Musiktheater:Jubiläums-Streich vom Revoluzzer-Quartett

Lesezeit: 3 Min.

Zeige mir deine Wunden: Mit dem Attentat auf Andy Warhol kulminiert das Jubiläumsstück des Modern String Quartets. (Foto: Olaf Dankert)

Mit einem "Anti-Musical" zum Phänomen Andy Warhol begeht das Modern String Quartet seinen 40. Geburtstag.

Von Oliver Hochkeppel

Die wenigsten Studentenprojekte halten länger als ein paar Jahre. Kaum eines kann sein 40-jähriges Bestehen und anhaltenden Erfolg feiern. Genau das darf jetzt das Modern String Quartet. Im Sommer 1983 wurden der Cellist Jost H. Hecker und die Geiger Joerg Widmoser und Holger Jetter, alle noch Studenten, engagiert, einen Diavortrag frei improvisierend zu begleiten. Was bei Widmoser noch logisch war: Er verstand sich in erster Linie als Jazzgeiger, spielte vom 16. Lebensjahr an in einer Bluesband, danach bei der Münchner Jazzcombo Tayo, und von 1978 an mit seiner eigenen preisgekrönten Gruppe Up; die anderen beiden hingegen kamen von der Klassik, wobei Jetter auch viel in Rockbands spielte und Heckers Steckenpferd die moderne Musik war.

Jedenfalls wurde dieses Aufeinandertreffen verschiedener musikalischer Schwerpunkte zum Schlüsselerlebnis: "Wir rochen Neuland", beschrieb es Widmoser. Die Königsdisziplin der Klassik, das Streichquartett, sollte die Plattform für etwas völlig Neues werden. Man suchte also noch einen Bratschisten, der mit Andreas Höricht schnell gefunden war. Genau wie die Philosophie des Modern String Quartets, wie sie sich fortan nannten: das zu machen, "was wir bei unseren Lehrern nicht gelernt haben", und grenzüberschreitende Wege einzuschlagen, die in den jeweiligen Genres bis dahin nahezu verboten waren. Und das basisdemokratisch: Einen Primus gibt es im MSQ nicht, alles wird gemeinsam entschieden und vertreten, das Berufsbild ist der freischaffende Musiker, als Komponist, Arrangeur und Solist.

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Jeder hat dementsprechend noch ein Leben neben dem MSQ. Widmoser in diversen Jazz- und Crossover-Projekten wie Radio Europa, von dem demnächst das neue Album "Secret Sounds and Hidden Treasures" erscheint. Hecker bei der Theatermusik, wo er zum Beipiel mit Franz Wittenbrink an den Kammerspielen ebenfalls Wegweisendes geschaffen hat. Höricht unter anderem als Musikpädagoge. Winfried Zrenner schließlich, der 1991 Holger Jetter ablöste, schreibt Musik für Spielfilme, Fernsehserien und Dokumentarfilme.

Doch die gemeinsam umgesetzte Idee eines "Jazz für Streichquartett" (wie ihr zweites Album hieß) bleibt die bahnbrechende Leistung der Vier, mit der sie "dem Genre eine neue Dimension eröffneten", wie ein Kritiker schrieb. Und neue Türen aufstießen: Das MSQ spielte und spielt in Jazzclubs ebenso wie in klassischen Häusern, auf Kleinkunstbühnen wie als Kulturbotschafter des Goethe-Instituts; sie begleiteten das Golden Gate Quartet und Mercedes Sosa ebenso wie Konstantin Wecker und die Jazzer Joe Haider oder Charlie Mariano. Die eigenen Projekte waren stets einzigartig, ob sie nun Bach oder Ellington verarbeiteten, "Watermusic" oder zuletzt "The Rite of Swing".

Der Deutsche Musikrat unterstützte das Projekt mit einem Stipendium

Etwas Besonderes sollte nun natürlich auch zum 40. entstehen. Winfried Zrenner grübelte, kam von Broadway-Musicals über Marilyn Monroe schließlich auf Andy Warhol als Aufhänger. Vor allem die Freundschaft mit der Monroe und das Attentat auf ihn erschienen ihm als spannender Kern einer Geschichte. Ein konventionelles Musical freilich kam nicht in Frage, "weil wir das mit seiner Nummern-Struktur und der Tanzerei eigentlich gar nicht so mögen", wie Zrenner sagt. Ein "Anti-Musical" ist es jetzt also geworden. Weil das Libretto, zu dem man den Kulturjournalisten und Biografen Adrian Prechtel überredete, gesprochen und nicht gesungen wird. Weil die Musik nie aussetzt, sondern sich durch das ganze Stück hindurchzieht, "wie bei Wagner, mal begleitend, mal mit dramatischem Aufblühen", so Zrenner. Und weil die Vertonung nicht zeitgenössisch, sondern zeitgemäß ist.

Dank eines Stipendiums des Deutschen Musikrats konnte man in die Vollen gehen und fünf Vorstellungen im Gasteig HP 8 ansetzen. Als Regisseur gewann man den für viele große Häuser arbeitenden Andreas Wiedermann, der ein exzellentes Team samt von den Münchner Bühnen bekannte Schauspieler mitbrachte. Neben Ruben Hagspiel und den Schwestern Anina und Anoushka Doinet vor allem Oliver Möller, "der die Titelrolle großartig spielt und Warhol auch schon äußerlich ähnelt", wie Zrenner findet. Ein weiterer Clou ist, dass alles und alle nach dem ersten Akt im zum "Club 53" umgestalteten Probenraum des Gasteigs nach der Pause in Warhols "Factory" in die Halle E umziehen. "Das Stück bewegt sich zwischen Konzert und Schauspiel. Mal schauen, ob es funktioniert", sagt Zrenner mit einigem Understatement. Kann man sich doch mit Blick auf die vergangenen 40 Jahre sicher sein, dass das Projekt, sollte es tatsächlich misslingen, auf jeden Fall spannend und glorios scheitert.

Warhol: Ein Anti-Musical, Mo. und Mi., 8. und 10. Mai, Di. und Sa., 23. und 27. Mai, Di., 13. Juni, 20 Uhr, Probensaal und Halle E, Gasteig HP8

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