Süddeutsche Zeitung

Modedesign im Glockenbackviertel:Multi-Kulti-Dirndl

Nach viel Bling-Bling, Totenkopf-Prints und Landhausrüschen kommt eine exotische Trachten-Idee gerade recht: Zwei Frauen aus Kamerun schneidern das klassische Schnürkleid aus den bunt gescheckten Stoffen Westafrikas.

Von Anne Goebel

Colour mix, das klingt natürlich viel lässiger als der ausgediente Achtzigerjahre-Slogan Multi-Kulti, auch wenn dasselbe gemeint ist: offen zu sein für andere Lebensweisen. Rahmée Wette-rich jedenfalls gefällt der Begriff so gut, dass sie ihn weit über die Mode hinaus verwendet. Keine Frage, bunt sind die Kleiderstoffe in ihrem neuen Gemeinschaftsladen im Glockenbachviertel. Die Inhaberin trägt an einem kühlen August-Vormittag goldglänzende Schnürschuhe mit dicker Gummisohle zum gemusterten Hosenanzug, aber Rahmée Wetterich denkt bei "Colours" mehr an den großen Zusammenhang.

Den fruchtbaren Austausch von Menschen mit ganz unterschiedlichen Prägungen und Vorlieben. Und wenn man ihrer Geschichte so zuhört, kurdisch-afrikanische Familie, Vorliebe für asiatische Textildrucke aus Java, eine Geschäftspartnerin mit italienisch-ägyptischen Wurzeln, und gemeinsam machen sie bayerische Dirndl - dann ist klar: Es dürfte in München nicht viele geben, die von Melange so viel verstehen wie sie.

"Dirndl à l'Africaine" nennt sich die Marke von Wetterich und ihren Partnerinnen Cornelia Hobbhahn und Marie Darouiche, und in diesem Fall passt der Name Multibrand wirklich. Mit ihrer kulturverbindenden Idee, das klassische Schnürkleid aus den bunt gescheckten Stoffen Westafrikas zu schneidern, haben die Schwestern Rahmée und Marie aus Kamerun offenbar einen Nerv getroffen.

Das Label entwickelte sich nach der Gründung vor knapp vier Jahren rasch zum Geheimtipp, und obwohl das Atelier versteckt in einem Rückgebäude in der Maxvorstadt liegt, kamen die Kundinnen und kauften die Modelle von "Noh Nee". Noh Nee ist der eigentliche Markenname, aber der griffigere Zusatz "Dirndl à l'Africaine" hat sich durchgesetzt in einer Stadt, die der Tracht noch lange nicht überdrüssig ist.

Der Trend zum Großstadtmieder floriert in immer neuen Varianten, alljährlich wechseln die Moden, und nach viel Bling-Bling, abwegigen Totenkopf-Prints und Landhausrüschen kamen die fremdartigen Töne aus der Türkenstraße gerade recht. Allerdings hat man schon manches Münchner Dirndl-Startup nach kurzer und heftiger Blüte während ein, zwei Wiesn-Saisons in den frostigen Zeiten danach verwelken und verschwinden sehen. Insofern kommt für die afrikanische Version jetzt erst die Bewährungszeit, mit neuem, größerem Laden an prominenter Adresse in der Hans-Sachs-Straße.

Vor einigen Monaten hat das Trio um Rahmée Wetterich die Räume bezogen mit hohen Wänden, zwei großen Schaufenstern und einer Designerlampe aus Upcycling-Kunststoff, natürlich aus Afrika. Der Unterschied zum bisherigen Hinterhofdasein, erzählt Cornelia Hobbhahn, sei enorm. Mehr Laufkundschaft, mehr Neugierige, die sich das Sortiment ansehen. "Das ist eine ganz neue Erfahrung für uns", sagt sie und kümmert sich um eine Kundin, die sich den Kauf eines alpinen Filzhütchens mit ungewohntem Batikband noch überlegen will.

Dass das Dirndl-Projekt von Anfang an gut vorankam, hat sicher mit Hobbhahns Kontakten in der Branche zu tun. Die PR-Fachfrau, die als Kind einer italienisch-deutschen Emigrantenfamilie in Kairo aufwuchs, hat lange einen französischen Kosmetikkonzern betreut und fädelte an neuer Stelle als Mitinhaberin einer kleinen Firma nützliche Verbindungen ein. Ob Madame oder Elle, die Moderedaktionen fanden Gefallen an den traditionell geschnittenen Kleidern mit den knalligen Rauten- oder Dschungeldekors. Natürlich auch, weil eine prägnante Geschichte dahinter steckt.

Rahmée Wetterich und Marie Darouiche, die Schwestern aus Kamerun, leben mit ihrer Mutter und vier weiteren Geschwistern schon seit Jahrzehnten in Deutschland - wobei Marie, die älteste und heute 61, erst nach einem Umweg über Syrien, die Heimat des Vaters, nach Bayern kam. "Ein großer Clan, viele Generationen fast unter einem Dach", so beschreiben sie ihre Herkunft auf der Webseite. Das könnte nach gefälligem Afrikaklischee klingen, aber die Fotos der beiden Frauen mit streng zurückfrisiertem Haar, Designerbrille, androgynem Look, haben rein gar nichts Folkloristisches an sich.

Man muss sich bei Noh Nee schon auf ungewohnte Sichtweisen einlassen, das gilt auch für die Kollektion. Auf die Opulenz, das Majestätische afrikanischer Gewänder wurde bewusst verzichtet. Die Dirndl sind puristisch, fast streng im Schnitt, es gibt eine feste Länge, zwei Dekolleté-Tiefen und kleine Varianten bei der Ausschnitt- und Rockform. Dafür blüht und flattert es auf den Stoffen mit Schmetterlingen, Wüstenblumen und den typisch westafrikanischen Craquelé-Mustern, die an die Struktur rissiger Wände erinnern.

Die Stücke fielen ins Auge, als die Interior-Designerin Rahmée Wetterich sich die ersten Dirndl ihrer Schwester vor einigen Jahren für eine Küchenpräsentation auslieh, als exotisches Beiwerk sozusagen. Das war als Spielerei gedacht, die Kleider als ironisches Zitat der Farben und Formen aus der neuen und der alten Heimat. Aber die Nachfragen häuften sich.

Heute kommt Marie Darouiche, die das Schneiderhandwerk von ihrer Mutter lernte, kaum von der Nähmaschine weg, wo sie die Prototypen und die Modelle nach Maß fertigt und immer neue Muster-Kombinationen zusammenfügt. Bis aus Hamburg und vom Tegernsee, wo bekanntlich die selbsternannten Hüter der bayerischen Traditionskluft sitzen, reist die Kundschaft an. "Maries emotionale Bindung an die Stoffe unserer Kindheit ist besonders stark", erzählt die 49-jährige Rahmée. "Sie hat am längsten von allen Geschwistern in Afrika gelebt." Nur manchmal müsse sie die Liebe ihrer Schwester zur Ausschmückung bremsen, damit der schlichte Look erhalten bleibt. Den ergänzen inzwischen auch passende Schuhe, die in einer Münchner Manufaktur angefertigt werden.

Dass die beiden Frauen aus Kamerun sogar über die Kultur ihres eigenen Landes etwas Neues erfuhren, ist eine besonders schöne Facette der Noh-Nee-Story. Denn die farbintensiven Stoffe, die man in Städten wie Jaunde oder Douala auf jedem Markt kaufen kann, sind gar nicht so urafrikanisch, wie Rahmée Wetterich glaubte. Bei Recherchen fand sie heraus, dass die Textilien ursprünglich in Indien und auf Java gedruckt wurden, auf feines Material und mit charakteristischen Mustern. Händler aus Europa, vor allem aus England und den Niederlanden, brachten sie von ihren abenteuerlichen Fahrten mit nach Hause, zunächst ohne Erfolg. Ihre Landsleute konnten dem Tuch nicht viel abgewinnen - also verkaufte man die Ware etwa von dem Jahr 1700 an verstärkt nach Westafrika weiter, da sie dort dem Geschmack der Kunden genau entsprach.

Die Geschäfte blühten, später gelangten die sogenannten Waxprints auch durch Missionare in Länder wie Ghana oder Kamerun. Bis heute werden die hochwertigsten Stoffe in Brabant hergestellt. Ein indonesisch-niederländisch-afrikanischer Kulturtransfer also. Fehlte nur noch das bayerische Dirndl als letzter Mosaikstein einer ziemlich bunten Münchner Erfolgsgeschichte.

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SZ vom 30.08.2014/infu
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