Mobilität:"Freiham ist keine Insel"

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Die Stadt setzt auf begrenzte Kfz-Stellplätze, Rad- und Sharing-Angebote: Bevor autoreduzierte Konzepte greifen, kritisieren die Lokalpolitiker, müsse aber erst der Verkehrsfluss um das Quartier funktionieren

Von Ellen Draxel, Freiham

Als Modell-Stadtteil der Zukunft ist Freiham konzipiert, mit wenig Autoverkehr zugunsten einer hohen Lebens- und Aufenthaltsqualität, dafür viel Grün. Wie sich die Stadt- und Verkehrsplaner diese Umsetzung im Detail vorstellen, haben sie jetzt in einen Beschlussentwurf gegossen, der demnächst dem Stadtrat vorgelegt werden soll. Kernelement dieses Pilotprojekts ist ein neues Verständnis von Mobilität. Die bislang gültige Priorität des Autos soll in Freiham-Nord durch die Förderung des Fuß- und Radverkehrs und eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs umgekehrt werden. Das Modell impliziert auch, dass die soziale, kulturelle und freizeitorientierte Infrastruktur sowie Läden und Schulen von Anfang an im Viertel beheimatet sind, ein Interims-Supermarkt im Stadtteilzentrum und ein möglicher Badesee inbegriffen - damit die Bewohner auf weite Wege verzichten können. Angestrebt wird, innerhalb Freihams den Anteil des Individualverkehrs auf 25 Prozent zu beschränken. Zum Vergleich: Stadtweit macht der Autoverkehr noch durchschnittlich 34 Prozent aus.

So verkehrsarm präsentieren sich die Verkehrsachsen rund um Freiham nur nachts oder frühmorgens. (Foto: Robert Haas)

22 konkrete Einzelmaßnahmen sind in der Vorlage genannt, sie sollen die großen verkehrlichen Infrastrukturvorhaben wie die Verlängerung der U 5 nach Freiham, die Anbindung Freihams an Aubing, den Ausbau der Autobahnumgehung A 99 und den Ausbau der S 4 "ergänzen". Eines dieser Einzelprojekte ist, in Freiham-Nord ein Flächenmanagement für den öffentlichen Raum zu etablieren - "mit dem Ziel, den Flächenbedarf für den ruhenden Verkehr zu minimieren". Vorgesehen ist dabei unter anderem, Kfz-Stellplätze bewusst zu begrenzen: Auf 15 Wohnungen soll in Freiham-Nord lediglich ein sogenannter "Besucherstellplatz" im öffentlichen Raum kommen. In anderen Neubaugebieten liegt dieser Faktor zwischen eins zu sechs und eins zu zehn.

Autofrei oder autoreduziert

Beabsichtigt ist außerdem, den Stellplatzschlüssel auf Privatgrund abzusenken. Bei noch ausstehenden Grundstücksausschreibungen im ersten Realisierungsabschnitt will die Stadt die Zahl der notwendigen Stellplätze um ein Drittel reduzieren. Und im zweiten Realisierungsabschnitt, dessen Rahmenplan bislang nicht beschlossen ist, soll pro Wohnung nur noch ein halber Stellplatz nachgewiesen werden. Dieser Parkraum ist zudem idealerweise nicht klassisch in Tiefgaragen unter den Häusern unterzubringen, sondern mindestens zur Hälfte in "Quartiers- oder Sammelgaragen". Solche unter öffentlichen Plätzen und Straßen gelegenen Anwohnergaragen hätten aus Sicht der Verwaltung den Charme, im Viertel "weitgehend autofreie Bereiche entstehen" zu lassen, die Anzahl der Ein- und Ausfahrten gering zu halten, Baukosten zu sparen und parallel Serviceleistungen wie Car-Sharing-Pools, Ladestationen, Quartiersboxen, eine Fahrrad-Reparaturwerkstatt oder einen Winterreifen-Wechseldienst anbieten zu können. Abgesehen davon, dass die Bewohner als "positiven Nebeneffekt" möglicherweise eher das Rad oder den Bus nehmen, weil diese schneller als das Auto in der Garage zu erreichen sind.

Angesichts der Stadtrandlage Freihams und der wenigen verbleibenden Parkplätze auf den Straßen plant die Stadt für das Quartier außerdem die Einführung eines Parkraummanagements. "Denn wenn der öffentliche Verkehrsgrund für Bewohner zum freien Parken zur Verfügung steht, würde dies die Ziele der Mobilitätskonzepte für den Wohnungsbau unterwandern und die Umsetzung der geplanten Pkw-Besitzquoten der Wohngebäude gefährden", heißt es.

Vorrang für Radler

Den Autoverkehr einzudämmen aber funktioniert nur, wenn auch Alternativen geschaffen werden. Die Planer wollen daher den Fuß- und Radverkehr und den öffentlichen Nahverkehr "attraktiver gestalten" - mit der Bereitstellung zahlreicher, qualitativ hochwertiger und diebstahlsicherer Fahrradabstellanlagen auch für Lastenräder und Gespanne mit Anhänger, insbesondere an Bahnhöfen und in unmittelbarer Nähe von Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten. Mit der Ausweitung der MVG-Radstationen. Und mit dem Ausbau von Radwegen innerhalb des Stadtteils und darüber hinaus. Eine Radschnellverbindung zwischen Fürstenfeldbruck und der Innenstadt über Pasing wird derzeit untersucht, im Sommer soll die Machbarkeitsstudie dazu vorliegen.

Busse und Bahnen

"Ziel ist es, dass der Stadtteil Freiham-Nord mit dem ÖPNV rund um die Uhr von der ersten bis zur letzten Meile verlässlich und komfortabel erreichbar ist", so die Planer. Zentral werden daher die U 5 und die Feinerschließung des Quartiers mit Hilfe eines dichten Busnetzes sein, ergänzt durch ein "innovatives Verkehrsmittel" zwischen den S-Bahnhöfen Freiham und Aubing entlang der Aubinger Allee. Dieses Verkehrsmittel - im Gespräch sind eine Seilbahn, aber auch ein autonom fahrender Bus - soll laut der Verwaltung "hoch automatisiert, emissionsarm und leistungsfähig" funktionieren.

Ausbau der Sharing-Dienste

Geplant sind zudem sogenannte On-Demand-Mobility-Dienste - also digitale Plattformen, die linienunabhängig Mobilität auf Abruf ermöglichen. In der Besiedelungsphase des ersten Realisierungsabschnitts bietet die Münchner Verkehrsgesellschaft etwa einen Ridesharing-Dienst wie den Isar-Tiger an: Fahrgäste bestellen die Fahrt mit dem Mehrsitzer per App, Platz in dem Shuttle-Fahrzeug haben mehrere Personen. Bezahlt werden nur die Luftlinienkilometer zwischen Start- und Zielort plus eine Grundpauschale.

Stopp an der Schranke, Stau auf den Straßen. (Foto: Robert Haas)

Fußläufig erreichbar müssen überdies Sharing-Angebote sein. In-Freiham-Nord soll es Car-, Bike- und Roller-Sharing geben, jeweils mit und ohne elektrischen Antrieb. Die Stadt will in dem Wohnquartier erstmals in München auch ein "öffentliches, größer angelegtes Sharing-System für Lastenräder sowie Elektrotransporter pilotieren". Damit alle Bewohner Freihams, auch diejenigen, die über wenig digitale Kenntnisse verfügen, die Angebote in ihrem Quartier nutzen können, ist bereits im ersten Realisierungsabschnitt der Aufbau einer Mobilitätszentrale als Informations- und Beratungsstelle vorgesehen.

Kritik aus dem Viertel

Der Bezirksausschuss Aubing-Lochhausen-Langwied übt dennoch vehemente Kritik an dem referatsübergreifenden Beschlussentwurf. "Voraussetzung für ein funktionierendes Verkehrskonzept innerhalb von Freiham ist ein funktionierender Verkehrsfluss um Freiham herum", so die Lokalpolitiker. Freiham sei schließlich "keine Insel" und könne daher "nicht ohne die Nachbarbezirke betrachtet werden". Zwar sehe die Vorlage die Einrichtung von Stadt-Umland-Buslinien vor und verweise darauf, dass "innovative Konzepte und Maßnahmen selbstredend nicht an der Neubaugrenze enden dürfen". Der öffentliche Nahverkehr sei aber nicht so leistungsfähig wie beschrieben. "Neben fehlender Kapazitäten auf den S-Bahn-Linien ist die U-Bahn in weiter Ferne und das Straßennetz nicht mehr aufnahmefähig für sehr viel mehr motorisierten Individualverkehr." In naher Zukunft sei beim ÖPNV nicht mit erheblichen Kapazitätsverbesserungen zu rechnen.

Auch sei das Radnetz außerhalb von Freiham "völlig unzureichend und lückenhaft". Der Radweg nach Pasing sei "sicher der richtige Schritt, aber die anderen drei Himmelsrichtungen sind ebenfalls unterversorgt und müssen in die Planung einbezogen werden". Eine Reduzierung des Individualverkehrs auf 25 Prozent halten die Bürgervertreter daher "zumindest bis 2040" für unrealistisch und lehnen folglich die Stellplatzminimierung ab. Im Übrigen befürchten sie bei den geplant wenigen Besucherstellplätzen auf Freihams Straßen "erhebliche Verdrängungseffekte zu Lasten der umliegenden Nachbarschaft".

Die Stadtteilvertreter betonen, dass auch sie sich für Freiham "hohe Ambitionen wünschen". Doch bevor weitreichende Beschlüsse gefasst würden, müsse eine Verkehrsuntersuchung klären, was überhaupt machbar sei. Die Stadt erarbeitet derzeit ein Verkehrskonzept für den gesamten Stadtbezirk 22, mit ersten Ergebnissen ist voraussichtlich Mitte des Jahres zu rechnen.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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