Mitten in Thalkirchen:Erschwerte Erleichterung

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Wirtshäuser und Cafes sind zu, öffentliche Toiletten in der Stadt ohnehin Mangelware. Wer in diesen Zeiten unterwegs sein muss, tut sich schwer bei der Suche nach einem stillen Örtchen

Glosse von Claudia Wessel

Die U-Bahn ist leer dieser Tage und still. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass man das Gespräch der beiden etwa 70-jährigen Damen, die sich gegenüber hingesetzt haben, mitverfolgen kann. "Ja, aber bist du denn nicht mehr gegangen, bevor du gegangen bist?" fragt die eine. "Doch, das war um viertel vor drei", sagt die andere mit etwas gequältem Lächeln. "Ja aber es ist doch erst viertel vor vier", erwidert ihre Begleiterin. "Mei, das ist halt so, daheim geh ich auch jede Stunde."

Man befindet sich an diesem Punkt des Gespräches zwischen Sendlinger Tor und Goetheplatz, und die Damen schauen sich eine Weile verzweifelt schweigend an. "Vielleicht an der Brudermühlstraße?" sagt die erste. "Da war ich vor Kurzem, aber da war abgesperrt", erwidert die zweite. Erneutes Nachdenken und Schweigen. Man hat als Zuhörerin inzwischen begriffen, um welche Nöte es bei der einen geht und hilft mit Wissen aus: "In Thalkirchen gibt es auch eine Toilette!" Das Interesse der Damen ist geweckt und sie lassen sich beschreiben, wo genau die Anstalt zu finden ist. An der Poccistraße entscheiden sie aber, dass das doch zu kompliziert wäre, da man so weit nach oben laufen müsse, und dann könnte es doch wieder geschlossen sein.

"Fahren wir doch bis zur Aidenbachstraße", schlägt die erste vor. "Da ist der große Busbahnhof, da muss was sein." Als Zuhörerin hat man Zweifel daran und zunehmend Mitleid. Soll man der Bedrängten anbieten, in der eigenen Wohnung in Thalkirchen schnell? Nein, das wäre in Corona-Zeiten sicher eine noch größere Zumutung, als weitere U-Bahn-Stationen abzuklappern.

Das besagte Problem hat in diesen Zeiten an Dringlichkeit gewonnen, weil eine sonst selbstverständliche Möglichkeit wegfällt: Man kann nicht mehr in einem Café oder einer Gaststätte um Asyl bitten oder aber auch dort schnell etwas trinken, um das Örtchen zu nutzen. Daher kann es für Menschen, vor allem Frauen, die es wagen, sich auch weniger als 15 Kilometer von ihrem heimischen Bad zu entfernen, oft brenzlig werden. Als mitleidender Beobachterin fällt einem da Tokio ein, die paradiesische Stadt für alle Blasenschwachen. Hier gibt es an jeder, ja wirklich an jeder U-Bahn-Haltestelle zwei Toiletten, an jedem Ausgang eine. Dort ist es sauber, warm und es erklingt sogar Musik gegen jede Peinlichkeit.

Tokio ist besser als München, nicht nur wegen der Toilettendichte, sondern auch, weil es dort nie einen Lockdown gab und auch bis heute nicht gibt. Werter Herr Ministerpräsident Markus Söder, können Sie bitte etwas für unsereins tun? Und wenn's erst mal nur mehr Klos sind.

© SZ vom 12.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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