brauchen also Platz, und das ist nur ein Beispiel, in welchem Umfang moderne Medizin mehr und mehr Flächen beansprucht. Im Gegensatz dazu werden die Aufenthalte der Patienten im Krankenhaus immer kürzer, weil die Therapien besser geworden sind, aber auch, weil die Kassen auf die Kosten achten.

Das bedeutet, dass auch weniger Betten benötigt werden. Für das neue Klinikum ergibt das in der Summe eine kleinere Fläche: 240 000 Quadratmeter statt 270 000, die Zahl der Betten in Großhadern und Innenstadt zusammengenommen sinkt von jetzt 2200 auf 2000. Das berichtete Gerd Koslowski, der Kaufmännische Direktor des Klinikums auf einer Pressekonferenz zum Thema Neubau.

Moderne Spitzenmedizin, das ist der Anspruch der LMU an ihrem Universitätsklinikum, dem größten Bayerns. Das bedeutet, dass dort die schwersten Fälle behandelt werden, und dass die Ärzte dort Methoden beherrschen, die nirgendwo anders praktiziert werden. Der Neurochirurg Jörg-Christian Tonn etwa operiert Patienten mit einem Gehirntumor, während diese bei Bewusstsein sind. Das hört sich gespenstisch an, erhält den Patienten aber zum Beispiel die Sprache, deren Verlust früher als unabänderlich angesehen wurde.

Diese Spitzenmedizin erschöpft sich heute aber nicht nur in der medizinisch-handwerklichen Meisterschaft einzelner Ärzte. In früheren Zeiten zum Beispiel war es gelegentlich mehr oder weniger Zufall, wie ein Krebspatient behandelt wurde: Landete er zuerst beim Chirurgen, wurde er operiert, kam er zum Radiologen, wurde er bestrahlt, und behandelte ihn ein Onkologe, erhielt er eine Chemotherapie. Seit Langem schon gibt es in Großhadern - wie auch anderswo - die sogenannten Tumor Boards, wo Ärzte verschiedener Fachrichtungen Fälle besprechen und die für den jeweiligen Patienten am besten geeignete Therapie suchen.

Das fällt unter das Stichwort "Interdisziplinarität", eine echte Revolution in der Krankenhaus-Hierarchie: Wo früher die Chefärzte, die Ordinarien wie Könige in ihrem Reich herrschten (und neben dem Wohl der Patienten durchaus auch ihr Bankkonto im Blick hatten), sollen die Disziplinen heute zusammenarbeiten. Und das bedeutet natürlich auch: räumliche Nähe. Denn wenn sich etwa der Herzchirurg und der Kardiologe gemeinsam mit einem Fall befassen sollen, dann ist es auch praktisch, wenn der Weg von einem zum anderen nicht weit ist - eine Entwicklung, an die vor mehr 50 Jahren noch niemand dachte, als die Planungen für Großhadern begannen.

Abteilungen werden nach Themen organisiert

Diese neuen Strukturen der Zusammenarbeit über Fächergrenzen hinweg schlagen sich in Großhadern direkt im Organigramm nieder - und in der Architektur des Neubaus. Es werden nicht mehr einzelne Kliniken gebaut, wenn auch, wie im jetzigen Haus, unter einem Dach. Die Ärzte, die Abteilungen werden vielmehr nach Themen organisiert. Man kann sich das bildlich so vorstellen, dass früher die Ärzte dasaßen und warteten, dass der Patient zu ihnen kommt. Und dass heute der Patient in seinem Bett den Mittelpunkt eines Kreis bildet, in dem die Mediziner, die er benötigt, um ihn herumstehen und schauen, was sie für ihn tun können. "Nicht mehr vertikal, sondern horizontal" sollen die Strukturen sein, sagt Karl-Walter Jauch, der Ärztliche Direktor.

Das bedeutet, dass das neue Klinikum in fünf Zentren organisiert werden soll - zum Teil ist diese Zusammenfassung schon geschehen oder auf den Weg gebracht: Das Herz-, Thorax- und Gefäß-Zentrum, das Bauch- und Becken-Zentrum, das Onkologische Zentrum, das Kopf-Zentrum, die Orthopädie und Traumatologie. Dazu das schon bestehende Operationszentrum als Herzstück des Klinikums, in dem auch die Aufnahme und die Notfallversorgung geschehen sollen, sowie weitere zentrale Einrichtungen wie die Radiologie.

Bausubstanz kollidiert mit den Anforderungen

In dem bestehenden grauen Betonbau - nicht sehr einladend von außen, aber vielen Menschen Heilung bringend in seinem Inneren - ist diese Art der Organisation nicht mehr zu leisten, mehr und mehr stößt er an seine Grenzen, kollidiert die Bausubstanz mit den Anforderungen, die Ärzte und Patienten an sie haben, von heutigen Vorschriften, Brandschutz und Energieeffizienz betreffend, ganz zu schweigen.

Ein moderner Klinikbetrieb entwickelt sich immer weiter - und gerät schließlich an einen Punkt, wo Aus- und Umbau nicht mehr sinnvoll sind. Dann ist es gescheiter, man baut gleich neu, weshalb Großhadern jetzt abgerissen wird - in zehn Jahren, so Karl-Walter Jauch, könnte der erste Bauabschnitt fertig sein, in 20 Jahren das ganze Projekt. In den Pyramiden von Gizeh wird dann immer noch ein einzelner toter Pharao herumliegen.

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SZ vom 29.01.2015/lime
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