Die Idee kam Christine Overbeck in Shanghai, nicht in München und auch nicht in Paris. Und beinahe wäre aus ihrem kleinen Schwarzen auch ein rotes Kleid geworden. Die Mode- und Textildesignerin hat viel experimentiert, als sie vor einigen Jahren Stipendiatin eines Strickmaschinenherstellers in China war. Doch das Rot sah einfach nicht gut aus. Und irgendwann dämmerte ihr, worin die Bestimmung des schlauchförmigen Stoffes liegen könnte, der aus einer Strickmaschine gekommen war, erzählt die 38-jährige Münchnerin. „Hey, das ist ja eine Neuinterpretation des kleinen Schwarzen.“
Seit 2021 konzentriert sich Christine Overbeck mit ihrem Label „C/OVER“ auf eine körperbetonte Variante des kleinen Schwarzen. Das elastische Kleid kostet 189 Euro, gefertigt wird es an Rundstrickmaschinen in Portugal, in kleiner Stückzahl und sparsam im Umgang mit dem Material. „Es wird an einem Stück gestrickt, ohne dass man Verschnitt hat“, erklärt Overbeck, die außerdem freie Aufträge übernimmt und als textile Produktentwicklerin für ein Ingenieurbüro arbeitet. Mit dem Label geht es voran, Schritt für Schritt. Einmal erhielt sie sogar eine Bestellung aus Mexiko.
Das Schönste aber sei gewesen, als das erste Mal „eine fremde Person“, keine Bekannte und auch keine Bekannte von Bekannten, in ihr Studio an der Rumfordstraße spazierte und das Kleid vom Fleck weg kaufte. Ob diese Kundin nun Overbecks Kleid zu High Heels auf einer Dachterrasse trägt, oder es im Winter mit einem dicken Wollschal kombiniert? Falsch machen kann man mit einem schlichten, schwarzen Kleid nichts an der Isar, wo der Wunsch nach einem femininen Stil dem Klischee nach stärker ausgeprägt ist als im Rest der Republik. „Für mich ist München sehr elegant, hat aber auch eine sportliche Seite“, sagt die Designerin. Und auch wenn ihr Kleid natürlich nicht für Bergtouren gedacht ist, so hat es doch einen sportlichen Touch.
Die Vogue verglich das Kleid einst mit einem Automodell von Ford
Klassischerweise endet das kleine Schwarze in Kniehöhe, wie man im Übrigen auch bei Alex Katz im Museum Brandhorst sehen kann, der seine Frau Ada gleich mehrfach darin malte („The Black Dress“, 1960). Allerdings hat wohl kaum ein Kleidungsstück so zahlreiche Neuinterpretationen erfahren. Sexy? Meistens. Billig? So gut wie nie. Das spektakuläre Modell aus „Frühstück bei Tiffany“, entworfen von Hubert de Givenchy für seine Muse Audrey Hepburn, erzielte 2006 einen Auktionspreis von 692 000 Euro. Marilyn Monroe und Brigitte Bardot füllten das kleine Schwarze mit Sinnlichkeit, Prinzessin Diana setzte es als textilen Protest gegen ihre unliebsame Sippe in Tweed und Glencheck ein – den Stilbruch mit Lederjacke wagte dann Kate Moss. Obwohl bereits Varianten im Umlauf gewesen sein sollen, wird seine Erfindung Coco Chanel zugeschrieben. 1926 hatte die amerikanische Vogue eine Zeichnung der visionären Designerin veröffentlicht und ihren Entwurf mit dem „Modell T“ des Automobilherstellers Ford verglichen, ebenfalls schwarz und für die breite Masse entwickelt.
Weil Schwarz als Farbe der Trauer bis dato Witwen vorbehalten war, signalisierte das Kleid, schon einmal verheiratet und sexuell aktiv gewesen zu sein. „Das hatte was von einer Femme fatale“, sagt Overbeck nach diesem kleinen Ausflug in die Modegeschichte. Sie selbst trägt das kleine Schwarze an diesem Tag zu Turnschuhen und einem bunten Herrenhemd, keine Femme fatale, sondern eine Münchnerin mit herzlichem Lachen und ernstzunehmender Begeisterung für das eigene Unternehmen.
Overbeck ist in Moosach aufgewachsen und ging in Nymphenburg auf ein Mädchengymnasium. Nach dem Besuch einer Modeschule in Paris arbeitet sie dort unter Nicolas Ghesquière – mittlerweile Chefdesigner von Louis Vuitton – für Balenciaga. Bei dem Luxuslabel kommt sie mit Strick in Kontakt. Da sei viel Wert auf moderne Techniken gelegt worden, die innovativ und dennoch poetisch wirkten. „Diese Manipulation der Materialien fasziniert mich total.“
Fünf Jahre verbringt Overbeck in der französischen Hauptstadt, auch in London und Mailand sammelt sie Erfahrungen, und in jeder Stadt hört sie den Puls der Mode ein wenig anders schlagen. In Antwerpen lernt sie, wie Maschenbindung funktioniert, in Luzern macht sie einen Master in Strickdesign, und als sie schließlich als Stipendiatin eines Textilunternehmens nach Shanghai reist, inspirieren sie die Experimente an den computergesteuerten Maschinen zu ihrer Kreation.
Die Stricktechnik hinterlässt eine ästhetische Struktur aus winzigen Hügeln und Tälern, die sich wie Brailleschrift anfühlt. Die Botschaft von Overbecks Kleid versteht jedoch erst, wer sich in den sozialen Medien durch die Fotos klickt. Eine Muslima trägt es zum Kopftuch, eine Frau mit Dutt zu Chucks und ein junger Mann lässt darin seine Muskeln spielen. „Das Kleid lebt durch die Person, die es trägt“, erklärt die Designerin. Und wer mit Zuversicht hineinschlüpft, erhält vielleicht das beste Geschenk, das die Mode zu machen imstande ist: einen selbstbewussten Auftritt.