Mode aus München:Die Tasche, auf der Oma saß

Mode aus München: Das Material, aus dem die Taschen schließlich genäht werden, muss erst sortiert, gewaschen und zugeschnitten werden.

Das Material, aus dem die Taschen schließlich genäht werden, muss erst sortiert, gewaschen und zugeschnitten werden.

(Foto: Robert Haas)

Das Label "Kurzzug" verarbeitet die Sitzbezüge aus alten U-Bahnwaggons zu Modeaccessoires. Wer das kaufen will? Nicht nur Münchner.

Von Laura Kaufmann

Es gibt Menschen, die sagen ihr Leben lang, sie hätten da diese gute Idee gehabt, und eigentlich hätten sie die mal umsetzen sollen. Jörg Schleburg wollte nicht zu diesen Menschen gehören. Auch wenn es einiges an Geduld brauchte, um an den Stoff zu kommen, den es für die Idee benötigte: Kunstleder, und zwar genau das, mit dem die Münchner U-Bahnsitze früher bezogen waren. Aus diesem blauen Kunstleder wollten Jörg Schleburg und sein Geschäftspartner Wolfgang Bischoff, beide eigentlich Agenturchefs, Taschen anfertigen.

"Irgendwann muss man sich einen Ruck geben und sagen, wir probieren das jetzt einfach mal", sagt Schleburg. Auch wenn es eineinhalb Jahre dauerte, bis er bei der Münchner Verkehrsgesellschaft überhaupt einen richtigen Ansprechpartner gefunden hatte. "Für Taschen aus U-Bahnsitzen gibt es nun mal keine passende Durchwahl."

Mode aus München: Wolfgang Bischoff (links) und Jörg Schleburg haben zusammen das 'Kurzzug' gegründet.

Wolfgang Bischoff (links) und Jörg Schleburg haben zusammen das 'Kurzzug' gegründet.

(Foto: Robert Haas)

Die beiden wussten lange Zeit nicht einmal, ob der Stoff in irgendeiner Art aufbewahrt wird. Oder ob sie nicht gleich einen ganzen Waggon kaufen müssten, um an die Sitzbezüge zu kommen. Aber ihre Hartnäckigkeit zahlte sich aus: Nun dürfen sich die beiden Taschenmacher, wann immer die Verkehrsgesellschaft einen alten Waggon ausmustert oder die Sitzbezüge eines Zugs erneuert, einen Sack Kunstleder abholen.

"Kurzzug" haben Schleburg und Bischoff ihr Label genannt, unter dem sie jetzt - nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne - Laptoptaschen, Weekender und Geldbörsen vertreiben. Sie sortieren den Stoff, schneiden ihn passend zu und schicken ihn dann nach Norditalien, wo die Taschen gefertigt werden. Das ist aufwändig, und dementsprechend sind die Taschen auch nicht billig. Für den Weekender etwa, die größte Tasche, sind 350 Euro fällig. Jede Tasche ist ein Unikat, jede Variante nur in begrenzter Stückzahl erhältlich. "Jeder Sitzbezug hat seine eigene Geschichte erlebt", sagt Schleburg.

Vielleicht stammt der Bezug aus der U6, vielleicht sind auf ihm grölende Bayernfans nach einem Sieg auf- und ab gehüpft. Vielleicht saß der Käufer selbst schon einmal darauf, vielleicht die eigene Oma; vielleicht ist auf einem anderen Stück Kunstleder ein junges Pärchen nach dem ersten Date unmissverständlich nah aneinandergerückt, bis zum ersten Kuss. Vielleicht stammt die kleine Macke von einem antiken Blechschild, das jemand vom Theresienwiesenflohmarkt mit der U-Bahn heimtransportiert hat; und überhaupt, die U4 und die U5, die die Wiesn anfahren. Deren Sitze müssen nach dem Fest meist frisch bezogen werden.

Kunstleder, das mit Tags und Graffiti verziert ist, wollen die Modemacher vielleicht einmal zu einer Sonderedition zusammen fassen. Aber bis sie dafür genug Material beisammen haben, kann es noch eine Weile dauern. "Die Münchner sind da sehr brav", sagt Schleburg.

Mode-Label Kurzzug, 2016

Der "Wochenender" ist derzeit die größte und teuerste Tasche des Labels.

(Foto: Robert Haas)

Man würde meinen, die Zielgruppe, die sich für die "Kurzzug"-Taschen interessiert, wäre eine kleine, wenn auch durchaus vorhandene: Gut situierte Münchner Designliebhaber etwa. Das Crowdfundingziel von 30 000 Euro erreichten die beiden Modemacher locker. Aber nicht nur aus München sind ihre Taschen bestellt worden, auch aus Hamburg, Frankfurt, sogar aus Luxemburg. "München hat schon eine sehr hohe Anziehungskraft. Das sind vielleicht Münchner, die in einer anderen Stadt ein Stück Heimat bei sich tragen wollen, oder solche, die hier einmal eine schöne Zeit verbracht haben, ein Studiensemester, einen Urlaub", sagt Schleburg.

Trotzdem wollen er und Wolfgang Bischoff "Kurzzug" nicht als München-Merchandise verstanden wissen, sondern als Designlabel. Eines, das recycelt und upcycelt, aus etwas Altem etwas Neues, Schönes macht. Etwas mit Geschichte eben.

Wie alt das Kunstleder ist, ist unterschiedlich; Schleburg und Bischoff können das an dem verwendeten Bindematerial schätzen. Irgendwann, wenn alle alten U-Bahn-Waggons ausrangiert sind, werden ihre Taschen nicht mehr produziert werden können. Ihr Label wollen die Modemacher trotzdem nicht einstellen. Sie haben noch viele andere Ideen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: